Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Bis hierhin unterscheidet sich die Liste der Präferenzen nicht von der eines Dutzendliteraten der<br />
Spätkaiserzeit, „Wir bekämpfen die korrumpierende Parlamentswirtschaft einer Stellenbesetzung nur<br />
nach Parteigesichtspunkten ohne Rücksichtnahme auf Charakter und Fähigkeiten“ hätte Hitler von<br />
Hiller abgeschrieben haben können, was jedoch nicht notwendig war, da Hitler diese geläufige Floskel<br />
von fast jedem x-beliebigen Wandervogel hätte übernehmen können.<br />
In der Radikalität des provokanten Anspruchs nach außen erreichte Kurt Hiller sogleich eine<br />
Spitzenposition. Den intellektuellen Dünkel, der im George-Kreis nach innen zelebriert wurde, wollte er<br />
nach außen kehren.<br />
"Was wir vermögen, ist zunächst wenig. Solange uns die politische Macht fehlt, die Verlängerer der<br />
kapitalistischen Unzucht dorthin zu befördern, wohin jeder Fromme sie wünscht, bleibt uns <strong>das</strong><br />
bescheidene, darum nicht unnütze Mittel des gesellschaftlichen Boykotts gegen sie. Der<br />
Intellektuelle, statt ihnen, was er leider so gern tut, in eine gewisse Gegend zu kriechen, drehe<br />
ihnen mit Schwung die eigene zu. [...] Der Geistige benehme sich herausfordernd-exklusiv gegen<br />
den Plünderer, hochmütig bis zum Exzeß; der Raffer muß eine so verachtete Kaste werden wie<br />
weiland der Schinder, der Henker. Und in je legaleren Bahnen er rafft und je bessere bürgerliche<br />
Manieren er hat, desto verachteter sei er! - Der moralisch-gesellschaftliche Boykott als Vorgefecht<br />
der Expropriation; die Ächtung als Prolog der Vernichtung."<br />
Linke Befreiungs-Phraseologie und rechter Führer- und Gefolgschaftsaristokratismus verbanden sich<br />
zum elitaristischen Kraftkonzentrat, welches als intellektueller Brühwürfel in den lauwarmen Weimarer<br />
Volkssuppenkessel geworfen am Schluß eine verheerende Wirkung ergab. Hiller hätte niemals ein<br />
massenwirksamer Hitler werden können, er kann bestenfalls als Wegbereiter eingeordnet werden. Der<br />
Weg zum elitaristischen Führertum führte in der Weimarer Praxis über die von den Intellektuellen<br />
verachtete und verhaßte Massenwirksamkeit und Massenakzeptanz, über die tatsächliche Gewinnung<br />
von Massengefolgschaft, nicht über die Gewinnung von intellektueller Gefolgschaft allein.<br />
"Der Demokratismus, nimmt man ihn beim Wort, verrät nur, daß er anstelle von Dynasten und<br />
Kasten, von Despoten und Knoten '<strong>das</strong> Volk' regieren zu sehen wünsche; wie '<strong>das</strong> Volk' es<br />
machen solle, zu regieren, durch wen '<strong>das</strong> Volk' imgrunde repräsentiert sei und wie es zur<br />
erdenklich besten Repräsentation seiner gelange - darüber schweigt der Begriff. Daß der Weg die<br />
Wahl, die Wahl durch Alle, und <strong>das</strong> Kriterium der Richtigkeit die Mehrheit sei, ist ein ebenso<br />
beliebtes wie unbewiesenes Dogma, und seit dem Ende des 1. Weltkrieges mehren sich die<br />
Stimmen derer, die in Anlehnung an Philosopheme Platons und Nietzsches dies Dogma bestreiten;<br />
die den als selbstverständlich sich aufspielenden Egalitarismus in der Gesetzgeberauslese kritisch<br />
und konstruktiv berennen, und zwar nicht, wie der egalitäre Schmock es sich leicht macht zu lügen,<br />
von einem 'rechten', <strong>das</strong> heißt sozialreaktionären oder kulturreaktionären Standpunkt aus, sondern<br />
im Gegenteil vom Standpunkt raschester und radikalster Befreiung des Individuums, in<br />
ökonomischer und außerwirtschaftlicher Hinsicht, also von 'links'."<br />
"Die proletarische Revolution wird <strong>das</strong> Geldmacherpack, welches unter der Demokratie offen oder<br />
heimlich regiert, von der Fläche der Geschichte wischen und wird endlich, endlich die natürliche<br />
Auslese der Besten ermöglichen, die ständig sich erneuernde Geburt des Adels aus der<br />
schöpferischen Breite des Volks. Wenn der Klassenkampf sich erübrigt, weil es keine Klassen<br />
mehr gibt, wird es der Typus des Höheren <strong>Menschen</strong> sein, der - evolutionär oder revolutionär -<br />
gegen den niederen sich durchsetzt: zum Segen gerade des niederen."<br />
Typisch für Hillers Aktivismus war <strong>das</strong> hin- und her zwischen linken und rechten Phrasen, zwischen<br />
dem Idealismus und dem Vulgärmarxismus. Begriffe wie Klassenkampf, ökonomische Befreiung,<br />
kapitalistische Unzucht und Expropriation wurden zur endlichen Erweckung des <strong>Neue</strong>n <strong>Menschen</strong><br />
eklektisch mit den Dogmen der Jugendbewegung zusammengepappt. Welche Freude hätte Hiller<br />
erleben dürfen, wenn er Walter Ulbricht, Erich Honecker und Harry Tisch als diejenigen Höheren hätte<br />
identifizieren können, die sich gegen die niederen durchgesetzt hatten. „Was hat unten 4 Beine und<br />
oben eine Platte?“, fragten die Niederen und meinten den hochprozentig-geistigen Harry Tisch.<br />
Der Grund für diese Verrenkungen der Intelligentsia ist die Suche nach jenem Shangri La, <strong>das</strong> ihren<br />
theoretischen Entwürfen entspricht. Immer wurden irdische Teststrecken gesucht, um die<br />
Praxistauglichkeit der ideologischen Designermodelle zu beweisen. In den Testmaschinen saßen nie<br />
Dummies, sondern richtige <strong>Menschen</strong>, die in Crashtests bedenkenlos geopfert wurden. Die linken<br />
Intellektuellen der Bundesrepublik erblickten in den siebziger Jahren in Albanien, in China, in der<br />
Sowjetunion und in Nikaragua <strong>das</strong> proletarische Paradies, und wenn endlich alle realen Orte<br />
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