Band 4 - m-presse
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240 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />
Alliance begonnen hatte und die nach der Julirevolution von dem Wiedererwachen<br />
des Geistes von 1793 zitterte. Aber in der entscheidenden Frage<br />
wäre ein Gegensatz zwischen den Älteren und den Jüngeren nicht zu übersehen<br />
gewesen. Heine war — wie wir schon gelernt haben — mittelbar und<br />
unmittelbar ein Schüler Hegels; er berief sich auf Hegel, als er den Franzosen<br />
den Atheismus als die große Philosophie Deutschlands vortrug, er<br />
berief sich wieder auf den Supranaturalismus — wenn nicht auf Hegel<br />
selbst — als er, krank und körperlich gebrochen, zu irgendeinem Gotte<br />
zurückkehrte. Das junge Deutschland jedoch stand zwar mit seinem Atheismus<br />
noch im Sprachbanne der Junghegelianer, benützte deren Terminologie,<br />
war aber wesentlich viel mehr abhängig von dem französischen,<br />
sozialistischen Saintsimonismus (von dem freilich auch Heine hergekommen<br />
war) und zugleich schon von dem noch nicht erloschenen Materialismus<br />
des 18. Jahrhunderts, der — zunächst bei Laube — zu einem literarischen<br />
Naturalismus oder Realismus führte. Das, was man unter der<br />
unfreundlichen Bezeichnung "Hegelei" versteht, war im jungen Deutschland,<br />
fast sofort nach Hegels Tode, überwunden.<br />
Da war es nun eine neue und bewußte Infamie der Dunkelmänner,<br />
daß sie Gutzkows "Wally" dem verhaßten Hegel auf sein Schuldkonto<br />
schrieben. Es wurde schon damals gemunkelt, daß der völlig ungeistige<br />
König von Preußen sich persönlich für eine Verfolgung des Buches eingesetzt<br />
hatte. Wir wissen jetzt, durch Johannes Proelß (S. 630 ff.), auf<br />
welchem Wege die Mucker an den König herankamen. Die literarische<br />
Denunziation hatte Menzel besorgt, die politische und kirchliche Denunziation<br />
besorgte der fanatische Theologe Hengstenberg, der ganz rückständige<br />
Gegner jedes Vernunftgebrauchs, in seiner einflußreichen, nicht ohne<br />
Gelehrsamkeit geschriebenen "Evangelischen Kirchenzeitung". Hengstenberg<br />
hatte schon vor Menzel den Kampf gegen Heine und gegen das<br />
junge Deutschland unternommen, mit der Tendenz, die Lehrfreiheit —<br />
für welche Menzel immer eingetreten war — für die Verwegenheiten<br />
der Jungen verantwortlich zu machen. Es gibt übrigens zu denken, daß<br />
dieser Hengstenberg und der Franzosenfresser Menzel Duzfreunde waren.<br />
In der „Kirchenzeitung" wurden nacheinander Heine, Mundt und Gutzkow<br />
dem preußischen Staate denunziert. Gutzkow, der durch seinen<br />
prüfenden Geist und durch seine Vielgeschäftigkeit bereits so ungefähr<br />
der Führer der Jungen geworden war.<br />
Gutzkow In England, in Frankreich und in Deutschland erblickt man als Führer<br />
zur Aufklärung oft Geister zweiten und dritten Ranges, die nicht die philosophische<br />
Kraft besaßen, ihre Skepsis gegen die Grenzmöglichkeiten des<br />
Denkens selbst zu richten, und nicht die poetische Kraft, tendenzlos zu<br />
Karl Gutzkow 241<br />
gestalten. So mag man die Dichtung Karl Gutzkows niedrig bewerten —<br />
ich glaube, daß er unterschätzt wird —, er bleibt dennoch gerade für die<br />
Zeit nach der Julirevolution der zielbewußteste, tapferste und geistig beweglichste<br />
Wortführer der Freiheiten, die man damals Emanzipationen<br />
nannte; er kämpfte mit seiner Feder für die Emanzipation der Frau und<br />
des Fleisches, des Bürgertums und der Juden, nicht zuletzt für eine Emanzipation<br />
von Gott.<br />
Karl Gutzkow (1811—1878) war noch sehr jung, als er, lange vor der<br />
Veröffentlichung seiner besten Schriften, zwar nicht das anerkannte Haupt,<br />
aber doch beinahe der politische, journalistische, mitunter auch nur buchhändlerische<br />
Leiter des „jungen Deutschland" wurde. Er hatte den Bundesstaat,<br />
dem er als Berliner durch seine Geburt angehörte, das Königreich<br />
Preußen, "jenen bewunderten Ausdruck für das Bestehend-Wirklich-Vernünftige",<br />
schon mehrfach durch seine Freigeisterei gekränkt, die Geistlichkeit<br />
oder die "Glattgescheitelten" durch Zeitungsaufsätze gegen sich aufgebracht,<br />
da er 1835, eben erst vierundzwanzig Jahre alt, den Sturm der<br />
Staatsmänner, die nur Polizeileute waren, gegen sich und gegen das<br />
junge Deutschland heraufbeschwor. Durch seinen kleinen Roman "Wally "Wally<br />
die Zweiflerin", der nur durch sehr verschwenderischen Druck auf den Umfang<br />
von zwanzig Bogen gebracht und so zensurfrei gemacht werden konnte.<br />
Der Roman, der uns wegen seiner Tendenz und wegen seiner unmittelbaren<br />
Folgen angeht, war ein Versuch mit untauglichen Mitteln, "Werthers<br />
Leiden" zu überbieten. Der Held ist eine Frau, die sich in unsinnlicher<br />
Leidenschaft für einen kaltherzigen Mann verzehrt, tief religiös, ohne positive<br />
Religion, haltlos wird und als Selbstmörderin endet. Die Fragen<br />
der Sinnlichkeit, des religiösen Zweifels und des Selbstmordes werden in<br />
Gesprächen, Tagebüchern und einer Abhandlung — diese ist das Hauptstück<br />
— sehr geistreich behandelt; die Fabel ist schlecht erfunden, bis hart an<br />
die Grenze der unfreiwilligen Komik: so wenn der Skeptiker an einem Tage<br />
nebenher fünf Duelle ausficht, so in der Episode vom gespenstischen<br />
Trommler. Erinnern wir uns der Zeitumstände, die den jungen Schriftsteller<br />
vermochten, den religiösen Zweifel zum Motive einer Dichtung<br />
zu machen und eine Frau zum Opfer des Zweifels.<br />
Daß David Strauß im gleichen Jahre 1835 sein metaphysisch-rationalistisches<br />
"Leben Jesu" veröffentlichen würde, konnte Gutzkow noch nicht<br />
wissen, während er seinen Roman in drei Wochen hinschleuderte; wenn<br />
Gutzkow auch ein Polyhistor war, die neuesten religiösen Ketzereien aufmerksam<br />
verfolgte und eben im Begriffe war, mit einem Auszuge aus den<br />
Wolfenbüttler Fragmenten in diese Kämpfe einzugreifen. Dem jungen<br />
Europa, dem jungen Deutschland schien die Dichtung an die Stelle des