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Band 4 - m-presse

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274 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />

rationalistischen Philosophen Christian Kapp, wurde von dem jungen<br />

Keller in seiner Weise fast leidenschaftlich geliebt, übrigens auch oft besungen,<br />

mußte dem Dichter aber einen schön geflochtenen Korb geben, weil sie<br />

mit viel natürlicherer Leidenschaft den Denker Feuerbach liebte; Johanna<br />

starb mehr als dreißig Jahre später im Wahnsinn.<br />

Der alte Student Keller hatte noch kein Vierteljahr in Heidelberg<br />

zugebracht und mit Preisgebung seines Programms so ungefähr für seine<br />

allgemeine Bildung studiert (besonders bei Hettner ein Kolleg über Spinoza<br />

gehört), als die Studenten Heidelbergs, die eine Berufung Feuerbachs<br />

nicht durchsetzen konnten, den berühmten Verfasser vom „Wesen des Christentums"<br />

einluden, ihnen freie Vorlesungen zu halten. Feuerbach las von Dezember<br />

1848 bis März 1849 über das „Wesen der Religion". Keller sträubte<br />

sich eine Zeitlang gegen die Gottlosigkeit und sogar gegen die Unchristlichkeit<br />

Feuerbachs, gab sich aber dem verwegenen Lehrer bald völlig hin;<br />

sein Sträuben mochte damit zusammenhängen, daß er (nach seinen eigenen<br />

Worten) noch kurz vor der Abreise aus der Schweiz über Feuerbach den<br />

Stab gebrochen hatte „als ein oberflächlicher und unwissender Leser und<br />

Lümmel", daß er also erst aus einem Saulus ein Paulus werden mußte.<br />

Er hatte damals Feuerbach kraß und trivial gefunden. Wieder ein Jahr<br />

vorher hatte Keller einen bösartigen, heinesierenden Aufsatz gegen Marr<br />

veröffentlicht und sich da über die Plattheit Feuerbachs weidlich lustig<br />

gemacht, auch über die Zweifel an der Unsterblichkeit der Seele. Wilhelm<br />

Marr, der unter den deutschen Handwerkern der Schweiz die Lehren des<br />

jungen Deutschland zu verbreiten suchte, wird mit den Pfützen verglichen,<br />

die sich auf dem jung-hegelschen Miste absetzen; er wird ein aus dem Fruchtwasser<br />

der jungen Philosophie zusammengeronnener Homunkulus genannt.<br />

Glücklicherweise fehlt es selbst in dieser wüsten Schimpferei nicht an Proben<br />

köstlichen, grobianischen, echt Kellerschen Humors: "Wäre der heillose Mißbrauch<br />

. . . nicht zugleich im höchsten Grade empörend, man könnte nur<br />

laut auflachen über eine Stallfütterung, wo alle im Kreise umher das<br />

philosophische Welschkorn unverdaut von sich geben und so ein Gänserich<br />

den anderen füttert."*)<br />

*) Es ist beachtenswert, daß um dieselbe Zeit (1846) Gervinus sich mit ähnlicher Erbitterung<br />

gegen Marr aussprach. Keller, der Republikaner, erblickte nämlich in dem Doktrinär<br />

Gervinus den Feind, der besonders zu bekämpfen war. Bei D. F. Strauß ("Die<br />

Halben und die Ganzen") mag man nachlesen, wie noch dieser freie und tapfere Mann<br />

(1865) einen Gervinus in Schutz zu nehmen sucht: er habe nur den Atheismus verdammt<br />

und für die Herzlosigkeit der neuen Philosophie verantwortlich gemacht, nicht aber den<br />

Pantheismus. Kellers erquickend grober Aufsatz gegen Marr ist im Anhang von Baechtolds<br />

"Gottfried Kellers Leben" (I, S. 446 f.) zu finden; der Meister des Stils ist da noch<br />

unfrei in der Form, von Heine und von Börne als Journalist beeinflußt, unfrei auch noch<br />

im Denken, unduldsam gegen die "persönlichen Feinde Gottes", ein schweizerischer Politiker.<br />

Keller und Feuerbach 275<br />

So also stand Keller noch kurz vorher zu Feuerbach. Doch schon im<br />

Januar und Februar 1849 schreibt er an Freunde: er beklage, nicht schon<br />

vor Jahren auf ein geregelteres Denken geführt und so vor vielem gedankenlosem<br />

Geschwätze bewahrt worden zu sein; er sei mit Feuerbach fast alle<br />

Abende zusammen, trinke Bier und lausche auf seine Worte; Feuerbach<br />

habe einen mühseligen, schlechten Vortrag, aber sein tüchtiges Wesen ziehe<br />

ihn an; er werde in gewissen Dingen verändert zurückkehren. Er habe<br />

Lust bekommen, in Deutschland zu bleiben. "Wenn die Deutschen immer<br />

noch Esel sind in ihrer Politik, so bekommen mir ihre literarischen Elemente<br />

um so besser." In diesen Briefen findet sich auch die schon angeführte Stelle<br />

über die Absetzung Gottes. Wenige Zeilen später: "Ich habe noch keinen<br />

Menschen gesehen, der so frei von allem Schulstaub, von allem Schriftdunkel<br />

wäre, wie dieser Feuerbach. Er hat nichts als die Natur und wieder<br />

die Natur . . . Für mich ist die Hauptfrage die: wird die Welt, wird das<br />

Leben prosaischer und gemeiner nach Feuerbach? Bis jetzt muß ich des<br />

Bestimmtesten antworten: nein! im Gegenteil, es wird alles klarer, strenger,<br />

aber auch glühender und sinnlicher." Er verachtet die Heidelberger Professoren,<br />

die Feuerbachs Grundsätze teilen, nur sein Auftreten mißbilligen<br />

und dennoch den ganzen Mann ablehnen; er werde ihm täglich lieber,<br />

„vielleicht auch ein wenig darum, weil er ein Glas Roten nicht verachten<br />

tut". Aber auch Keller ist vorsichtig genug, den Freund, an den der längste<br />

dieser Briefe gerichtet ist, um Geheimhaltung des Bekenntnisses zu bitten,<br />

„damit nicht jeder Esel in Zürich den Senf dazu gibt, eh' nur das Fleisch<br />

auf dem Tische steht". Zu Pfingsten nennt er sich schon einen schlimmen<br />

Heiden. Und wie selbst ein so aufrechter Mann wie Gottfried von Glattfelden<br />

(so pflegte ihn Freiligrath zu nennen) an verschiedene Freunde in<br />

verschiedenem Tone hinredet, so schreibt er in einem Briefe an den rebellischen<br />

Dichter (vom 4. April 1850) sein jetziges Kredo viel rücksichtsloser<br />

hin. „Wie ich mit dem lieben Gott stehe? Gar nicht! Ludwig Feuerbach<br />

und die Konstitutionellen in Frankfurt nebst einigen groben physiologischen<br />

Kenntnissen haben mir alle luxuriösen Träume vertrieben. Die rationelle<br />

Monarchie ist mir in der Religion so widerlich geworden wie in der Politik . . .<br />

Als ich Gott und Unsterblichkeit entsagte, glaubte ich zuerst, ich würde ein<br />

besserer und strengerer Mensch werden; ich bin aber weder besser noch<br />

schlechter geworden, sondern ganz, im Guten wie im Schlimmen, der Alte<br />

geblieben."<br />

Man mag schon aus diesen Äußerungen aus der Zeit der unmittelbaren<br />

Einwirkung Feuerbachs zweierlei erkennen: daß der Einfluß dieses<br />

atheistischen Hegelianers auf Keller entscheidend war, daß Keller jedoch die<br />

Grundlage seines Wesens, die moralische, positive Tüchtigkeit, die später

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