Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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eschwor immer wieder die Aussöhnung mit Frankreich. Aber ebenjener Politiker, der diese<br />
unpopuläre und notwendige Aufgabe der Aussöhnung mit viel Engagement und angemessenen<br />
Erfolgen übernommen hatte, ebendieser Politiker Stresemann wurde in der Weltbühne als gefährlicher<br />
als der Stahlhelm attackiert. Die Sozialdemokraten wurden nicht wegen ihren politischen Fehlern<br />
gegeißelt, die sie zweifellos machten, sondern in snobistischer Manier für persönliche<br />
Unzulänglichkeiten, für ihren Mangel an Lebensart, für ihre Defizite bei höherer Bildung an den<br />
journalistischen Pranger gestellt. Ebert war ein Sattler und Gastwirt, Severing ein Schlosser,<br />
Scheidemann ein Drucker, Noske ein Korbmacher und Wels ein Polsterer.<br />
Sie hatten traditionell keinen großen Respekt vor Intellektuellen. Sie <strong>braucht</strong>en Redakteure für die<br />
Parteizeitungen, ansonsten hielten sie die Intellektuellen auf Armlänge von sich fern. Henrik de Man<br />
schrieb über sie, <strong>das</strong>s er fähig wäre sich mit Barbaren abzufinden, jedoch nicht mit diesen<br />
halbgebildeten petty-bourgeoisen Elementen. Die Intellektuellen hielten die Sozialdemokraten für<br />
kleinliche Bürokraten, die sich weder um die Revolution, noch um kulturelle Werte kümmerten. In<br />
Hemdsärmeln Bier trinken, am Kartentisch sitzen oder Kegeln, typische deutsche Vereinsmeier und<br />
Philister seien sie. Nach der Reichstagswahl von 1930, bei der die NSDAP zweitstärkste Kraft<br />
geworden war, attackierte die Weltbühne die Sozialdemokraten, weil sie ihren Wahlkampf nicht gegen<br />
die herrschenden Katholiken geführt hatten, sondern gegen die NSDAP. Ab 1932 übernahm die<br />
Weltbühne die stalinistische These, <strong>das</strong>s in Deutschland unter der Herrschaft der Katholiken der<br />
Faschismus herrschen würde. Ossietzky akzeptierte keinen Unterschied mehr zwischen der<br />
bürgerlichen Demokratie und der NS-Herrschaft. 345 Tucholsky, der sein Wissen über menschliches<br />
und allzumenschliches während seiner Tätigkeit für die Feldpolizei in Rumänien beim Ausspionieren<br />
des Privatlebens von Offizieren erworben hatte, brachte 1931 <strong>das</strong> Buch „Deutschland, Deutschland<br />
über alles“ heraus.<br />
Tucholskys Buch zielte auf die Sprengung des äußerst zerbrechlichen Bündnisses zwischen<br />
Hindenburg, dem Zentrum und der Sozialdemokratie gegen die radikal reformistischen Kräfte. Es war<br />
in seinen starken Übertreibungen und schiefen Wertungen Wasser auf die Mühlen aller extremen<br />
Kräfte. Bereits der Einband zeigt <strong>das</strong> Problem: der eingebildete Feind war alt und trug einen Zylinder.<br />
Der wirkliche Feind war jung und trug Schirmmützen. Tucholsky war zeitlebens ein gefährlicher<br />
politischer Idiot.<br />
In einem Aufwasch wurden alle tradierten Institutionen angegriffen, die Ikonen der Jugendbewegung<br />
wurden dagegen heilig gehalten. Der intellektuelle Zorn ergoß sich nicht über die intellektuellen<br />
Brandstifter der Vorkriegszeit, sondern gegen die Reichswehr, die Kirche, die Justiz, biertrinkende<br />
Studenten, Hindenburg, die sozialdemokratischen Kommandeure der Polizei, Stresemann, die<br />
Gewerkschaftssekretäre und alle anderen in leitenden Positionen. Das Buch zielte nicht nur gegen die<br />
Lebensart der deutschen Philister, nicht nur gegen den Militarismus, sondern gegen die<br />
Landesverteidigung als solche.<br />
„Da gibt es kein Geheimnis der deutschen Armee, <strong>das</strong>s ich nicht schnellstens einer fremden Macht<br />
übereignen würde.“<br />
So schrieb Tucholsky. Der Eindruck, der von Tucholskys Buch erzeugt wurde, war der <strong>das</strong>s die<br />
Deutschen doof sind. „Tiere schauen auf dich“ war ein Bild betitelt, <strong>das</strong>s acht böse Herren zeigte, die<br />
alle die sechzig überschritten hatten, die meisten von ihnen in Uniform. Walter Laqueur resümierte<br />
dazu:<br />
„Wenn Tucholsky andeuten wollte, <strong>das</strong>s die deutsche Armee und Polizei besser aussehende<br />
Offiziere benötigen würde, so verschafften ihm <strong>das</strong> die Nazis ein paar Jahre später in den Figuren<br />
von Heydrich und anderen jungen Männern mit auffallender Erscheinung.“<br />
Laqueur hielt mit dieser Bemerkung den Finger auf die blutende Wunde der Weimarer Intellektuellen:<br />
Sie konnten sich entsprechend ihrer Sozialisierung in der Jugendbewegung der Kaiserzeit definitiv<br />
nicht vorstellen, <strong>das</strong>s eine junge Bewegung böse und tradierte Instuitutionen gut und nützlich sein<br />
könnten. Jung war nun einmal per Definition gut und alt war böse.<br />
345 Walter Laqueur: Weimar – the left-wing intellectuals<br />
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