Band 4 - m-presse
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Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />
dürfe eine Kirche (Zeller denkt aber bloß an die katholische) in der Ausübung<br />
der Kirchenzucht sein, in der Verhängung von Strafen für religiöse<br />
Verfehlungen; in Kürze erfahren wir, wie der Staat der Kirche nach und<br />
nach ganze Gruppen von Vergehungen zur Bestrafung abgenommen hat:<br />
Gotteslästerung, Meineid, Bigamie usw. Auf eine Untersuchung der Frage,<br />
ob die Kriminalität dieser und ähnlicher Vergehungen auch für die Staatsräson<br />
bestehe, läßt sich Zeller nicht ein. Und nur sehr vorsichtig auf die<br />
noch knifflichere Frage, ob die Ausnahmestellung des kirchlichen Adels,<br />
der Geistlichkeit, eine Berechtigung habe oder nicht. Überall schielt er —<br />
sehr liberal natürlich — nach den vermeintlichen Bedürfnissen der protestantischen<br />
Kirche hinüber und wird radikal nur in der Bewertung des<br />
Katholizismus. Die Unfehlbarkeit sei für den Staat unerträglich, weil<br />
der Geistliche durch dieses Dogma zum Sklaven werde, der Staat aber<br />
die Sklaverei abgeschafft habe (logischer Schluß aus einer bildlichen Anwendung<br />
von Begriffen); gegen die Aufrechterhaltung der gänzlich veralteten<br />
theologischen Fakultäten hat Zeller jedoch gar nichts einzuwenden:<br />
die privilegierten Kirchenbeamten müßten unterrichtet werden, wie man<br />
ja auch eine Lokomotive nicht einem ungeprüften Führer anvertraue<br />
(logischer Schluß nach falscher Analogie). Unbedingt offiziös wird Zeller,<br />
da er auch die religiösen Orden nicht als Privatvereine behandelt wissen<br />
will und dem Staate selbst ein Aufsichtsrecht über die Verwaltung des<br />
Vermögens von Kirchen und Stiftungen zubilligt. Und immer die selbstgerechte<br />
Unterscheidung zwischen Katholizismus und einem Protestantismus,<br />
wie Zeller ihn versteht; das Riesenvermögen der katholischen Kirche<br />
sei nicht selten in offenbar betrügerischer Weise gehäuft worden, aber die<br />
Reformation und jetzt der Altkatholizismus habe Teile dieses Vermögens<br />
mit gutem Rechte in Anspruch genommen. Überzeugend wird sodann das<br />
Recht des modernen Staates verteidigt, die Buchführung über Geburt,<br />
Heirat und Tod der Kirche abzunehmen und bürgerlichen Standesbeamten<br />
zu überweisen, insbesondere die obligatorische und nicht die fakultative<br />
Zivilehe einzuführen. Der Professor verlangt ganze Arbeit, wo<br />
der Reichskanzler mit ganzer Arbeit vorangegangen ist; wo der Minister<br />
nur halbe Arbeit geleistet hat, da ist auch der Professor unsicher: auf dem<br />
Gebiete der Schule. Eine entschiedene Trennung von Kirche und Schule<br />
wird nicht gefordert.<br />
Zeller weiß natürlich sehr gut, daß die unzweifelhaften Verdienste<br />
der Kirche um die Schule der Vergangenheit angehören, daß die heutige<br />
Wissenschaft sich fast überall im Kampfe mit der Kirche entwickelt hat, daß<br />
nicht einmal die Aufgaben der Volksschule etwas mit der Konfession zu<br />
tun haben, daß also die hohen wie die niederen Schulen logischerweise<br />
Kulturkampf 311<br />
von jedem kirchlichen Einflusse befreit werden müßten; aber er glaubt<br />
wie an ein Dogma an den Satz, daß der Staat dem Volke die Religion<br />
erhalten müsse, und fügt sich darum dem alten Herkommen, den sogenannten<br />
Religionsunterricht durch Geistliche der einzelnen Konfessionen erteilen<br />
zu lassen. In der Aufrechterhaltung der theologischen Fakultäten erblickt<br />
er eine Gewähr dafür, daß diese Geistlichen nicht willenlose Werkzeuge<br />
einer staatsfeindlichen Hierarchie sein werden. Auch Zeller empfindet<br />
es also nicht als eine unerträgliche Lüge, daß die der vorurteilslosen Wissenschaft<br />
geweihten Hochschulen veraltete Disziplinen anerkennen und durch<br />
ihre Anerkennung vor dem natürlichen Tode schützen; mit den gleichen<br />
Gründen könnte man den scheinwissenschaftlichen Betrieb jedes Aberglaubens<br />
verewigen, könnte man heute noch Professoren der Astrologie<br />
und der Alchimie von Staatsgeldern bezahlen, mit den gleichen Gründen<br />
könnte man den Todfeinden des eigenen Bodens und des eigenen Geistes<br />
Waffen liefern. Die Aufrechterhaltung der theologischen Fakultäten beweist<br />
überall die Unwahrhaftigkeit der übrigen Fakultäten oder doch ihre<br />
Abhängigkeit von der Politik, die eben nicht Wissenschaft ist.*)<br />
Nicht ganz so deutlich, aber doch ungefähr so, stellte sich zu dem wirklich<br />
kirchenfeindlichen "Kulturkampfe" die protestantische Gelehrtenwelt Deutschlands<br />
und mit ihr der Mittelstand, soweit er protestantisch oder freidenkerisch<br />
war. Wir haben schon gehört, wie unabhängig der Politik Bismarcks<br />
die Männer gegenüberstanden, die sich in Basel um den schon berühmten<br />
Historiker Jakob Burckhardt sammelten, und die wir jetzt, mit falscher<br />
Datierung, den Kreis von Nietzsche zu nennen pflegen; denn dieser wurde<br />
damals noch nicht ernst genommen. Da ist nun ein Brief von Franz Overbeck<br />
an Treitschke (vom 1. November 1873) sehr merkwürdig; der kritische Theologe<br />
empört sich darüber, wie der "Protestantenstolz" — so verstehe ich die<br />
Meinung — es geduldet habe, daß der Kampf um Geistesfreiheit mit den<br />
groben Mitteln der Gewalt geführt werde. "Staat und Kirche erscheinen<br />
uns dabei nur wie die zwei Mühlsteine, zwischen welchen die menschlichen<br />
Individuen zerrieben werden, und auf diese kommt es doch allein an."<br />
Immerhin ein Beispiel dafür, daß das siegreiche, endlich einige Deutschland<br />
mancherlei Kultur von der kleinen Schweiz hätte lernen können.<br />
Zu den Machtanbetern gehörte natürlich, neben den protestantischen<br />
Theologen, auch die ausgedehnte Gruppe der Offiziere, nicht allein die<br />
*) Ich kann nicht müde werden, den schmachvollen Skandal zu beklagen, daß die Universitäten<br />
die mittelalterliche Fakultät der Theologie in ihrem Körper dulden. Nach dem Umsturz<br />
von 1918 hätte da eine Radikaloperation Heilung schaffen können, als Konrad Haenisch<br />
für allzu kurze Zeit Unterrichtsminister in Preußen geworden war, —wenn nur nicht die<br />
gewandten katholischen Politiker die Oberhand gewonnen hätten über die nachgiebigen<br />
"Demokraten" und "Sozialdemokraten".