Band 4 - m-presse
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202 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />
das ist noch nicht bemerkt worden — mit nur wenig Übertreibung sagen:<br />
Feuerbach war der Gegner, gegen den sich Stirners Buch zunächst richtete.<br />
Stirner wandte seinen lachenden Zorn freilich gegen alle die "Freien",<br />
die im Vormärz alle Krankheiten der Zeit durch die gleiche weiße Salbe<br />
zu heilen gedachten, gegen die Freigeister, die Freihändler, die Freistaatler<br />
und die Freischreiber, die er in der zwanglosen Gesellschaft der „Freien"<br />
bei Hippel große Worte schwätzen gehört hatte; er wandte sich in seinem<br />
Buche mit seiner ganzen hochgemuten Überlegenheit gegen Proudhon,<br />
gegen Marx und besonders schneidend gegen Bruno Bauer, den berühmten<br />
Anführer der Freien; aber Titel und Grundgedanke des Buchs geht zunächst<br />
gegen die neue Menschheitsreligion Feuerbachs. Es hätte natürlich<br />
nichts zu sagen, daß Stirner von den "Freien" her den Verfasser vom<br />
"Wesen des Christentums" nicht persönlich kannte; ich möchte aber doch<br />
darauf aufmerksam machen, daß eine persönliche Bekanntschaft und Abneigung<br />
vielleicht bestand: Stirner verbrachte als Student das Wintersemester<br />
1828 auf 1829 in Erlangen und hörte dort Philosophie bei Christian<br />
Kapp, dem Freunde Feuerbachs; und Feuerbach selbst habilitierte sich in<br />
Erlangen im Dezember 1828. Es scheint mir wahrscheinlich, daß der wißbegierige<br />
Student den jungen Dozenten einmal gehört und eine ungünstige<br />
Meinung von dem liberalisierenden Hegelianer gefaßt habe. Zu Erbitterung<br />
konnte diese Abneigung erst werden, als Feuerbachs "Wesen" 1841<br />
erschienen war. Es darf nicht wundern, daß gerade eine Schrift, die den<br />
Zeitgenossen mit Recht ein gewaltiger Fortschritt schien, den ganzfreien<br />
Stirner zum Kampfe reizte; den Vertretern der Kirche und der Reaktion<br />
mit seinen besten Waffen entgegenzutreten, mußte ihm so niedrig vorkommen,<br />
als hätte er Fußtritte an Leichen ausgeteilt. So begann Nietzsche<br />
seine kritische Tätigkeit mit einem Ausfalle gegen Strauß, so streiten wir<br />
heute fast leidenschaftlicher gegen die dogmatischen, wortabergläubigen<br />
Monisten als gegen ihre frommen Gegner. Um zu kämpfen, muß man<br />
irgendwo gemeinsamen Boden haben.<br />
Wer nicht zugeben wollte, daß der "Einzige" bewußt entgegengestellt<br />
wird „dem Menschen" Feuerbachs, daß Stirners anarchistischer Grundgedanke<br />
— unbeschadet seiner weiteren Bedeutung — sich gegen Feuerbachs<br />
Menschenreligion und Menschenmoral, kurz gegen die Halbheit<br />
solcher Kritik richtet, dem möchte ich empfehlen, daraufhin beide Bücher<br />
hintereinander zu lesen; er wird beide Bücher nicht ohne Nutzen lesen.<br />
Hier habe ich es nur mit dem verhältnismäßig kleinen literarischen Streite<br />
des bedingten und des unbedingten Aufklärers zu tun. Erst eine Vergleichung<br />
beider Bücher kann zeigen, an wievielen Stellen Stirner den<br />
wackeren Feuerbach verhöhnt, auch wo er ihn nicht genannt hat. Ich will<br />
Feuerbach und Stirner 203<br />
nur noch aus Feuerbachs Vorworte zur zweiten Auflage (1843) einige<br />
Stellen anführen, die wirklich den Grimm des Alleszermalmers — wie doch<br />
Stirner eher heißen sollte als Kant — herausfordern konnten. Feuerbach<br />
sagt, er könne den Grundsatz der bisherigen spekulativen Philosophie Omnia<br />
mea mecum porto nicht auf sich anwenden, er habe gar viele Dinge außer<br />
sich, die er zu sich rechne; der Mensch sei das wahre Ens realissimum<br />
seiner Philosophie; seine Schrift sei verneinend nur gegen das unmenschliche,<br />
nicht gegen das menschliche Wesen der Religion; Gott, Wort<br />
Gottes, Trinität seien nicht Nichts, sondern Mysterien der menschlichen<br />
Natur, und der Mensch als der wahre Inhalt der Religion sei keine Illusion;<br />
er erhebe eben die Anthropologie zum Range einer Theologie. Nicht nur<br />
gegen solche Sätze des zweiten Vorwortes, die für die Frommen Gotteslästerungen,<br />
für die Liberalen ewige Wahrheiten und nur für Stirner<br />
klingende Schellen waren, sondern auch gegen Ausführungen des Buches<br />
selbst richtete der Einzige — wie gesagt — an hundert Stellen kleinere<br />
Nebenangriffe; aber auch die Gedanken, die in den beiden Hauptüberschriften<br />
"Der Mensch" und "Ich" ausgedrückt sind, sind deutlich antifeuerbachisch.<br />
„Der Mensch", die neue Gottheit Feuerbachs, wird durch<br />
die gesamte Kulturgeschichte verfolgt und als ein hohles Begriffswesen verhöhnt;<br />
„Ich" wird im zweiten Teile wie mit trunkenem Übermute als<br />
das einzig Wirkliche gegen den unwirklichen Menschen ausgespielt. Ich<br />
kann mein Buch nicht durch ein Buch unterbrechen, kann die Polemik<br />
Stirners gegen Feuerbach nicht auf jeder Seite aufzeigen; es mag genügen,<br />
auf einige Stellen hinzuweisen, die ich nach der allgemein zugänglichen<br />
Ausgabe von Reclam anführen will.<br />
Nur weil Ich und Geist nicht Namen für ein und dasselbe, sondern<br />
verschiedene Namen für völlig Verschiedenes sind, nur daraus erklärt sich<br />
ganz tautologisch die Notwendigkeit, daß der Geist im Jenseits haust, d. h<br />
Gott ist. "Daraus geht aber auch hervor, wie durchaus theologisch, d. h.<br />
gottesgelahrt, die Befreiung ist, welche Feuerbach uns zu geben sich bemüht"<br />
(S. 42). Den Gott, der Geist ist, nenne Feuerbach unser Wesen.<br />
„Ich bin weder Gott, noch der Mensch, weder das höchste Wesen, noch<br />
Mein Wesen, und darum ist's in der Hauptsache einerlei, ob Ich das Wesen in<br />
Mir oder außer Mir denke." Wenn Feuerbach noch die himmlische Wohnung<br />
Gottes zerstöre und ihn nötige, mit Sack und Pack zu Uns zu ziehen, so<br />
werden Wir, sein irdisches Logis, sehr überfüllt werden (S. 44). "Die<br />
Wesen allein und nichts als die Wesen zu erkennen und anzuerkennen,<br />
das ist Religion: ihr Reich ein Reich der Wesen, des Spukes und der Gespenster"<br />
(S. 52). Feuerbach habe nur die grammatikalische Form des<br />
Dogmas umgekehrt, als er seine Religion für eine neue Wahrheit ausgab