Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Wetterleuchten<br />
Die Hep-Hep-Unruhen von 1819<br />
Mit dem Reichsdeputationshauptschluß 1803, einem unter französischem Druck erfolgten widerlichen<br />
Geschacher um Gebiete und Untertanen, waren einige für <strong>das</strong> zünftige deutsche Handwerk und die<br />
traditionelle Krämerei vermeintlich ungünstige, vor allem jedoch ungewohnte Entwicklungen in Gang<br />
gekommen. Die freien Reichsstädte, Reichsdörfer, Reichswälder, Reichsvogteien, die geistlichen<br />
Gebiete, Reichsritterschaften und viele kleine Fürstentümer wurden in größere deutsche<br />
Territorialstaaten eingeliedert, womit die Macht des Staates über <strong>das</strong> Handwerk, die Landwirtschaft<br />
und den Kleinhandel wuchs. Die größeren Territoralstaaten hatten merkantilistische Interessen und<br />
förderten Wirtschaftsformen, die vermehrt Steuern in die Kassen brachten. An Zunfthandwerkern, die<br />
sich selbst und ihre Körperschaften selbstgenügsam erhielten, waren sie dagegen nicht besonders<br />
interessiert. In einigen wenigen Bundesstaaten des Deutschen Bundes, insbesondere in Preußen,<br />
wurde die Gewerbefreiheit eingeführt, in vielen Gebieten, so auch im Königreich Bayern, wurden die<br />
Juden rechtlich gleichgestellt.<br />
Nach der Vertreibung Napoleons hatten Studenten, Turner, Krämer und Handwerker den Wunsch,<br />
<strong>das</strong>s die schöne Zunftherrlichkeit des Heiligen Römischen Reiches wiederkehren würde. Die<br />
gestärkten deutschen Territorialstaaten dachten aber nicht daran, ihre durch Napoleon erlangte Macht<br />
zu beschneiden. Viele rechtliche <strong>Neue</strong>rungen, so auch die Rechte der Juden blieben bestehen. Es<br />
kam deshalb zu antisemitischen Unruhen.<br />
Ihren Namen erhielten die 1819 ausbrechenden Unruhen durch den mehrfachen Hetzruf „Hep" oder<br />
„Hepp“, mit dem die Handwerker, Krämer und Studenten sich sammelten und Juden bedrohten.<br />
Forscher wie Rainer Wirtz glauben daher, zumindest in Süddeutschland sei der Ziegen-Anruf Hep-<br />
Hep bei den Unruhen auf Juden übertragen worden. Denn der gehörnte Ziegenbock war im Mittelalter<br />
Sinnbild oder Reittier des Teufels, mit dem die Juden identifiziert wurden. Jüdische Männer seien<br />
zudem bei den Angriffen häufig an ihren Spitzbärten gezogen worden.<br />
Die Unruhen brachen in Würzburg aus, einer Stadt, die damals erst kurze Zeit zum Königreich Bayern<br />
gehörte. 1813 hatte <strong>das</strong> Königreich Bayern die Juden gleichgestellt und die jüdische Bevölkerung<br />
Würzburgs wuchs in kurzer Zeit von 1813 bis 1819 von Null auf 400 Personen an.<br />
Am Abend des 2. August 1819 begannen die Würzburger Unruhen. Ein Haufen aus Studenten und<br />
Bürgern versammelte sich. Heinrich Graetz schilderte den Hergang wie folgt:<br />
„Plötzlich wurde ein alter Professor Brendel bemerkt, der kurz vorher zugunsten der Juden<br />
geschrieben hatte. Es hieß, er habe dafür von ihnen eine Dose voll Dukaten bekommen. Bei<br />
seinem Anblicke erscholl aus dem Munde der Studenten der unsinnige Ruf 'Hep-Hep!' mit dem<br />
pöbelhaften Zusatz 'Jud' verreck! ... Brendel wurde verfolgt und mußte sich retten. Den Tumult<br />
benutzten brotneidische Kaufleute, welche erbittert darüber waren, daß jüdische Konkurrenten den<br />
Kaffee um einige Kreuzer billiger verkauften, und einige andere, welche etwas gegen einen<br />
geadelten jüdischen Kapitalisten Hirsch hatten. Eine leidenschaftliche Wut bemächtigte sich der<br />
Bevölkerung. Sie erbrach die Kaufläden der Juden und warf die Waren auf die Straße. Und als die<br />
Angegriffenen sich zur Wehr setzten und mit Steinen warfen, steigerte sich die Erbitterung bis zur<br />
Raserei. Es entstand eine förmliche Judenschlacht wie im Mittelalter, es kamen Verwundungen<br />
vor, mehrere Personen wurden getötet.<br />
Etwa vierzig Bürger hatten sich an diesem Judensturm beteiligt. Militär mußte zur Dämpfung der<br />
Erbitterung herbeigeholt werden, sonst wären die Juden niedergemetzelt worden. Tags darauf<br />
stellte die Bürgerschaft die Forderung an die städtische Behörde, daß die Juden Würzburg<br />
verlassen sollten. Und sie mußte sich fügen. Mit Trauer verließen etwa vierhundert Juden jeden<br />
Alters die Stadt und lagerten mehrere Tage in den Dörfern unter Zelten, einer trüben Zukunft<br />
entgegensehend.“<br />
Zeitgenössische Regierungsakten, Zeitungsberichte und die „Würzburger Chronik“ des<br />
Stadthistorikers Leo Günther von 1925 ergänzen und korrigieren diese Darstellung in einigen Details.<br />
Die Angriffe richteten sich vor allem gegen jüdische Geschäftsinhaber. Sie wurden verprügelt, ihre<br />
Läden, Warenlager und Wohnhäuser wurden teilweise zerstört. Fensterscheiben wurden eingeworfen,<br />
Auslagen geplündert, Fassaden demoliert, Firmenschilder abgerissen. Dabei wurden königliche<br />
Wappen meist geschont, um den Eindruck eines staatsfeindlichen Aufruhrs zu vermeiden.<br />
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