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Band 4 - m-presse

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310<br />

Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

dürfe eine Kirche (Zeller denkt aber bloß an die katholische) in der Ausübung<br />

der Kirchenzucht sein, in der Verhängung von Strafen für religiöse<br />

Verfehlungen; in Kürze erfahren wir, wie der Staat der Kirche nach und<br />

nach ganze Gruppen von Vergehungen zur Bestrafung abgenommen hat:<br />

Gotteslästerung, Meineid, Bigamie usw. Auf eine Untersuchung der Frage,<br />

ob die Kriminalität dieser und ähnlicher Vergehungen auch für die Staatsräson<br />

bestehe, läßt sich Zeller nicht ein. Und nur sehr vorsichtig auf die<br />

noch knifflichere Frage, ob die Ausnahmestellung des kirchlichen Adels,<br />

der Geistlichkeit, eine Berechtigung habe oder nicht. Überall schielt er —<br />

sehr liberal natürlich — nach den vermeintlichen Bedürfnissen der protestantischen<br />

Kirche hinüber und wird radikal nur in der Bewertung des<br />

Katholizismus. Die Unfehlbarkeit sei für den Staat unerträglich, weil<br />

der Geistliche durch dieses Dogma zum Sklaven werde, der Staat aber<br />

die Sklaverei abgeschafft habe (logischer Schluß aus einer bildlichen Anwendung<br />

von Begriffen); gegen die Aufrechterhaltung der gänzlich veralteten<br />

theologischen Fakultäten hat Zeller jedoch gar nichts einzuwenden:<br />

die privilegierten Kirchenbeamten müßten unterrichtet werden, wie man<br />

ja auch eine Lokomotive nicht einem ungeprüften Führer anvertraue<br />

(logischer Schluß nach falscher Analogie). Unbedingt offiziös wird Zeller,<br />

da er auch die religiösen Orden nicht als Privatvereine behandelt wissen<br />

will und dem Staate selbst ein Aufsichtsrecht über die Verwaltung des<br />

Vermögens von Kirchen und Stiftungen zubilligt. Und immer die selbstgerechte<br />

Unterscheidung zwischen Katholizismus und einem Protestantismus,<br />

wie Zeller ihn versteht; das Riesenvermögen der katholischen Kirche<br />

sei nicht selten in offenbar betrügerischer Weise gehäuft worden, aber die<br />

Reformation und jetzt der Altkatholizismus habe Teile dieses Vermögens<br />

mit gutem Rechte in Anspruch genommen. Überzeugend wird sodann das<br />

Recht des modernen Staates verteidigt, die Buchführung über Geburt,<br />

Heirat und Tod der Kirche abzunehmen und bürgerlichen Standesbeamten<br />

zu überweisen, insbesondere die obligatorische und nicht die fakultative<br />

Zivilehe einzuführen. Der Professor verlangt ganze Arbeit, wo<br />

der Reichskanzler mit ganzer Arbeit vorangegangen ist; wo der Minister<br />

nur halbe Arbeit geleistet hat, da ist auch der Professor unsicher: auf dem<br />

Gebiete der Schule. Eine entschiedene Trennung von Kirche und Schule<br />

wird nicht gefordert.<br />

Zeller weiß natürlich sehr gut, daß die unzweifelhaften Verdienste<br />

der Kirche um die Schule der Vergangenheit angehören, daß die heutige<br />

Wissenschaft sich fast überall im Kampfe mit der Kirche entwickelt hat, daß<br />

nicht einmal die Aufgaben der Volksschule etwas mit der Konfession zu<br />

tun haben, daß also die hohen wie die niederen Schulen logischerweise<br />

Kulturkampf 311<br />

von jedem kirchlichen Einflusse befreit werden müßten; aber er glaubt<br />

wie an ein Dogma an den Satz, daß der Staat dem Volke die Religion<br />

erhalten müsse, und fügt sich darum dem alten Herkommen, den sogenannten<br />

Religionsunterricht durch Geistliche der einzelnen Konfessionen erteilen<br />

zu lassen. In der Aufrechterhaltung der theologischen Fakultäten erblickt<br />

er eine Gewähr dafür, daß diese Geistlichen nicht willenlose Werkzeuge<br />

einer staatsfeindlichen Hierarchie sein werden. Auch Zeller empfindet<br />

es also nicht als eine unerträgliche Lüge, daß die der vorurteilslosen Wissenschaft<br />

geweihten Hochschulen veraltete Disziplinen anerkennen und durch<br />

ihre Anerkennung vor dem natürlichen Tode schützen; mit den gleichen<br />

Gründen könnte man den scheinwissenschaftlichen Betrieb jedes Aberglaubens<br />

verewigen, könnte man heute noch Professoren der Astrologie<br />

und der Alchimie von Staatsgeldern bezahlen, mit den gleichen Gründen<br />

könnte man den Todfeinden des eigenen Bodens und des eigenen Geistes<br />

Waffen liefern. Die Aufrechterhaltung der theologischen Fakultäten beweist<br />

überall die Unwahrhaftigkeit der übrigen Fakultäten oder doch ihre<br />

Abhängigkeit von der Politik, die eben nicht Wissenschaft ist.*)<br />

Nicht ganz so deutlich, aber doch ungefähr so, stellte sich zu dem wirklich<br />

kirchenfeindlichen "Kulturkampfe" die protestantische Gelehrtenwelt Deutschlands<br />

und mit ihr der Mittelstand, soweit er protestantisch oder freidenkerisch<br />

war. Wir haben schon gehört, wie unabhängig der Politik Bismarcks<br />

die Männer gegenüberstanden, die sich in Basel um den schon berühmten<br />

Historiker Jakob Burckhardt sammelten, und die wir jetzt, mit falscher<br />

Datierung, den Kreis von Nietzsche zu nennen pflegen; denn dieser wurde<br />

damals noch nicht ernst genommen. Da ist nun ein Brief von Franz Overbeck<br />

an Treitschke (vom 1. November 1873) sehr merkwürdig; der kritische Theologe<br />

empört sich darüber, wie der "Protestantenstolz" — so verstehe ich die<br />

Meinung — es geduldet habe, daß der Kampf um Geistesfreiheit mit den<br />

groben Mitteln der Gewalt geführt werde. "Staat und Kirche erscheinen<br />

uns dabei nur wie die zwei Mühlsteine, zwischen welchen die menschlichen<br />

Individuen zerrieben werden, und auf diese kommt es doch allein an."<br />

Immerhin ein Beispiel dafür, daß das siegreiche, endlich einige Deutschland<br />

mancherlei Kultur von der kleinen Schweiz hätte lernen können.<br />

Zu den Machtanbetern gehörte natürlich, neben den protestantischen<br />

Theologen, auch die ausgedehnte Gruppe der Offiziere, nicht allein die<br />

*) Ich kann nicht müde werden, den schmachvollen Skandal zu beklagen, daß die Universitäten<br />

die mittelalterliche Fakultät der Theologie in ihrem Körper dulden. Nach dem Umsturz<br />

von 1918 hätte da eine Radikaloperation Heilung schaffen können, als Konrad Haenisch<br />

für allzu kurze Zeit Unterrichtsminister in Preußen geworden war, —wenn nur nicht die<br />

gewandten katholischen Politiker die Oberhand gewonnen hätten über die nachgiebigen<br />

"Demokraten" und "Sozialdemokraten".

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