29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

80 Drittes Buch. Vierzehnter Abschnitt<br />

als bei Spinoza) die Forderung der christlichen Mystik (Einheit in und<br />

mit Gott) abgelöst von einer Forderung der gottlosen Mystik.<br />

Gottlose An dem Studenten und jungen Dichter Goethe war zunächst nur<br />

seine bittere Unchristlichkeit bemerkt worden; ein Straßburger Professor<br />

hatte ihn einen „wahnsinnigen Religionsverächter" genannt; doch schon<br />

Lotte Kestner durchschaut die zwei Seelen in der Brust des Werther-<br />

Dichters. Der Zorn gegen die Lehre von Christo übersteigt sich zynisch<br />

im ersten "Faust" und in einem saugroben Worte an Herder („Scheißding");<br />

doch sein einziges Wesen bricht durch, da er dem frommen Schwätzer Lavater<br />

zuruft: "Alle deine Ideale sollen mich nicht abhalten, wahr zu sein<br />

und gut und böse wie die Natur."<br />

Wir wissen, daß Goethe ein Weiser war und kein Philosoph; er hat<br />

in Kant eben nur hineingeblickt und auch seinen heiligen Spinoza nicht als<br />

ein Fachmann studiert; aber er hat ihn erlebt, er hat Gott oder die Natur<br />

nicht glauben, sondern schauen gelernt. "Das Dasein ist Gott."<br />

Es wäre in diesem Zusammenhange klein, an Goethes Schwäche in<br />

Fichtes sogenanntem Atheismusstreite noch einmal tadelnd zu erinnern; es<br />

machte ihn, vor und nach seiner italienischen Flucht, unglücklich genug, daß<br />

er in Weimar durch staatsmännische und hofmännische Rücksichten gebunden<br />

war. Was haben diese niedrigen Dinge mit unserem Goethe zu schaffen?<br />

Gebraucht er doch selbst darüber das gleiche saugrobe Wort, das ich eben<br />

anführen mußte; er erkannte „das durchaus Scheißige dieser zeitlichen<br />

Herrlichkeit". Der Minister Goethe ist es nicht, zu dem wir aufblicken.<br />

Doch auch als Kulturminister trat er in Fragen der Kirche und der<br />

Schule oft genug für seine Wahrheit ein, gegen seine Amtskollegen und<br />

auch gegen Herder. Goethe machte innerlich nicht einmal die christelnde<br />

Humanität der Herderschen „Ideen" mit: er fürchte, daß danach einer<br />

des anderen humaner Krankenwärter werden werde. In Italien macht<br />

ihn die katholische Malerei ganz wild; da konnte er maßlos ungerecht<br />

werden. Und es ist sehr beachtenswert, daß der einsam Gewordene wie<br />

die Religion und den Humanismus, so auch Aristokratismus und Patriotismus<br />

(in einem Briefe an Schiller) für überlebt erklärt.<br />

Niemals war Goethe Mitläufer einer religiösen oder einer politischen<br />

Partei; höchstens daß er es lernte, die Fahne, nicht der Führer, seiner<br />

eigenen Partei zu sein. Es wäre darum durchaus töricht, den oft überschätzten<br />

Xenien-Kampf, den er 1796 im Bunde mit Schiller übermütig<br />

führte, gegen seine Tendenz zur Freiheit auszuspielen, weil da die meisten<br />

und lustigsten Streiche dem niedrigen Aufklärer Nicolai galten. Ihm<br />

noch mehr als dem verbündeten Schiller war Nicolai der Todfeind, weil er<br />

nur ein Aufklärer war; abgesehen von einer menschlichen Freude daran,<br />

Gottlose Mystik Goethes 81<br />

den eingefleischten Gegner alles Hohen für persönliche Schmähungen zu<br />

bestrafen. Der dem Dichter und dem Buchhändler gemeinsame Haß<br />

gegen die christliche Kirche kam bei der ganzen grausamen Auspeitschung<br />

gar nicht in Betracht.*)<br />

Der reife Goethe bleibt ein dezidierter Nichtchrist; da sein Söhnchen<br />

nicht gern in die Kirche geht, lacht Goethe über vererbtes Heidentum, und<br />

als dieses Söhnchen getauft werden muß, wird Herder um Erledigung<br />

dieses „Geschäfts" ersucht. Auch das berühmt gewordene Wort Napoleons<br />

an ihn (Voilà un homme!) macht er zu einem Symbol seines Unchristentums:<br />

"Man sieht, daß ich ein recht ausgemachter Heide bin, indem das<br />

Ecce homo in umgekehrtem Sinn auf mich angewandt worden."<br />

Goethe war übrigens auch sonst, was man auch sagen mag, ein Sänger Freiheit<br />

der Freiheit, im reinsten Sinne des Worts. Der "Fürstenknecht" durfte<br />

sich rühmen, die Deutschen „befreit" zu haben, von allen Philisterketten.<br />

Seines Götz letztes Wort ist „Freiheit",**) seinem Egmont erscheint<br />

*) Bei dieser Gelegenheit möchte ich es abweisen, daß Goethe in den Xenien auch<br />

den Atheisten Heydenreich angegriffen habe, wie Erich Schmidt und Suphan in ihrer<br />

philologisch nützlichen Handschriften-Ausgabe (Schriften der Goethe-Gesellschaft, 8. <strong>Band</strong>)<br />

doch etwas zu schnell behauptet haben. Beide Dichter waren zu gewissenhaft in ihrem<br />

Sprachgebrauch, als daß sie (in der Xenie Nr. 794) das Beiwort "pfäffisch" auf den<br />

Mann hätten anwenden können, der just im Xenien-Jahre seine "Briefe über den Atheismus"<br />

herausgab. Vollends aus der Manie eines "Stoffhubers" allein scheint es mir<br />

erklärlich, wenn eine Anmerkung (offenbar von Suphan) als einen Vertreter der "frömmelnden<br />

Schwätzer" (in dem schönen Epigramm auf Garve, Nr. 388) Heydenreich nennt,<br />

während der Verfasser des Distichons vielleicht an gar keine bestimmte Persönlichkeit<br />

dachte. Schlimmer scheint mir noch ein anderer Fehlgriff der beiden Goethe-Gelehrten. Sie<br />

machen allerdings selbst ein Fragezeichen dazu, da sie eine Xenie ohne Adresse (Nr. 413)<br />

auf den wackeren Forberg beziehen; aber sie sagen von diesem, er sei später in Fichtes<br />

Atheismusstreit "verwickelt" worden. Als ob nicht Forberg den ganzen Streit veranlaßt hätte.<br />

**) In der sogenannten Bühnenbearbeitung von 1804, deren Schwächen Otto Brahm<br />

(im Goethe-Jahrbuch von 1881) sehr gut hervorgehoben hat, ist Götzens Abschiedswort an<br />

die Menschen doch stehen geblieben. Aber vorher, wo während der Belagerung Götz den<br />

Ruf „Es lebe die Freiheit!" das letzte Wort der Freien sein läßt, ist dieser dreimal wiederholte<br />

Ruf ängstlich gestrichen und das vorletzte Wort "Es lebe der Kaiser!" wird zum letzten. Wie<br />

die Bühnenbearbeitung überhaupt alles Revolutionäre und die Ähnlichkeit mit dem Nachbilde,<br />

dem edeln Räuber Moor, zu tilgen sucht. — Nur wie eine unbewußte Parodie auf<br />

diesen dreimaligen Ruf aus der Jugendzeit kann es auf uns wirken, wenn Goethe (1814)<br />

in seinem schnell und doch widerwillig geschriebenen allegorischen, theatralischen, ja opernhaften<br />

Festspiel zu den Freiheitskriegen das Wort "Freiheit" wieder bemüht, abermals<br />

dreimal nacheinander. "Des Epimenides Erwachen" ist, man sage, was man will, eine<br />

Absage an des Dichters Heroenkult für Napoleon, ein Widerruf, nicht aus vollem Herzen<br />

geschöpft. Daran wird nichts geändert durch einzelne schöne Strophen, nicht einmal durch<br />

die Erwägung, daß Goethe da einen Anschluß an die flackernde Vaterlandsliebe der Zeit<br />

nicht gerade geheuchelt hat und für seinen Kosmopolitismus, der 25 Jahre gedauert hatte<br />

und dann wiederkam, das würdige Bild in einer griechischen Sage gefunden zu haben<br />

glaubt. Goethe ist der Epimenides, der lange geschlafen hat und, erwacht, sich freudig<br />

an die ewige Gegenwart klammert.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!