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Band 4 - m-presse

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236 Viertes Buch. Sechster Abschnitt<br />

bei einem Minimum von Opfern zu gewährleisten. „Die Menschheit wird<br />

durch die Wissenschaft außerordentlich viel wirksamer und durchgreifender<br />

in Ordnung, Zusammenhang und Zucht gehalten, als die Kirche das auch<br />

in ihren besten Zeiten vermocht hat" (S. 69). Die Wissenschaft wird der<br />

neue Heiland genannt; sie bahne den Weg, den Frieden auf Erden zu verwirklichen;<br />

das Christentum habe in fast ununterbrochener Folge Metzeleien<br />

verursacht, um der Wissenschaft willen sei niemals ein Krieg geführt worden.<br />

(Freilich nicht um der Nationalökonomie willen, vielleicht aber doch um<br />

wirtschaftlicher Dinge willen, deren Kenntnis Nationalökonomie heißt.)<br />

Ostwald rechnet offenbar nicht darauf, die Kirche selbst den Bestrebungen<br />

seines Vereins günstig zu stimmen; er ist weit entfernt von dem<br />

verhängnisvollen Irrtume eines Leibniz, der zweihundert Jahre vorher<br />

geistige Opfer brachte, um, fürstlichen Winken gehorsam, Katholizismus<br />

und Protestantismus oder doch wenigstens die Lehren von Luther und<br />

Calvin miteinander zu vereinigen. Aber auch Ostwald dreht und wendet<br />

sich, um den konfessionslosen Monismus sowohl den ängstlichen Behörden,<br />

als den ebenso ängstlichen Freidenkern als den neuesten Religionsersatz<br />

zu empfehlen. Bestünde diese Absicht nicht, so wäre die ganze Mühe unerklärlich,<br />

die auf den Erweis verschwendet wird, die monistische Wissenschaft<br />

könne ebenso wie die alte Kirche die oberste Verwaltung des Geistes<br />

übernehmen, die sozialen Zwecke der Religion erfüllen und die gemütliche<br />

Sehnsucht des Volkes befriedigen. Hier soll wieder einmal ein guter Zweck<br />

die Mittel der kleinen Umbiegung heiligen; wer sich von einer alten Religion<br />

ganz frei gemacht hat, beruhigt sich lieber bei vollkommener Resignation,<br />

als bei einem Ersatz.<br />

Im Mittelalter ging das gesamte Geistesleben in der Kirche auf,<br />

weil außerhalb der Kirche für den Einzelnen keine Möglichkeit war, irgendein<br />

Wissen zu erwerben; was Ostwald als Ziel unserer Zeit hinstellt, die<br />

Schöpfung einer internationalen Vereinigung und Richtung aller wissenschaftlichen<br />

Tätigkeit, das geht sehr weit über alle Aufgaben hinaus, die<br />

die Kirche sich einst stellen konnte und wollte; das ist nicht mehr ein Ersatz<br />

der ehemaligen kirchlichen Einheit, das will zum ersten Male eine geistige<br />

Einheit werden.<br />

Nicht in der Kirche, die sich fast immer mit den Unterdrückern des<br />

Volkes vertrug, lagen Keime zu sozialen Taten, sondern nur im Evangelium,<br />

das die gemeinsame Gotteskindschaft lehrte; aber auch diese Keime<br />

wurden erstickt, zuerst durch die Erwartung des neuen Reichs, dann durch<br />

die Jenseitigkeit aller Verheißungen. Was immer die angewandte Wissenschaft<br />

leistet oder leisten will, um die soziale Lage der Menschen zu verbessern,<br />

das ist also wieder kein bloßer Ersatz für die theoretische Volksfreundlich­<br />

Monismus 237<br />

keit der alten Kirche. Vollends die Behauptung, daß der Monismus das<br />

Gemüt befriedige, also auch das metaphysische Bedürfnis, ist Täuschung<br />

oder Selbsttäuschung. Wohl gibt es verhältnismäßig gefühlsarme Religionen,<br />

wie besonders der Calvinismus gegenüber dem Katholizismus<br />

eine darstellt; aber der kindliche Wunsch nach einer Zugehörigkeit zu einem<br />

Vater im Himmel wird auch da noch befriedigt, wo dieser Vater als ein<br />

gar gestrenger Herr und Richter vorgestellt wird. Ich muß zugestehen,<br />

daß der religiöse Mensch Glücksstimmungen kennt, für welche der Monismus<br />

keinen Ersatz gewähren kann; die Frage scheint mir nur, ob die harte,<br />

an sich lieblose Wissenschaft berechtigt ist, ihren Jüngern ähnliche Glücksstimmungen<br />

vorzulügen, und geschähe es in der wohlwollendsten Absicht.<br />

Ich möchte den Unterschied der Stimmungen an einem Beispiele deutlich<br />

machen, das nicht so niedrig ist, wie es im ersten Augenblicke erscheinen mag;<br />

auch der fromme Denker Pascal hat sich — irrtümlich — zur Empfehlung<br />

des Glaubens auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung berufen. Wer in der<br />

Lotterie spielt und die naturgesetzlichen Bedingungen des für ihn günstigsten<br />

Falles gar nicht kennt, wer dazu mit optimistischer Einbildungskraft seinem<br />

Glücke vertraut und einen großen Treffer mit Sicherheit erwartet, der<br />

genießt unbestreitbar im Bauen von Luftschlössern ein beneidenswertes<br />

Gefühl; wer die Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung kennt, die ver­<br />

schwindend geringe Aussicht auf einen großen Treffer, wer dazu von Hause<br />

aus zum Pessimismus geneigt ist, der besitzt dieses Glücksgefühl nicht und<br />

tut gut daran, sich an dem Lotteriespiel gar nicht erst zu beteiligen. Ich<br />

habe in diesem Beispiele absichtlich den Unterschied zwischen Optimismus<br />

und Pessimismus hinzugefügt, weil er vielleicht auch beim Glauben an<br />

das Jenseits eine entscheidende Rolle spielt. Wer das Heil der Welt vom<br />

Monismus erwartet, ist auch ein Optimist; die Wissenschaft, mit der sich<br />

der Monismus so gern identifiziert, weiß von solchen Stimmungen ebensowenig<br />

wie die nüchterne Wahrscheinlichkeitsrechnung.<br />

Ostwald erblickt im Monismus auch darin einen Religionsersatz, daß<br />

die Einsicht in den naturgesetzlichen Ablauf des Lebens das Altern und den<br />

Tod leicht und schön macht, sich zum Bepredigen von Geburt und Ehe<br />

mindestens so gut benützen läßt wie ein Dogma, kurz die edelsten sozialen<br />

Regungen instinktiv werden läßt. Namentlich im Gegensatze zu den<br />

Schrecken vor ewigen Höllenstrafen rühmt Ostwald den friedvollen Lebensabschluß<br />

des Monisten, der an eine Fortdauer nicht glaubt. „So wirkt der<br />

Gedanke, nur ein Tropfen an dem Mühlrade des Lebens zu sein, der bestimmt<br />

ist, nach vollbrachtem Umlauf einzutauchen in die Flut der Ununterschiedenen,<br />

nichts weniger als trostlos und niederdrückend, sondern vielmehr<br />

klärend und beruhigend auf ihn, wie die Aussicht auf einen tiefen

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