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Band 4 - m-presse

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62 Drittes Buch. Dreizehnter Abschnitt<br />

nicht heran. Wäre er nach dieser einen Tat nicht wieder für immer verstummt,<br />

er hätte der Stimmführer einer deutschen Revolution werden<br />

können.<br />

Forberg wurde 1770 in Sachsen-Altenburg geboren, habilitierte sich<br />

1792 in Jena, übernahm aber bald die Leitung einer Schule in Saalfeld.<br />

Er schrieb noch vor der Abhandlung, die uns hier allein angeht, einige andere<br />

Aufsätze für das "Philosophische Journal" von Fichte und Niethammer.<br />

Ein feiner, skeptischer Kantianer, der in der Geschichte der systematischen<br />

Philosophie keinen weiten Raum beanspruchen darf. Nach der großen Tat<br />

seines Lebens fand er sich philisterhaft zurecht; er nahm den Verweis der<br />

Regierung geduldig hin und blieb dafür ruhig in seinem Schulamte. Er<br />

starb 1848 als Geheimer Kirchenrat. Die Öffentlichkeit hörte nichts mehr<br />

von ihm, seine Erinnerungen hat er 1840 unter dem Titel "Lebenslauf<br />

eines Verschollenen" herausgegeben. Doch unter guten Freunden machte<br />

er aus seinem skeptischen Atheismus kein Hehl; 1821 schrieb er an Paulus:<br />

"Des Glaubens habe ich in keiner Lage des Lebens bedurft und gedenke<br />

in meinem entschiedenen Unglauben zu verharren bis ans Ende, was für<br />

mich ein totales Ende ist."<br />

Dieser bürgerlich zurückhaltende und dennoch aufrechte Mann bot<br />

also im Januar 1798 (oder etwas früher) dem Herausgeber des „Philosophischen<br />

Journals" den Beitrag an, den ich eben um seiner Freiheit willen<br />

über die bekanntesten Schriften der großen Enzyklopädisten stelle: „Entwickelung<br />

des Begriffs der Religion." Fichte (Niethammer war auch als<br />

Redakteur eine Null) hatte Lust, den unbequemen Beitrag abzulehnen;<br />

dann wollte er ihn mit Noten abdrucken, die vorsichtig den Standpunkt<br />

des Journals wahren sollten; als Forberg sich auf diese Form nicht einließ,<br />

nahm Fichte die verwegene Abhandlung endlich auf (im Frühjahr 1798)<br />

und schickte in einem besonderen Stücke "Über den Grund unseres Glaubens<br />

an eine göttliche Weltregierung" voraus, was er vorher in Anmerkungen<br />

hatte hinzufügen wollen. Um sich und seinem Journal den Magen warm<br />

zu halten, endete Fichte seine schwer verständliche Abhandlung mit den<br />

deistischen Glaubensbekenntnissen zweier "vortrefflicher Dichter": Goethe<br />

und Schiller.<br />

Erst gegen das Ende des Jahres kam es zu den erwarteten Folgen;<br />

auf Grund einer abscheulichen denunziatorischen Flugschrift „Schreiben<br />

eines Vaters" befaßte sich das geistliche Oberkonsistorium von Dresden<br />

(die Universität Jena hing nicht nur formell von allen sächsischen Regierungen<br />

ab) mit der Sache; zunächst wurde nur Forberg bedroht, dann aber<br />

erreichte es der alte Zorn gegen Fichtes republikanische und angeblich<br />

kommunistische Grundsätze, daß die Angriffe gegen Fichte lauter wurden<br />

Atheismusstreit 63<br />

und mehr in den Vordergrund traten. Im Dezember 1798 forderte die<br />

Regierung von Dresden die anderen sächsischen Regierungen (übrigens<br />

auch Braunschweig und, ohne Erfolg, Preußen) auf, Verfasser und Herausgeber<br />

der beiden Aufsätze "ernstlich bestrafen zu lassen".<br />

Bei fast allen Geschichtsschreibern der Philosophie ist weiterhin eigentlich<br />

nur noch von Fichte die Rede. Begreiflicherweise. Wenn man rubriziert,<br />

so nimmt Fichte in der Abteilung „Deutsche Philosophie", Unterabteilung<br />

„Die Nachfolger Kants", eine achtunggebietende Stellung ein,<br />

obgleich Fichte wie bald nachher Schelling und Hegel die große Leistung<br />

Kants, die Erkenntniskritik, wieder verleugnet hat. Für die Geschichte<br />

der religiösen Befreiung sind Fichte, Schelling und Hegel trotz aller Virtuosität<br />

in ihren Begriffsgebäuden kleine Leute. Für die religiöse Befreiung<br />

ist Forberg der einzige echte Schüler Kants; er hat in seiner Abhandlung Forbergs<br />

zugleich die Theologie und die Aufklärung wirklich überwunden, ganz im<br />

Sinne Kants; Gott ist ihm kein außerweltliches Wesen mehr, aber auch<br />

nicht mehr die Erfindung von Betrügern; Gott ist ihm ein Hilfsbegriff<br />

geworden, eine Fiktion.<br />

Religion ist nichts anderes als ein praktischer Glaube an eine moralische<br />

Weltregierung. Auf spekulative Begriffe von Gott kommt es nicht<br />

an, nicht auf Polytheismus oder Monotheismus, nicht auf Anthropomorphismus<br />

oder Spiritualismus. Wer an eine moralische Weltregierung<br />

glaubt, der hat Religion. Worauf gründet sich dieser Glaube? Nicht auf<br />

die Erfahrung; denn die Erfahrung würde mindestens lehren, daß ein<br />

böser Genius mit einem guten um die Herrschaft der Welt streite. Nicht<br />

auf die theoretische Spekulation; aus ihr ließe sich das Dasein des Teufels<br />

ebensogut oder ebensoschlecht beweisen wie das Dasein Gottes. Der Glaube<br />

gründet sich also einzig und allein auf das Gewissen. Religion entsteht aus<br />

dem Wunsch des guten Herzens, daß das Gute in der Welt die Oberhand<br />

über das Böse erhalten möge. Dieser Wunsch ist der einzige Glaubensartikel<br />

in der Republik der Gelehrten. Das Reich der Wahrheit ist nur ein<br />

Ideal. (Wer denkt da nicht an das große Wort Lessings!) Das Reich der<br />

Wahrheit wird zuverlässig niemals kommen. Der denkende Mensch wird<br />

gleichwohl so verfahren, als ob der Irrtum einmal gänzlich aussterben<br />

könnte und die Alleinherrschaft der Wahrheit zu erwarten wäre, das goldene<br />

Zeitalter des Rechts und der Liebe. Alle Rechtschaffenen gehören<br />

zu dieser einen, allein möglichen Kirche. Der denkende gute Mensch erkennt<br />

die Unsittlichkeit des Weltlaufs, aber eine innere Stimme fordert ihn auf,<br />

an einen göttlichen Plan zu glauben, an ein Reich der Wahrheit und des<br />

Rechts zu glauben. Er kann diese metaphysischen Vorstellungen weder<br />

beweisen noch widerlegen, er muß nur so handeln, als ob ein moralischer

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