Band 4 - m-presse
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434 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />
noch im Volksglauben ist, eine heitere Bedeutung: er war notwendig, um<br />
aus der vermenschlichenden Vielgötterei zur gottlosen Mystik zu gelangen.<br />
Der Oberdespot fiel anstatt vieler kleiner Despoten.<br />
So angesehen, scheint nun aber eine Brücke herüberzuführen, wenigstens<br />
vom reinen Theismus zur gottlosen Mystik. Der Theismus redet von dem<br />
All-Einen, von der Weltseele, wie wir von der unbekannten ersten Ursache;<br />
ja selbst viele rechtgläubig Fromme, zu schweigen von den großen frommen<br />
Mystikern, haben zugegeben, über ihren Gott nichts aussagen zu können.<br />
So wäre es denn bequem und nützlich, nicht nur den Gegensatz zwischen<br />
uns und den gottseligen Mystikern, sondern auch den zwischen uns und<br />
der Kirche für einen nebensächlichen Wortstreit auszugeben, für eine Frage<br />
der Namengebung. Und das wäre eine Unwahrheit, wie ich noch zeigen<br />
möchte. Und hervorheben, daß auch dieser Schleichweg schon von Kant<br />
wahrgenommen worden ist in seiner Kritik der Gottesbeweise, da er (S. 634)<br />
einfach bemerkt, daß der kosmologische Beweis höchstens zum Dasein eines<br />
notwendigen Wesens überhaupt führe, nicht aber lehre, was für Eigenschaften<br />
dieses Wesen habe; wobei ich dahingestellt lasse, ob Kants moralischer<br />
Beweis für das Dasein Gottes streng als Beweis zu gelten habe<br />
oder wirklich mit dem einst von Forberg, neuerdings von Vaihinger hervorgehobenen<br />
"als ob" nur eine praktische Empfehlung der Religion für das<br />
Volk gewesen sei.<br />
Ich komme darauf zurück, daß der sogenannte kosmologische Beweis<br />
zu nichts weiter führen konnte als zu der elenden Tautologie: die letzte<br />
Ursache ist die letzte Ursache. Man hielt es für erlaubt, in diesem nichtssagenden<br />
Urteile das zweite Glied des Satzes durch ein scheinbar gleichbedeutendes<br />
Wort zu ersetzen: die letzte Ursache ist Gott. Das wäre aber<br />
nur dann erlaubt, wenn man an der gleichen Bedeutung festhielte und unter<br />
"Gott" niemals etwas anderes verstünde als eben die unbekannte letzte Ursache.<br />
Das fiel den Herren aber gar nicht ein, wäre auch den frommen<br />
Mystikern im wachen, nicht ekstatischen Zustande nicht Herzensmeinung<br />
gewesen. Nur im ekstatischen Zustande wußten sich die Mystiker wesenseins<br />
mit Gott und hoben dadurch seine übermenschliche, übernatürliche<br />
Persönlichkeit auf; erwacht, dachten sie schon mehr wie das Volk und die<br />
Kirche, bekleideten den Gott, getrieben von der Macht der Sprache und des<br />
Namens, mit einigen oder mit allen Eigenschaften, welche der Katechismus<br />
ihm zuschrieb. Für die substantivische Welt wäre es auf den Namen nicht<br />
angekommen; doch die adjektivische Welt verlangte ihr Recht. Für die<br />
Vorstellungen, die ich mit den Begriffen "adjektivische, substantivische<br />
und verbale Welt" verbinde, muß ich vorläufig auf die betreffenden Stücke<br />
meines "Wörterbuchs der Philosophie" verweisen; das Abschiedswort<br />
Die drei Bilder der Welt 435<br />
würde zu einem neuen Anfange werden, wollte ich hier diese drei Bilder<br />
der Welt auszudeuten versuchen.<br />
Ich muß aber diese drei Bilder der Welt dennoch bemühen, um die Die drei<br />
Befreiung vom substantivischen Gotte und von einigen seiner Eigenschaften,<br />
die Befreiung nicht durch eine verbale Wissenschaft, sondern nur durch<br />
gottlose Mystik, noch deutlicher darstellen zu können. Zwar die Befreiung<br />
von den Scheinbegriffen Seele und Willensfreiheit — und wir haben schon<br />
in der Einleitung erfahren, wie theologisch allezeit über Unsterblichkeit<br />
und über Verantwortlichkeit herumgeredet wurde, seitdem es eine christliche<br />
Religion gab — ist bereits längst von der Philosophie besorgt worden.<br />
Daß beide Vorstellungen jedoch aufs engste mit Eigenschaften Gottes<br />
zusammenhängen, mit seiner Geistigkeit nämlich und mit seiner Gerechtigkeit,<br />
daß also Seele und Wille eigentlich (weil sie der adjektivischen<br />
oder sensualistischen Welt angehören) nur widernatürlich dem<br />
mythologischen Begriffe Gott beigelegt worden sind, das hätten freidenkerische<br />
Theologen nicht übersehen sollen, die ich jetzt noch folgendes<br />
zu beherzigen bitte.<br />
Bringe ich alle drei Fragen auf die gleiche Formel, ob nämlich den<br />
Sprachworten Gott, Seele, Wille irgend etwas in der Wirklichkeit entspreche,<br />
so ist für den Sprachkritiker die Antwort gewiß: nein. Die drei<br />
berühmten Worte oder Fragen teilen nur das Schicksal unzähliger oder<br />
aller Worte; ihre hervorragende Bedeutung verdanken die drei Worte<br />
nur den Bemühungen der Theologen, vom Glauben an deren Dasein<br />
etwas recht Wichtiges abhängen zu lassen, nämlich unser Wohlbefinden<br />
in unendlichen Zeiträumen. Man lasse sich nicht dadurch täuschen, daß<br />
bei der zweiten und bei der dritten Frage das Dasein des Substantivs<br />
(Seele, Wille) sprachabergläubig schon vorausgesetzt und nur noch der<br />
Glaube an eine Eigenschaft (Unsterblichkeit, Freiheit) verlangt wird; mit<br />
der Grundfrage aller Religion verhält es sich ebenso, weil doch der Glaube<br />
an das abstrakte Substantiv Gott leer und unwirksam bleibt, wenn nicht<br />
der Glaube an einige Eigenschaften hinzukommt. Wir haben uns also fast<br />
niemals mit dem Glauben an das eigenschaftslose Substantiv Gott allein<br />
zu beschäftigen, sondern auch mit den Leugnern der Eigenschaften, mit<br />
den Leugnern der Unsterblichkeit und der Freiheit. Und die Rechtgläubigen,<br />
d. h. die Anhänger der so zahlreichen und so verschiedenen einzig wahren<br />
Religionen, waren auch berechtigt, alle Leute, die an dem Dasein solcher<br />
Eigenschaftswörter zweifelten, Atheisten zu nennen.<br />
Die drei Vorstellungen Gott, Unsterblichkeit und Freiheit stehen miteinander<br />
in unauflöslicher Verbindung; nicht zwar so, daß irgendein logischer<br />
Gottglaube ohne die Dogmen von der Unsterblichkeit und von der