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Band 4 - m-presse

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396 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

bevor, dem furchtbaren Völkerelend müsse das kommende Völkerglück<br />

entsprechen. Aber das Urteil wurde wie immer von Vorurteilen gelenkt;<br />

mit gleichwertigen Gründen wurde der nahende Sieg der Freiheit, auch<br />

der Geistesfreiheit, verkündet und die Rückkehr der abgefallenen Massen<br />

zur Kirche. Wie hundertsechzig Jahre vorher ein entsetzliches Ereignis, das<br />

Erdbeben von Lissabon, das heute im Verhältnis zum Weltkriege wie ein<br />

kleiner Unglücksfall erscheint, die Geister aufwühlte, in die Kirchen und<br />

aus den Kirchen trieb. Doch gerade die Erinnerung an die Folgen jenes<br />

Erdbebens läßt vermuten, daß die Wahrsager, die überall auf einen<br />

Kriegsgewinn der Kirchen rechnen, unrecht behalten werden.<br />

Ich lasse die Kirchenpolitik, die mit bewußter Arbeit den Krieg gegen<br />

den Unglauben auszunützen hofft, außer Betracht; die Kirchen werden<br />

in allen Staaten genau Buch führen und am Ende ihre Rechnungen vorlegen;<br />

aber der Staat wird aus der Not so gekräftigt hervorgehen oder in<br />

einer so verzweifelten Notlage kraftvoll scheinen müssen, daß es noch fraglich<br />

ist, ob er die Kirchenrechnungen wird bezahlen können. Die Kirchen, die<br />

christlichen, haben in diesem Kriege ein gewagtes Spiel gespielt,*) oder<br />

sie haben (um es richtiger auszudrücken) schweigend zusehen müssen, wie<br />

der Staat der Kirche über den Kopf wuchs. Jede christliche Kirche ist, nicht<br />

nur die katholische, ihrem Wesen nach international, weil das Seelenheil,<br />

worauf es doch zumeist ankommt, übersprachlich, übervölkisch, überirdisch<br />

ist; und da haben die Kirchen es geduldig mitansehen müssen, daß ihre<br />

Diener den Krieg auf der Seite predigten, auf der sie zufällig nach ihrer<br />

Staatszugehörigkeit standen; ohnmächtig und klug zugleich, um der späteren<br />

Rechnung willen, haben die obern Kirchenfürsten aus dieser Nötigung eine<br />

Tugend gemacht. In der katholischen Kirche war diese Erscheinung nur<br />

am auffallendsten, weil dort die Internationalität der Kirche eine geschichtliche<br />

Tatsache schien; der Widerspruch zwischen der Religion Christi und<br />

den Aufgaben eines Feldgeistlichen ist aber in den protestantischen Landeskirchen<br />

nicht geringer. Der Staat wird die Kirchendiener wie seine unmittelbaren<br />

Diener belohnen, er wird Orden austeilen und Orden zulassen,<br />

doch überall wird in dem uralten Streite zwischen Staat und Kirche der<br />

Staat — oder was irgend an Stelle der alten bankerotten Staaten<br />

treten wird — einen Machtzuwachs erfahren. Mir aber handelt es sich<br />

*) Die Diener der Kirchen haben überall, besonders in Deutschland und Frankreich,<br />

gehetzt und mit den angeblichen Tugenden des eigenen Volkes geprotzt. Sehr stark hat<br />

das für Deutschland ausgesprochen der sprachkritisch geschulte, schon genannte Gustav Sack<br />

in seinem Schauspiel "Der Refraktär" (Werke II., S. 105). "Sich mit diesen Vorzügen,<br />

Eigenschaften, die letzten Grundes jedes kultivierte Volk besitzt, zu brüsten und zu verlangen,<br />

daß der arme, zum Staatspopanz verhunzte Christengott derentwegen, ihretwegen zum<br />

privilegierten deutschen Krriegsgott werde, das ist ekelhaft."<br />

Weltkrieg 397<br />

nicht darum, ob der Krieg den Angestellten der Kirche für einige Zeit<br />

weitere Pfründen und andere Beamtenstellen zuweist oder nicht, sondern<br />

hier nur darum, ob die Mehrheit des Volkes wirklich, wie die Wahrsager<br />

behaupten, durch den Krieg der Gottlosigkeit entfremdet worden ist.<br />

Da wird nun kein aufmerksamer Beobachter leugnen können, daß<br />

während des Krieges der Zulauf zu den Kirchen stärker geworden ist, als<br />

er vorher war. Den Kirchen ist ein Dreinreden in die wichtigsten Lebensabschnitte<br />

(Geburt, Heirat und Tod) durch Herkommen und Gesetz gesichert;<br />

das Dreinreden beim Tode ist noch eindrucksvoller als das bei Geburt und<br />

Heirat, und der Tod war allgegenwärtig. Noch wichtiger wurde der Umstand,<br />

daß durch die schrecklichen Jahre kein Haus und keine Hütte war, in<br />

der nicht für das Leben eines Gatten, eines Vaters, eines Bruders, eines<br />

Sohnes gezittert wurde; in dieser bängsten Sorge erwachten alle alten<br />

Triebe, und kein Zauber blieb ungenützt, der gegen die Gefahr zu feien<br />

versprach. Menschen, die den Kirchenglauben halb und halb verloren hatten,<br />

lernten wieder beten; und kein Freidenker war hart oder gewissenlos genug,<br />

den Frauen und Kindern den Glauben an dieses Zaubermittel nehmen<br />

zu wollen. Unausdenkbar groß wurde die Zahl der Soldaten, die ihr Leben<br />

gelassen hatten, die, krank oder wund, oft mit zerfetzten Gliedern, auf<br />

Genesung hofften! Die Sehnsucht nach dem Frieden wuchs ungemessen.<br />

Wieder stand das Zaubermittel des Gebetes zur Verfügung. Die Gebete<br />

um die Gesundheit der Angehörigen waren bei Millionen unerhört geblieben.<br />

Die Gebete um den Sieg des eigenen Staates, wahnwitzige<br />

Gebete, wenn es einen einzigen gemeinsamen Gott gab und dieser allwissende,<br />

allmächtige Gott irgend wußte, was er wollte, diese kannibalischen<br />

Gebete waren zwecklos gewesen. Jetzt stiegen aus der Qual der Friedenssehnsucht<br />

die schlichteren Gebete um den Frieden empor, die sich ja wenigstens<br />

an einen gemeinsamen Vater im Himmel richten konnten. Die Kirchen<br />

füllten sich noch mehr. Und die Aufgeklärten sagten oder dachten: hilft<br />

es nicht, so schadet es doch auch nicht. Und wenn der Friede endlich, nach<br />

Blut und Jammer, nach Hunger und Trauer, Wirklichkeit werden wird,<br />

dann wird kein Einzugsgepränge, kein Fürstenwort und kein Zeitungsgeschwätz<br />

solchen Eindruck machen wie der Ton der letzten Glocken, die nach<br />

alter Sitte den Frieden einläuten werden. Auch die Freidenker werden<br />

am Tage dieses Geläutes einander in die Arme fallen, werden ihre Tränen<br />

nicht zurückhalten und das Tedeum der Kirchen nicht stören. Dann aber<br />

wird neue Arbeit beginnen, und nicht nur die Freidenker, auch die Massen<br />

werden fragen, ob Gott nach dem Erlebnisse dieses Krieges zu loben oder<br />

anzuklagen s e i . Die drei Parteien werden wieder vorhanden sein, in veränderter<br />

Stärke. Te Deum laudamus. Te Deum accusamus. Te Deum

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