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Band 4 - m-presse

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324<br />

Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

geschichte der Menschheit genannt, als ob es einen Buddhismus, als ob es<br />

einen Islam nicht gegeben hätte. Harnack verspricht geradezu, den fälschlich<br />

ausgestellten Totenschein des Christentums neu zu prüfen. Selbstverständlich<br />

widerspricht Harnack den Ergebnissen seiner Forschungen nicht so sehr, daß<br />

wir nicht auf jeder Seite von ihm zu lernen hätten, auch da, wo er sich in<br />

seinem Leben Jesu gegen die Negationen von Strauß auflehnt. Die Persönlichkeit<br />

Jesu, die keine bloße Mythe sein kann, kommt schön und überzeugend<br />

heraus, so paradox auch die Lehre sein mag, die noch kein Glaube ist. Die<br />

katholische Entwicklung, die ein Produkt der Verzweiflung genannt wird,<br />

wird scharf kritisiert: das Evangelium sei nicht eine Botschaft der Weltverneinung,<br />

sondern der Selbstverleugnung; aber auch die Predigt der<br />

Armut, der Sozialismus, sei nicht die ursprüngliche Religion Christi,<br />

wenn auch die Zeit kommen wird, "in der man wohllebende Seelsorger<br />

ebensowenig mehr vertragen wird, wie man herrschende Priester verträgt".<br />

Harnack ist noch so theologisch, daß er von Jesus öfter als von dem<br />

"Herrn" spricht, doch er ist an manchen Stellen frei genug, um den Sohn<br />

Gottes als einen irrenden Menschen darzustellen, freilich nicht eben ausdrücklich.<br />

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß Harnack die Entstehung<br />

einer Christologie und den Glauben des apostolischen Zeitalters,<br />

der noch nicht dogmatisch war, meisterhaft darstellt. Daß die ersten Christen<br />

in ihrer Erwartung einer baldigen Wiederkunft des Heilands getäuscht<br />

wurden, wird einfach zugegeben. Die Entjudung des Christentums durch<br />

Paulus wird feiner erklärt als anderswo. Die Ausgestaltung des Urchristentums<br />

zum starren Dogmenbau des Katholizismus findet begreiflicherweise<br />

keine Gnade vor Harnack, der bewußt ein Protestant sein will;<br />

und nicht einmal die Stimmung einer ästhetischen Schwärmerei, die<br />

moderne Romantiker vor der katholischen Kirche wie vor einer schönen<br />

Ruine empfinden, will er anerkennen. Und gar der orientalische Katholizismus<br />

ist ihm nur eine griechische Schöpfung mit einem christlichen<br />

Einschlag. Er haßt den ihm wohlbekannten Formelkram des griechischen<br />

Katholizismus, wie Tolstoi ihn gehaßt hat. Und der römische Katholizismus,<br />

eine Fortsetzung der römischen Despotie, habe mit dem Evangelium<br />

nichts zu tun. Dagegen ist ihm der Protestantismus, obgleich dieser nur<br />

von seinem Gegensatze zum Katholizismus lebt und (denn doch) beim<br />

ersten Anblick kümmerlich erscheint, die oder eine geistige Religion. Er<br />

wagt die Behauptung: eine Religion ohne Priester. Als ob es keinen<br />

Oberkirchenrat gäbe. Als ob irgendwo freie Forschung gestattet wäre.<br />

Als ob durch die Reformation — die trotz Hus und Wiclif eine deutsche<br />

Schöpfung genannt wird — das Evangelium wirklich wieder erreicht<br />

worden wäre. Zwar wird der Pietismus, entgegen der Unnötigkeit der<br />

Harnack 325<br />

guten Werke, die auch von Luther gepredigt worden war, gerühmt, zwar<br />

wird leise an die geistige Rückständigkeit Luthers (im Vergleiche zu den<br />

Besten seiner Zeit) erinnert, an das Herübernehmen katholischer Dogmen,<br />

an das überstürzte Festlegen der Landeskirchen. Zwar scheint Harnack der<br />

Forderung einer Abschaffung der theologischen Fakultät einmal beizustimmen<br />

durch die Mitteilung eines guten Scherzes: ein bestimmter unbequemer<br />

Theologe (offenbar Harnack selbst) möge nur zu der philosophischen<br />

Fakultät übergehen, "dann hätten wir statt eines ungläubigen Theologen<br />

einen gläubigen Philosophen". Der Scherz läßt tief blicken. Harnack<br />

scheint sich zu fragen, nicht was seine Überzeugung verlange, sondern<br />

an welcher Stelle er für den Staat und für das Volk nützlicher wirken<br />

könne, ob als ein ungläubiger Theologe oder als ein gläubiger, d. h. dem<br />

Wesen des Christentums dienender Philosoph. Ich möchte die Stellungnahme<br />

Harnacks durch ein einfaches Bild deutlich machen. Er ist der<br />

kenntnisreichste Sammler religiöser Kunstgegenstände; das Hauptstück seiner<br />

Sammlung ist ein künstliches Werk, an dem viele Geschlechter der Menschen<br />

seit zwei Jahrtausenden gearbeitet haben. Harnack weiß ganz genau,<br />

weiß besser als irgendwer, daß das Werk immer wieder umgearbeitet<br />

worden ist, daß es nicht eigentlich alt ist, daß es unecht ist; aber er stellt<br />

es in seiner Sammlung auf einen besonderen Altar, weil die ältesten<br />

Teile des Stückes schön sind. Harnack ist ein ausgezeichneter Lehrer für<br />

liberale Geistliche; den Weg zu einer gottlosen Mystik sieht er nicht<br />

einmal.<br />

Ich glaube, die Schwächen des berühmtesten und freiesten Theologen<br />

der Gegenwart unbefangen und rücksichtslos genug aufgezeigt zu haben;<br />

um so mehr halte ich es für meine Pflicht, mich gegen die Ungerechtigkeit<br />

zu wenden, mit welcher die ganze Lebensleistung Harnacks neuerdings<br />

behandelt worden ist. Von dem nicht minder freien, aber erst im Grabe<br />

ganzfreien Basler Theologen Franz Overbeck, in seinem Buche "Christentum<br />

und Kultur". Overbeck, der persönlich treue Freund Nietzsches, war<br />

als Kirchenhistoriker ein Rivale Harnacks; und etwas von dieser Nebenbuhlerschaft<br />

kommt doch wohl in der Bosheit heraus, mit welcher Harnack<br />

als ein oberflächlicher Salonprofessor behandelt wird, als ein Virtuose<br />

seines Faches, als ein strafbarer Lehrer, der seinen Schülern das vorträgt,<br />

was sie zu hören wünschen. Harnacks Verdienste um die Forschung werden<br />

da denn doch unterschätzt; der in Berlin heimisch gewordene Deutschrusse<br />

hat, abgesehen von sehr vielen mustergültigen Kleinuntersuchungen, einen<br />

entscheidenden Zug in der Dogmengeschichte herausgearbeitet, wenn er<br />

auch meinen Ausdruck für diesen Zug ganz gewiß nicht zu dem seinen<br />

machen würde: wie es gemenschelt hat in der Geschichte Gottes.

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