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Band 4 - m-presse

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314 Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

schaftlich gebildeter als sein Vorgänger, aber seine Bildung war scholastisch.<br />

Er war insofern selbst modern, ein Schöngeist vielleicht, daß er nur eine<br />

Mißbilligung aussprach, wo sein Vorgänger und sein Nachfolger, auch<br />

sprachlich rückständig, ein Anathema schleuderten. Die Absicht und die<br />

Wirkung war die gleiche. Der Amerikaner Hecker, die Deutschen Schell,<br />

Joseph Müller, Ehrhard, Schnitzer, der Franzose Loisy, der italienische Laie<br />

Fogazzaro,*) der englische Kardinal Newman, der Irländer Tyrrell, wer<br />

immer von den römischen Geboten auch nur in einer Kleinigkeit abwich,<br />

wurde abgesetzt, um Amt und Brot gebracht oder sonstwie verfolgt. Aber<br />

die gröbste, meinetwegen tapferste Tat gegen die Bewegung, die erst in<br />

den ersten Jahren dieses Jahrhunderts von Freund und Feind den Sammelnamen<br />

Modernismus erhielt, wagte erst Pius X. Im Jahre 1907 wurde<br />

der Modernismus theoretisch verurteilt und 1910 von allen katholischen<br />

Geistlichen und Theologen der Eid für Rom, der Eid gegen den Modernismus<br />

gefordert. Wenn es wahr ist, was Schnitzer behauptet, daß der Geist<br />

des Modernismus in allen katholischen Fakultäten, in vielen Klöstern,<br />

auf Kanzeln und in Redaktionen heimlich fortlebt, so ist es für die wissenschaftliche<br />

katholische Welt um so beschämender, daß dieser Eid beinahe<br />

nirgends verweigert wurde; die Sache wird dadurch nicht besser, daß die<br />

Eidesformel da mit jesuitischer Auslegungskunst zurechtgelegt wurde,<br />

daß dort die Lüge einer reservatio mentalis half.<br />

Darin aber mag Schnitzer recht behalten, daß die folgerichtige Ablehnung<br />

von Bildung und Wissenschaft zu einer Verödung der Papstkirche<br />

führen werde, daß sie in Heidentum zurückgesunken sei (schon Goethe<br />

brauchte dem italienischen Katholizismus gegenüber dieses Wort), daß es<br />

vorüber sei mit der Herrschaft der Kirche im Abendlande. Ein Aufsatz in<br />

den "Historisch politischen Blättern" (1910) macht bereits den ganz verzweifelten<br />

Vorschlag, die katholische Kirche möge ihre Kräfte nicht nutzlos<br />

an die Kulturnationen erschöpfen, die schon auf absteigender Linie sich befinden,<br />

möge sich lieber an die weniger verbrauchten Völker wenden,<br />

denen vielleicht die Obergewalt über Europa bevorstehe. Wenn der Modernismus<br />

eine Macht wäre, so hätte er aus diesem unerhörten Verrate<br />

an der Kulturwelt Vorteil ziehen können. Mit einer Spekulation auf den<br />

"Untergang des Abendlandes". Schnitzer starb vielleicht an den Qualen,<br />

sicherlich unter den Qualen, die ihm der abgenötigte Eid bereitete.<br />

Der Kampf, der in Amerika, in Frankreich und besonders in Italien<br />

von seiten der Modernisten tapferer geführt wurde als in Deutschland,<br />

*) Mehr als ein Modernist ist auch Antonio Fogazzaro (geb. 1842), der gefeierte<br />

Dichter des "Santo", nicht; katholischer Mystizismus, ungefähr wie in Gutzkows "Zauberer<br />

von Rom", nicht gottlose Mystik.<br />

Modernismus 315<br />

endete — erst nach dem Tode Bismarcks — mit einem Scheinsiege der<br />

römischen Kirche; will man das Ganze als eine Kraftprobe betrachten, so<br />

gibt es doch zu denken, daß Rom solche Lehren, die sie atheistisch nannte,<br />

früher mit dem Feuertode bestrafen durfte, sich aber jetzt damit begnügen<br />

mußte, Eid oder Austritt zu verlangen.<br />

Aber noch eins gibt zu denken. Die Männer der "weltlichen" Fakultäten<br />

waren einig in der Überzeugung, ein Theologe, der einen verpflichtenden<br />

Eid leiste, der das Ziel seiner Forschung auf die Ideen eines längst<br />

veralteten Buches festlege, gehöre der universitas literarum nicht mehr<br />

an, zähle in der Welt der Wissenschaft nicht mehr mit. So wenig, meine<br />

ich, wie ein Mediziner, der sich durch einen Eid binden wollte, keine andere<br />

Therapie mehr anzuwenden als die des Gesundbetens, so wenig wie ein<br />

Jurist, der Prozesse nur noch durch Gottesurteile zur Entscheidung bringen<br />

wollte, so wenig wie ein Oberlehrer oder Professor, der sich nur noch der<br />

lateinischen Vortragssprache bedienen dürfte. Und eigentlich steht es noch<br />

schlimmer um die Philosophie, wenn sie unter Eid auf die Scholastik des<br />

heiligen Thomas zurückgeschraubt würde. Doch unsere Professoren der<br />

weltlichen, d. h. der allein wissenschaftlichen Fakultäten fanden nicht einmal<br />

aus Anlaß des Antimodernisteneides den Mut, ihre Trennung von<br />

der theologischen Fakultät vorzunehmen oder zu fordern. Kein Wunder,<br />

daß das Ansehen der deutschen Gelehrten tief sank, besonders bei den<br />

Vertretern des machtbewußt gewordenen "Proletariats", das Ansehen<br />

der Forscher, die die kleinen Fragen ihrer Spezialdisziplin meisterlich lösen<br />

gelernt hatten, die aber in allen letzten Fragen sich dem Machtgebote der<br />

wieder glücklich vereinigten Minister und Priester beugten.<br />

Ich habe die Darstellung des Verhältnisses, in welchem die Bismarckzeit<br />

zu der Geistesbefreiung steht, mit der Erscheinung der neuen Pessimisten,<br />

des Metaphysikers Hartmann und des Realdialektikers Bahnsen,<br />

eingeleitet; nicht nur aus dem ästhetischen Bedürfnisse, diesen Rahmen<br />

zu schließen, beende ich meine Darstellung mit der Erinnerung an<br />

zwei Lebende; die, mehr als man glauben sollte, Exponenten dieser Zeit<br />

sind: an den friedlosen Dühring und den Theologen Harnack. Bismarck<br />

war so stark, weil er allein war, ganz auf sich selbst gestellt: sine lege, rege<br />

et grege. Seine Zeitgenossen aber erzog er zur Unselbständigkeit, zu der<br />

Gewohnheit, Anschluß zu suchen bei einer Partei, bei einer Sekte; und<br />

darin sind diese sonst so ungleichen Männer erschrecklich ähnlich. Dühring,<br />

von Hause aus kein Pessimist, nur verbittert durch seine kleinen Schicksale,<br />

suchte und fand Zuflucht bei Konventikeln, die er weit überragte, und gewann<br />

zuletzt eine "Gemeinde", die sich nach ihm nannte; an wissenschaftlicher<br />

Leistung nicht entfernt an Helmholtz heranreichend, den nomina­

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