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Band 4 - m-presse

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116 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt<br />

auf Existenz. Und doch hat Menger gut gesehen, auf wie viele Kulturbestrebungen<br />

der moderne Staat verzichten mußte, um nicht den Unwillen<br />

mächtiger Religionsgenossenschaften zu reizen; hat also gut gesehen, daß<br />

auch der moderne Staat noch die Kirche als seine Herrin anerkennt.<br />

Immer wieder wird der neue Wein in alte Schläuche gegossen, von<br />

den deutschen Wissenschaftlern ebenso artig wie von den französischen<br />

Utopisten; will man aber das Bild von den alten Schläuchen nicht gelten<br />

lassen, so erinnere man sich der ganz freien Worte, die Lessing (2. Februar<br />

1774) an seinen Bruder Karl gerichtet hat, um die besondere Art seiner<br />

eigenen Aufklärungsarbeit groß gegen die kleinen Berliner zu verteidigen.<br />

"Nicht das unreine Wasser, welches längst nicht mehr zu brauchen, will<br />

ich beibehalten wissen: ich will es nur nicht eher weggegossen wissen, als bis<br />

man weiß, woher reineres zu nehmen; ich will nur nicht, daß man es ohne<br />

Bedenken weggieße, und sollte man auch das Kind hernach in Mistjauche<br />

baden. Und was ist sie anders, unsere neumodische Theologie, gegen die<br />

Orthodoxie, als Mistjauche gegen unreines Wasser?" Und man gedenke<br />

dieser Stelle und des folgenden Absatzes in dem Briefe an seinen Bruder<br />

stets, wenn die Hoheit Lessings wieder einmal erst bewiesen werden sollte.<br />

Von Hoheit des Standpunktes kann freilich nicht die Rede sein, wenn die<br />

französischen Utopisten in geistiger Not, die deutschen Wissenschaftler in<br />

geistiger Abhängigkeit das unreine Wasser der Theologie irgendwie beibehalten<br />

wissen wollten. In zahlreichen Schriften über den Sozialismus,<br />

die ich nicht zu Ende zu lesen vermochte, wurde in den letzten Jahrzehnten<br />

eine solche Verquickung von Sozialismus und Christentum versucht und<br />

für Politik ausgegeben. Eine der neuesten dieser Schriften verdient mehr<br />

Beachtung, weil ihr Verfasser Stammler ist, der sich um das „richtige<br />

Recht" bemüht hat oder um die unlösbare Aufgabe, das substantivische,<br />

mythologische Recht mit dem adjektivischen, erlebten Rechtsgefühle in<br />

Übereinstimmung zu bringen. Auch sind die Vorträge, aus denen das<br />

ehrlich idealistische kleine Buch hervorgegangen ist, erst nach dem Zusammenbruch<br />

von 1918 gehalten worden, also in voller äußerer Freiheit. "Sozialismus<br />

und Christentum, Erörterungen zu den Grundbegriffen und den Grundsätzen<br />

der Sozialwissenschaft" von Rudolf Stammler (Verlag von Felix<br />

Meiner, Leipzig, 1920). Der Verteidiger des richtigen Rechts hat mancherlei<br />

Verdienste um die Säuberung der Begriffe, mit denen Jurisprudenz<br />

und Sozialismus seit Jahrzehnten gedankenlos gearbeitet hatten; zu einem<br />

Schüler Kants, des Systematikers Kant, hätte man ihn freilich nicht machen<br />

sollen, denn sein richtiges Recht ist immer nur ein relatives, kein ideales<br />

Recht; ein Kantianer wäre Stammler nur dann, wenn er schon vor zwanzig<br />

Jahren an den Kant der Als-ob-Philosophie gedacht hätte. In seinem Buche<br />

Christentum und Sozialismus 117<br />

von 1920 ist er eigentlich ein Gegner der sozialistischen Bewegung und lehnt<br />

vor allem, wenn auch ohne tiefere Kritik, die Lehren der materialistischen<br />

Geschichtsauffassung ab, weil sie unfertig seien; in Wahrheit war Marx<br />

zu seiner materialistischen Weltanschauung dadurch gekommen, daß er die<br />

Beweggründe alles wirtschaftlichen Wollens als materialistisch erkannt<br />

hatte, Stammler aber verwarf die materialistische Erklärung von Nationalökonomie<br />

und aller Geschichte nur darum, weil seine Weltansicht<br />

idealistisch war. Aus einem verschwommenen Idealismus heraus gelangt<br />

Stammler dazu, der Staatsreligion (wenn es eine solche noch gibt)<br />

mit einem Brustton zu huldigen, den auch Menger noch nicht für nötig<br />

gehalten hatte; die Kirche wird allerdings nicht ausdrücklich anerkannt,<br />

aber das Evangelium soll dem grundsätzlich richtigen Wollen bestens entsprechen,<br />

soll nur in Übereinstimmung mit dem Gebote eines höchsten<br />

Wesens bestehen können, soll also durchaus mit dem Sozialismus ausgesöhnt<br />

werden. Wieder vernehmen wir den leidigen Ton, der uns hernach<br />

— sobald uns die geschichtliche Darstellung dahin führen wird — bei Lotze<br />

und bei Eucken zum Widerspruche reizen muß, wieder ist ein Abschnitt,<br />

der letzte sogar, "Der Sinn des Lebens" überschrieben. Das Christentum<br />

wird da die erhabenste Ausgestaltung alles je erlebten religiösen Empfindens<br />

genannt, seine alte und niemals alternde Aufgabe; wohlgemerkt, Stammler<br />

will den Anspruch nicht verlieren, ein moderner Mensch zu heißen: er redet<br />

überall nicht von den Dogmen der Kirche, sondern von dem sachlichen<br />

Kern, von dem unverlierbaren Gehalt einer christlichen Lehre, ohne<br />

sich darum zu bekümmern, daß die Kirche den Kern oder den Gehalt<br />

preisgibt, so oft sie politische Gründe zu haben glaubt, den Sozialismus<br />

zu bekämpfen.<br />

Mein Wunsch, die Beziehungen zwischen Sozialismus und Religion<br />

bis nahe an die Gegenwart heran zu verfolgen, einige christliche und einige<br />

unchristliche Nebenströmungen aufzuzeigen, hat mich weitab geführt von<br />

den ersten Franzosen und von dem überragenden Manne, der bereits im<br />

Anfange der Bewegung, völlig frei von jeder geoffenbarten Religion,<br />

eine Philosophie des Sozialismus und die Philosophie des Positivismus<br />

dazu geschaffen hatte.<br />

Ich habe in dem geschichtlichen Zusammenhange vorhin diesen französischen<br />

Sozialistenführer noch nicht genannt, der sich mit Marx an wirtschaftpolitischer<br />

Wirkung nicht messen kann, der aber einen geistigen Samen<br />

gesät hat, dessen Frucht heute noch nicht völlig in die Scheuer gebracht<br />

worden ist: Auguste Comte. Immer noch lernt man von ihm, in England<br />

und Amerika, in Frankreich und in Deutschland. Seine geschichtliche Weltansicht<br />

war ebenso groß wie die Hegels; er war mit seinem Positivismus

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