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Band 4 - m-presse

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276 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />

auf die Revolutionäre der Literatur den Eindruck der Philistrosität machte,<br />

gegen alle Negationen unbeirrt bewahrte. Ein Freund Kellers, Baumgartner,<br />

der Komponist des Vaterlandliedes, schrieb ihm, Richard Wagner<br />

wirke mit seinem Feuer und seiner Energie auf ihn ähnlich, wie Feuerbach<br />

auf Keller; und Keller fühlte sich an Feuerbach erinnert, als er bald darauf<br />

in Berlin Hebbels "Judith" sah. Noch einige Jahre später, am 3. August<br />

1853, da er nach einer dummen, durch Kellers Unzuverlässigkeit in Geldsachen<br />

entstandenen Entfremdung den brieflichen Verkehr mit Hettner<br />

wieder anknüpft, urteilt er über „die tiefe und grandiose Monotonie<br />

Feuerbachs", die nur von Strohköpfen trivial und oberflächlich genannt<br />

werde, mit unveränderter Begeisterung. „Selbst wenn Feuerbach gänzlich<br />

auf dem Holzwege wäre, so wird es sich herausstellen, daß er für die<br />

Entwicklung des Gesamtzustandes und -bewußtseins unendlich wichtiger<br />

und wesentlicher war, als alle die Herren zusammen," nämlich als die<br />

Heidelberger Professoren mit ihrem kleinlichen Autoritätsneid. Für Keller,<br />

der keine metaphysischen Anlagen hatte, keine religiöse Intoleranz, kurz,<br />

keinen Sinn für dogmatische Wortstreitigkeiten, kam es einzig und allein<br />

darauf an, ob der Atheismus ihn in seiner Lebensfreude und in seinem<br />

Poetenberufe nicht störte. Und zuversichtlich ruft er (am 27. März 1851)<br />

seinem Freunde Baumgartner zu: „Im Gegenteil! Die Welt ist mir<br />

unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist wertvoller und intensiver,<br />

der Tod ernster, bedenklicher, und fordert mich nun erst mit aller<br />

Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein Bewußtsein zu reinigen<br />

und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in irgendeinem<br />

Winkel der Welt nachzuholen. Es kommt nur darauf an, wie man<br />

die Sache auffaßt; man kann für den sogenannten Atheismus ebenso<br />

schöne und sentimentale Reden führen, wenn dies einmal Bedürfnis ist,<br />

als für die Unsterblichkeit usf.; und diejenigen Tröpfe, welche immer von<br />

höheren Gefühlen sprechen und unter Atheismus nichts weiter als rohen<br />

Materialismus zu verstehen imstande sind, würden freilich auch als Atheisten<br />

die gleichen grobsinnlichen und eigensüchtigen Bengel bleiben, die<br />

sie als 'höhere' Deisten schon sind. Ich kenne solche Herren!" (Er hat<br />

so eine Karikatur eines Feuerbachianers nachher im Peter Gilgus lustig<br />

genug gezeichnet.) Er sei nicht intolerant, wolle nichts von Hohn und<br />

Aufdringlichkeit wissen, halte nicht jeden für einen kompletten Esel, der<br />

an Gott und Unsterblichkeit glaube. „Nur für die Kunst und Poesie ist<br />

von nun an kein Heil mehr ohne vollkommene geistige Freiheit und ganzes<br />

glühendes Erfassen der Natur ohne alle Neben- und Hintergedanken;<br />

und ich bin fest überzeugt, daß kein Künstler mehr eine Zukunft hat, der<br />

nicht ganz und ausschließlich sterblicher Mensch sein will."<br />

"Der grüne Heinrich" 277<br />

Keller war also in seinem ebenso klaren wie unerweislichen Verhältnisse<br />

zum Weltganzen dorthin gelangt, wo wir mit unserer gottlosen Mystik *)<br />

zu stehen glauben; er war so durch den verhegelten, begriffsgläubigen<br />

Feuerbach hindurch doch über Feuerbach hinausgelangt. Wir haben gesehen,<br />

wie der reife Dichter das im "Verlorenen Lachen" herrlich zum Ausdruck<br />

brachte. Seine inneren Seelenkämpfe sind aber schon dargestellt, unruhiger<br />

in der ersten Fassung, überlegener in der zweiten Fassung, in seinem<br />

Lebensromane, dem "Grünen Heinrich", der ja von Anfang an kein<br />

Künstlerroman, sondern ein Erziehungsroman werden sollte. Wie dieses<br />

Werk entstand, wie der Dichter — als bürgerlicher Schriftsteller oft recht<br />

angreifbar — den Plan seit seinem zweiundzwanzigsten Jahre immer<br />

wieder änderte, den Verleger über die Druckfertigkeit der Handschrift<br />

gründlich täuschte und endlich den Schluß unter dem Zwange seines Vertrages<br />

widerwillig nur so hinschleuderte, das geht uns hier fast nichts an.<br />

Genug daran, daß (nach der Inhaltsangabe, mit welcher Keller seinen<br />

Verleger doch auch foppen wollte, was die Bereitschaft zur Drucklegung<br />

betraf) die erziehliche Hauptabsicht des Buches war: "daß derjenige, dem<br />

es nicht gelingt, die Verhältnisse seiner Person und seiner Familie in sicherer<br />

Ordnung zu erhalten, auch unbefähigt ist, im bürgerlichen Leben seine<br />

wirksame Stellung einzunehmen." Nur ein Nebenzug sollte die aufgeklärte<br />

Religiosität sein, welche darauf hinausläuft, daß in einem unberechtigten<br />

Vertrauen auf einen Gott, an den man nur halb glaubt, die<br />

Lösung aller Wirren und ein vom Himmel fallendes Glück erwartet wird.<br />

Es ist bekannt, daß der Held der ersten Fassung zugrunde geht, wie Werther<br />

sich erschießt (auch der grüne Heinrich sollte ursprünglich durch Selbstmord<br />

enden); es ist bekannt, daß in der zweiten Fassung die Selbstbiographie<br />

weitergeführt wird und der grüne Heinrich so ungefähr als Staatsschreiber<br />

und Junggesell zur Ruhe kommt. Der Nebenzug der religiösen Kämpfe<br />

aber, der erst nach der Bekanntschaft mit Feuerbach in den Plan hineingekommen<br />

war, wird in der ersten Fassung und bleibt in der zweiten der<br />

Höhepunkt.<br />

*) Man darf bei dem scheinbar so nüchternen Gottfried Keller unbedenklich von Mystik<br />

reden. Ich erinnere nur an die Stelle ("Grüner Heinrich", IV, S. 286), wo der freidenkerische<br />

Graf die Zweizeiler von Angelus Silesius vorliest und dann ausruft: "Alles dies<br />

macht beinahe vollständig den Eindruck, als ob der gute Angelus nur heute zu leben brauchte<br />

und er nur einiger veränderter äußerer Schicksale bedürfte, und der kräftige Gottesschauer<br />

wäre ein ebenso kräftiger und schwungvoller Philosoph unserer Zeit geworden!" Und der<br />

Dichter fügt sehr fein hinzu, Angelus wäre auch heute noch durch gewisse Elemente von Frivolität<br />

und Geistreichigkeit im mystagogischen Lager festgehalten worden. Ich brauche wohl<br />

nicht erst zu versichern, daß ich den himmlisch heiteren Keller nicht für die angstgejagte Mystik<br />

des Mittelalters in Anspruch nehme, noch weniger für irgendeine schwindelhafte Mystagogie<br />

oder Theosophie der Gegenwart, sondern allein für gottlose Mystik einer nahen Zukunft.

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