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Band 4 - m-presse

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176 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

und Hegel ihre Unterwerfung unter die Landeskirche anzukreiden; bei<br />

einer solchen Gelegenheit heißt es (Vorrede zur 3. Auflage des "Willen<br />

in der Natur") schroff genug: "Auf Offenbarungen wird, in der Philosophie,<br />

nichts gegeben; daher ein Philosoph, vor allen Dingen, ein Ungläubiger<br />

sein muß." Schopenhauer, nicht Spinoza, verdient den Ehrennamen<br />

eines Fürsten des Atheismus.*)<br />

Hegels Schute Schopenhauers Hauptwerk in seiner ersten Auflage (von 1819), die<br />

übrigens auch noch nicht die polemisch hinreißende Kraft der späteren Werke<br />

besaß, war (wie gesagt) kaum beachtet worden; die deutsche Geistesbewegung<br />

blieb bis zur Julirevolution, eigentlich bis zum Jahre 1848, unter dem<br />

Banne von Hegel**) und seiner vom preußischen Staate begünstigten,<br />

vom orthodoxen Protestantismus zurechtgestutzten Religionsphilosophie.<br />

Erst die Junghegelianer rebellierten, weil sie Schüler des Saintsimonismus<br />

waren, der das Christentum in eine sozial-humanitäre Moral umzudeuten<br />

suchte. Den Ausdruck "Junghegelianer" oder "Rechtshegelianer"<br />

hat Strauß geprägt, nach der Bezeichnung der Parteien in den Parlamenten.<br />

Straußens letzter Sturmangriff gegen den Kirchenglauben<br />

(„Im Sturme hast du angefangen, im Sturme sollst du enden", dichtete<br />

er selbst) erfolgte zwar erst 1872, aber sein erstes "Leben Jesu" ist von 1835,<br />

und so muß ich und will ich seine Gestalt schon hier erscheinen lassen, vor<br />

Feuerbach; auch weil er damals noch ganz unbeeinflußt war von der religiösen<br />

und philosophischen französischen Romantik, vielmehr mit „deutscher"<br />

Gründlichkeit nur die Arbeit des 18. Jahrhunderts, die Arbeit von<br />

*) Schopenhauer hat in seinem Judenhaß manches schnöde Wort über den Amsterdamer<br />

Juden gesündigt; er muß ihn aber doch sehr hoch gestellt haben, da er sich einmal<br />

(Neue Paralipomena § 629) — fast kindisch — rühmte, ganz genau 111 Jahre nach Spinoza<br />

geboren worden zu sein: das eitle Spiel rechnet auch noch den Geburtstag Schopenhauers<br />

aus dem Todestage Spinozas heraus.<br />

**) Eigentlich wirkten überall auch die Erben von Kants bestem Kritizismus nach, die<br />

Neu-Kantianer, die sich nur nicht so nannten. Zwei Menschenalter, bevor ein neues Geschlecht<br />

Fries und den alten Fries zum führenden Philosophen zu ernennen suchte, hatte bereits Ernst Friedrich<br />

Apelt (geb. 1815, gest. 1859) den Deismus dieses rationalistischen Kantianers erneuert.<br />

Schon in seinem lesenswerten Buche "Die Epochen der Geschichte der Menschheit" (1845),<br />

das noch nicht die Religion zum Hauptgegenstande hat. In einem Kapitel über das Verhältnis<br />

der religiösen Entwicklung zur Philosophie und Naturwissenschaft (1, S. 306--375)<br />

begründet er vorurteilslos und oft anregend die damals noch überraschende Meinung, daß<br />

nicht durch die Reformation, sondern durch die physikalischen Entdeckungen die Aufklärung<br />

und die Befreiung des Staates von der Übermacht der Kirche herbeigeführt worden sei.<br />

Vielleicht stand er bereits unter dem Einflusse von D. F. Strauß, als er die folgenden Sätze<br />

niederschrieb (S. 320): „Das Gewand der Mythen, das noch heut am Tage die religiöse<br />

Wahrheit umgibt, wird einst fallen; der Glaube an den Gekreuzigten so gut wie der an den<br />

arabischen Propheten oder die Gegenwart des Buddha in der Person des Dalai Lama. Es<br />

wird eine Zeit kommen, wo man nicht mehr glauben wird im Vertrauen auf die göttliche<br />

Sendung eines Propheten, sondern kraft der Einsicht in des Geistes eigene Wahrheit. Alsdann,<br />

wann diese Zeit erfüllet ist, wird die Wahrheit ihr Licht nicht mehr von dem trügerischen<br />

D. F. Strauß 177<br />

Reimarus und Voltaire, er wurde der Biograph des einen und des anderen,<br />

fortzusetzen glaubte: den Angriff der Wissenschaft gegen das positive<br />

Christentum.<br />

Für die Entwicklung dieses ehrlichen und tapferen David Friedrich D.F.Strauß<br />

Strauß wie für die ungeheure Macht des Vorurteils ist es bezeichnend, daß<br />

der Verfasser des "Leben Jesu" (ich zitiere nach der 3. Auflage von 1839)<br />

es noch für richtig hält, den Namen eines Freigeistes abzulehnen, er, der<br />

das Hauptgeschäft der englischen free-thinkers zu einem siegreichen Ende<br />

geführt hatte. In der Schlußabhandlung, nachdem er jedes wunderbare<br />

Ereignis im Leben Christi (nicht die Person selbst) als eine Mythe nachgewiesen<br />

hatte, die gesamte Christologie also zerstört hatte, bevor er nach dem<br />

Rezepte Hegels (das Vernünftige ist auch wirklich) die Idee des Christentums<br />

als real in der Menschengattung nachzuweisen und so "auf höhere<br />

Weise" zum orthodoxen Standpunkte zurückzulenken versuchte, findet<br />

sich folgende Stelle (II, S. 719): "Sofern er (der Kritiker) sich nämlich<br />

vom Naturalisten und Freigeist unterscheidet, sofern seine Kritik im Geiste<br />

des 19. Jahrhunderts wurzelt, und nicht in früheren: ist er mit Achtung<br />

vor jeder Religion erfüllt, und namentlich des Inhalts der höchsten Religion,<br />

der christlichen, als identisch mit der höchsten philosophischen Wahrheit<br />

sich bewußt, und wird also, nachdem er im Verlaufe der Kritik durchaus<br />

nur die Seite des Unterschieds seiner Überzeugung vom christlichen Geschichtsglauben<br />

hervorgekehrt hat, das Bedürfnis fühlen, nun ebenso auch<br />

die Seite der Identität zu ihrem Rechte zu bringen." Ich kann nicht glauben,<br />

Dämmerschein der Sage borgen, sondern durch sich selbst heilig sein." Eine nicht ganz selbständige,<br />

doch gute Übersicht über die Geschichte des englischen Deismus und der Toleranzforderung<br />

führt zu der Form, die diese Gedanken in Deutschland gewannen, durch Kant und<br />

dann über Schelling und Hegel hinweg durch Fries. Bemerkenswert an dieser Skizze der<br />

neueren Religionsphilosophie scheint mir eine nicht einmal schlecht begründete Abneigung<br />

gegen den Pantheismus Spinozas; die natura naturans scheint ihm eine leere Abstraktion,<br />

ohne Dasein, ohne Wirklichkeit, ein Unding, ein bloßes Wort. Apelt hat darin Recht behalten,<br />

daß der Spinozismus, wie die Folgezeit gelehrt hat, keinen Schutz gewährte gegen die Ausbreitung<br />

des Materialismus und des Monismus, wenigstens nicht der landläufige Spinozismus<br />

der nüchternen Gesellen, die sich bei uns Spinozisten nennen. Über das Ganze des<br />

Kantischen Systems macht der Friesianer Apelt vortreffliche Bemerkungen, besonders die,<br />

daß Kants Vorstellungen von der Teleologie schon sehr früh feststanden, lange vor seinen<br />

entscheidenden erkenntniskritischen Gedanken, daß daher ein durchgehender Widerspruch in<br />

Kants System trat, sein transzendentales Vorurteil, und daß darum eine Fortbildung der<br />

Kantischen Lehre durch Fries und durch dessen Überwindung des transzendentalen Vorurteils<br />

notwendig wurde; was übrigens weniger gegen Kant selbst gerichtet ist, als gegen Fichte,<br />

Schelling und Hegel. (Man würde heute übrigens das transzendentale Vorurteil auch an<br />

Schopenhauer bemerken und tadeln.) Fries verhalte sich zu Kant wie Newton zu Kepler.<br />

Jakob Friedrich Fries (geb. 1773, gest. 1843) hat aber die "Kritik der Urteilskraft" höher<br />

gestellt als die beiden anderen, berühmteren Kritiken. Er hat die Metaphysik abgelehnt und in<br />

Kant fast nur den bahnbrechenden Psychologen und Anthropologen gefeiert; religiöse Gegenstände<br />

gehören nicht zu den „Erscheinungen", von denen allein wir etwas wissen können.

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