Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
254 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />
humanae vitae", auch nicht an seine eigene Novelle, da geheimniste er<br />
in die Figur des mißhandelten Juden hinein, was er und seine Genossen<br />
in den Jahren der Verfolgung seelisch gelitten hatten. Wiederum ist es<br />
nur Tendenzdichtung, wenn er einem Juden freie Reden in den Mund<br />
legt, eine Loslösung von seiner Religion, die er einen Christen aussprechen<br />
zu lassen nicht wagen durfte; es ist der alte Verkleidungskniff, der von den<br />
Religionsgesprächen des Mittelalters bis zu Lessings Nathan immer wieder<br />
mit Erfolg benützt wurde. Zufällig gab es jetzt auch schon zahlreiche jüdische<br />
Zuschauer, denen es schmeichelte, einmal einen jüdischen Helden<br />
oder überhaupt einen edlen Juden auf der Bühne zu sehen; das christliche<br />
Publikum jedoch mochte sonst so judenfeindlich sein wie immer, es vergaß<br />
seinen Haß, wie im Mittelalter die Leser der Religionsgespräche, und übersetzte<br />
sich die jüdischen Freigeistereien gern und leicht ins Christliche, ins<br />
allgemein Menschliche. Über die Tendenzdichtung hinauszugehen jedoch<br />
scheint mir eben das Persönliche, das von Gutzkow Erlebte, das in dem<br />
Schicksale Acostas tief ergreift, auch noch in dem oft getadelten Schlusse.<br />
Julian Schmidt, durch Tendenz als Kritiker ebenso behindert, wie Gutzkow<br />
als Dichter, hat nebst Freytag und Auerbach die ungerechten Urteile über<br />
den Verfasser des „Uriel Acosta" auf dem Gewissen; Acosta sei ein charakterloser<br />
Held. Das ist nicht wahrer als der schnöde Witz, der von einem deutschen<br />
Juden in Paris gerissen wurde, als das Drama dort entstand: „Lauter<br />
Juden und doch keine Handlung." Wir sind an eine feinere Psychologie<br />
gewöhnt worden; aber wir verstehen noch heute, daß Acosta, der in einer<br />
schwachen Stunde die Sünde am Heiligen Geist begangen hat, sterben<br />
muß. „Wer wird mir noch glauben wollen! Nein, wer nicht von Anfang<br />
blieb auf grader Straße, der könnte Steine wandeln selbst in Brot, man<br />
glaubt' ihm nicht. Die Meinung hat verloren, wer seine Meinung einmal<br />
abgeschworen." Ein Schmerz klagt aus dieser Selbstanklage, der aus der<br />
Novelle noch nicht vernehmbar war. Gutzkow und seine Freunde vom<br />
jungen Deutschland hatten sich anständig benommen, aber Helden, Märtyrer<br />
waren sie nicht gewesen; Bestechungen und andere Verführungen<br />
hatten sie zurückgewiesen, aber in Worten und Unterlassungen hatten sie<br />
ihre Überzeugung gelegentlich verleugnet. Man braucht nur an Laubes<br />
Schlauheit in der kritischen Zeit, an Gutzkows Antworten im Verhör zu<br />
denken, und an Heines Flucht in frivole Plaudereien. Mit begreiflicher<br />
Bitterkeit hat Gutzkow in einer späteren Vorrede zu seinem Drama auf<br />
diese Stimmung hingewiesen oder angespielt, aus der der Tod Acostas<br />
erst recht notwendig schien: „Das Märtyrertum einer idealen Anschauung<br />
des Lebens enthält mehr Leiden und Prüfungen, als derjenige ahnt, der<br />
auf seinem Sofa von Konsequenz spricht. Wollt doch nur einmal etwas<br />
"Geschichte eines Gottes" 255<br />
Großes in der Welt! Ihr werdet bald finden, daß Überzeugungstreue<br />
im großen Stil Phasen hat, die nicht die Phasen einer Stadtverordnetenkonsequenz<br />
sind."<br />
Ich habe für die Geschichte der Freidenkerei Gutzkow zum Vertreter<br />
des jungen Deutschland gewählt, weil bei ihm mehr als bei den anderen<br />
theologische Interessen im Vordergrunde standen. Abgesehen davon,<br />
daß diese jungen Leute als Nachfolger der Burschenschaft im Herzen deutsch<br />
und imperialistisch waren, nur aus Verzweiflung sich republikanisch gebärdeten,<br />
fühlten sie sich in ihrer Gottlosigkeit hoch erhaben über den alten<br />
theologischen Katzbalgereien und wollten als Schriftsteller einer neuen<br />
Gesellschaft und einem neuen Schönheitsideal dienen, die freilich beide<br />
— das kann man dem Bundestag zugeben — den Lehren der orthodoxen<br />
Kirchen widersprachen. Nur gerade Gutzkow stak durch seine grüblerische<br />
Natur und durch seine theologischen Studien in einem gewissen religiösen<br />
Kampfe mit sich selbst. Er war so gottlos wie einer, und seine Bekenntnisse<br />
zum Deismus sind aus Mode und Vorsicht zu erklären; aber er rang<br />
noch mit dem Begriffe eines Gottes, den er leugnete, den er aber nicht los<br />
wurde, weil das Wort ihn nicht losließ. Ein klein wenig von der Empfindsamkeit<br />
Wallys war in ihm, die bei religionsfeindlichen Gesprächen litt.<br />
Mit leidenschaftlichem Anteil verfolgte er die heuchlerischen Unionsbestrebungen<br />
im Protestantismus, setzte er sich mit Schleiermachers Halbheit<br />
nach dessen Tode auseinander, mit ebenso leidenschaftlichem Eifer<br />
betrachtete er die damalige Modernistenbewegung im Katholizismus.<br />
Nichts lag ihm ferner, als wie der gottlose Jude Heine bald mit dem<br />
lieben Gotte selbst, bald mit dem "teuern Gottesmanne" Luther spielerisch<br />
zu kokettieren. Er träumte von einer Zukunftsreligion ohne Dogma<br />
und ohne Priesterschaft, die freilich einen anderen Mann zum Propheten<br />
hätte fordern müssen; nur weil er ungläubig war, gelangte er nicht über<br />
die Satire hinaus, aber seine Satire besaß, weil er Sehnsucht nach dem<br />
Glauben behielt, nicht den leichten und allgemeinverständlichen Spott<br />
Heines. So hatte er schon 1833 ein Buch herausgegeben, das trotz der<br />
äußersten Bosheiten gegen alles Priestertum noch von Menzel mit Begeisterung<br />
aufgenommen wurde. "Seit Ludwig Tieck gab es keinen, der,<br />
so jung an Jahren, schon so reif an Phantasie und Geist gewesen wäre."<br />
Dieses Buch, zugleich gegen das Papsttum und gegen das Königtum<br />
von Gottes Gnaden gerichtet, war betitelt: „Maha Guru, Geschichte eines<br />
Gottes"; der eine Teil eine gute psychologische Phantasie über den Geisteszustand<br />
eines Menschen, den die Priester zum Dalai-Lama, also zu einem<br />
Gotte, gemacht haben, der andere Teil eine Satire auf die Unduldsamkeit<br />
der Römischen Kirche, der Rest ein Unterhaltungsroman ohne rechte Poesie