15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

eschwor immer wieder die Aussöhnung mit Frankreich. Aber ebenjener Politiker, der diese<br />

unpopuläre und notwendige Aufgabe der Aussöhnung mit viel Engagement und angemessenen<br />

Erfolgen übernommen hatte, ebendieser Politiker Stresemann wurde in der Weltbühne als gefährlicher<br />

als der Stahlhelm attackiert. Die Sozialdemokraten wurden nicht wegen ihren politischen Fehlern<br />

gegeißelt, die sie zweifellos machten, sondern in snobistischer Manier für persönliche<br />

Unzulänglichkeiten, für ihren Mangel an Lebensart, für ihre Defizite bei höherer Bildung an den<br />

journalistischen Pranger gestellt. Ebert war ein Sattler und Gastwirt, Severing ein Schlosser,<br />

Scheidemann ein Drucker, Noske ein Korbmacher und Wels ein Polsterer.<br />

Sie hatten traditionell keinen großen Respekt vor Intellektuellen. Sie <strong>braucht</strong>en Redakteure für die<br />

Parteizeitungen, ansonsten hielten sie die Intellektuellen auf Armlänge von sich fern. Henrik de Man<br />

schrieb über sie, <strong>das</strong>s er fähig wäre sich mit Barbaren abzufinden, jedoch nicht mit diesen<br />

halbgebildeten petty-bourgeoisen Elementen. Die Intellektuellen hielten die Sozialdemokraten für<br />

kleinliche Bürokraten, die sich weder um die Revolution, noch um kulturelle Werte kümmerten. In<br />

Hemdsärmeln Bier trinken, am Kartentisch sitzen oder Kegeln, typische deutsche Vereinsmeier und<br />

Philister seien sie. Nach der Reichstagswahl von 1930, bei der die NSDAP zweitstärkste Kraft<br />

geworden war, attackierte die Weltbühne die Sozialdemokraten, weil sie ihren Wahlkampf nicht gegen<br />

die herrschenden Katholiken geführt hatten, sondern gegen die NSDAP. Ab 1932 übernahm die<br />

Weltbühne die stalinistische These, <strong>das</strong>s in Deutschland unter der Herrschaft der Katholiken der<br />

Faschismus herrschen würde. Ossietzky akzeptierte keinen Unterschied mehr zwischen der<br />

bürgerlichen Demokratie und der NS-Herrschaft. 345 Tucholsky, der sein Wissen über menschliches<br />

und allzumenschliches während seiner Tätigkeit für die Feldpolizei in Rumänien beim Ausspionieren<br />

des Privatlebens von Offizieren erworben hatte, brachte 1931 <strong>das</strong> Buch „Deutschland, Deutschland<br />

über alles“ heraus.<br />

Tucholskys Buch zielte auf die Sprengung des äußerst zerbrechlichen Bündnisses zwischen<br />

Hindenburg, dem Zentrum und der Sozialdemokratie gegen die radikal reformistischen Kräfte. Es war<br />

in seinen starken Übertreibungen und schiefen Wertungen Wasser auf die Mühlen aller extremen<br />

Kräfte. Bereits der Einband zeigt <strong>das</strong> Problem: der eingebildete Feind war alt und trug einen Zylinder.<br />

Der wirkliche Feind war jung und trug Schirmmützen. Tucholsky war zeitlebens ein gefährlicher<br />

politischer Idiot.<br />

In einem Aufwasch wurden alle tradierten Institutionen angegriffen, die Ikonen der Jugendbewegung<br />

wurden dagegen heilig gehalten. Der intellektuelle Zorn ergoß sich nicht über die intellektuellen<br />

Brandstifter der Vorkriegszeit, sondern gegen die Reichswehr, die Kirche, die Justiz, biertrinkende<br />

Studenten, Hindenburg, die sozialdemokratischen Kommandeure der Polizei, Stresemann, die<br />

Gewerkschaftssekretäre und alle anderen in leitenden Positionen. Das Buch zielte nicht nur gegen die<br />

Lebensart der deutschen Philister, nicht nur gegen den Militarismus, sondern gegen die<br />

Landesverteidigung als solche.<br />

„Da gibt es kein Geheimnis der deutschen Armee, <strong>das</strong>s ich nicht schnellstens einer fremden Macht<br />

übereignen würde.“<br />

So schrieb Tucholsky. Der Eindruck, der von Tucholskys Buch erzeugt wurde, war der <strong>das</strong>s die<br />

Deutschen doof sind. „Tiere schauen auf dich“ war ein Bild betitelt, <strong>das</strong>s acht böse Herren zeigte, die<br />

alle die sechzig überschritten hatten, die meisten von ihnen in Uniform. Walter Laqueur resümierte<br />

dazu:<br />

„Wenn Tucholsky andeuten wollte, <strong>das</strong>s die deutsche Armee und Polizei besser aussehende<br />

Offiziere benötigen würde, so verschafften ihm <strong>das</strong> die Nazis ein paar Jahre später in den Figuren<br />

von Heydrich und anderen jungen Männern mit auffallender Erscheinung.“<br />

Laqueur hielt mit dieser Bemerkung den Finger auf die blutende Wunde der Weimarer Intellektuellen:<br />

Sie konnten sich entsprechend ihrer Sozialisierung in der Jugendbewegung der Kaiserzeit definitiv<br />

nicht vorstellen, <strong>das</strong>s eine junge Bewegung böse und tradierte Instuitutionen gut und nützlich sein<br />

könnten. Jung war nun einmal per Definition gut und alt war böse.<br />

345 Walter Laqueur: Weimar – the left-wing intellectuals<br />

259

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!