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Band 4 - m-presse

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112 Viertes Buch. Zweiter Abschnitt<br />

tausend erzwungen haben: Rettung der Gesellschaft durch äußere und<br />

innere Befreiung des Weibes.<br />

Der feinste Geist unter den französischen Sozialisten, kein Kommunist,<br />

eher ein Anarchist und darum oder darin der vorbildliche Führer für Gustav<br />

Landauer, war J. P. Proudhon (geb. 1809, gest. — lange vorher ein gebrochener<br />

Mann — 1865); in jüngeren Jahren mit Karl Marx befreundet,<br />

dann — nach maßlosen Angriffen*) — mit ihm entzweit; ein glänzender<br />

Schriftsteller, der auch der geltenden Sprachwissenschaft gegenüber seine<br />

Freiheit wahrte. Die Revolution von 1848 hob ihn empor, die Reaktion<br />

unter Napoleon III. vernichtete bald darauf ihn und sein Werk.<br />

Marx In Deutschland gab es noch viele Jahrzehnte nach dem romantischen<br />

Saintsimonismus keine politische Gelegenheit, die Lehren des Sozialismus<br />

zu erproben. Phantasievoll und nüchtern zugleich bildete hier Karl Marx<br />

(geb. 1818, gest. 1883), der Abstammung nach Jude, das System aus, das<br />

auf jeden Zusammenhang mit dem Christentum, auch mit dem vermeintlichen<br />

Kommunismus des Urchristentums, verzichtete und einerseits den<br />

Neubau der Welt auf die Idee gründete, anderseits die Idee auf eine<br />

materialistische Geschichtsauffassung. Nationalökonomisch bedingt war für<br />

ihn jede geistige Erscheinung, also auch die Religion. Materialistisch die<br />

Auffassung jeder geschichtlichen Erscheinung, bis zuletzt die ganze Weltansicht<br />

materialistisch, beschränkt ungeistig wurde. Die französischen Arbeiter<br />

konnten sich als Sozialisten noch für Christen halten. Die deutschen<br />

Arbeiter, die auf Marx und Lassalle schworen, wollten das religiöse Bedürfnis<br />

ausschalten. Und doch war Marx, außer von Ruge, Bruno Bauer<br />

und Feuerbach (die selbst unter französischen Einflüssen standen), auch von<br />

Comte hergekommen, wie wir seit einer Untersuchung von Masaryk genauer<br />

wissen. So ist die internationale Sozialdemokratie (heute noch trotz<br />

aller inneren Kämpfe im Banne von Marx) ein Abkömmling der französischen<br />

Revolution, in ihrer Religions- und Kirchenfeindschaft jedoch geschult<br />

von deutschen Juden. Marx selbst schon hat später Glaubensfragen<br />

*) Marx setzte seine Angriffe nach dem Tode Proudhons unerbittlich fort. Sprühend<br />

geistreich zeigt er (1865), wie erbärmlich Proudhon Hegel verstanden und wie noch erbärmlicher<br />

er die Dialektik Hegels angewandt habe. Lange vorher hatte er den Philosophen<br />

gegen Proudhon ausgespielt. "Ganz sicher hat Herr Proudhon den Franzosen einen Schreck<br />

einjagen wollen, indem er ihnen quasi Hegelsche Phrasen an den Kopf warf . . . In Frankreich<br />

hat er das Recht, ein schlechter Ökonom zu sein, weil man ihn für einen tüchtigen deutschen<br />

Philosophen hält; in Deutschland dagegen darf er ein schlechter Philosoph sein, weil er<br />

für einen der stärksten französischen Ökonomen gilt" ("Das Elend der Philosophie" 1847).<br />

Aber schon Marx weiß die religiöse Freidenkerei Proudhons zu rühmen: "Seine Angriffe<br />

gegen Religion, Kirche usw. besitzen ein großes lokales Verdienst zu einer Zeit, wo die französischen<br />

Sozialisten es für passend hielten, dem bürgerlichen Voltairianismus des 18. und<br />

der deutschen Gottlosigkeit des 19. Jahrhunderts durch Religiosität überlegen zu sein."<br />

Karl Marx 113<br />

wie eine Privatsache betrachtet, die die Partei nichts angingen; wie sehr<br />

er aber, beinahe bereits ein Dreißiger, fanatisch war im Hasse gegen die<br />

positiven Religionen, wie er sogar der veralteten Betrugshypothese (des<br />

Buches von den drei Betrügern) leidenschaftlich zustimmte, ist leicht zu<br />

erfahren.<br />

Im "Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung"<br />

(<strong>Band</strong> VIII, S. 389 ff.) hat Max Nettlau Auszüge aus den<br />

Protokollen des späteren "Kommunistischen Arbeiter-Bildungsvereins"<br />

in London veröffentlicht. Dieser Darstellung ist zu entnehmen, daß Marx<br />

damals (1847) ein fanatischer Feind des Christentums war und in seinem<br />

Fanatismus jeden kritischen Maßstab verloren hatte. In der Sitzung vom<br />

30. November berichtet Marx über das eben erschienene Buch von Daumer<br />

"Die Geheimnisse des christlichen Altertums", das nichts mehr und nichts<br />

weniger bewiesen zu haben glaubte, als daß die Christen wirklich Menschen<br />

geschlachtet und im Abendmahl Menschenfleisch gegessen und Menschenblut<br />

getrunken hätten, daß das ursprüngliche Christentum molochistischer Mystizismus<br />

gewesen wäre, von Anfang an Mord und Tod gepredigt hätte, eine<br />

Gottheit von allerbösartigstem Charakter, einen fieberhaften Wahnsinn<br />

der Negation. Daumer hat nachher, als er sich wieder zum Katholizismus<br />

bekehrt hatte, alle diese Beschuldigungen zurückgenommen, indem er alle<br />

diese Schändlichkeiten gewissen Ketzern zuschrieb und nicht mehr den rechtgläubigen<br />

Christen. Marx aber war von der Hypothese Daumers bezaubert;<br />

sie habe endlich den praktischen Kultus des Christentums untersucht, nachdem<br />

vorher die deutsche Philosophie nur eine Kritik der Religion und ihrer<br />

Grundsätze geliefert habe. Daumers Buch erkläre zur Genüge, warum die<br />

Römer, die sonst alle Religionen duldeten, die Christen verfolgt haben, und<br />

warum die Christen später die ganze heidnische Literatur, welche gegen das<br />

Christentum gerichtet war, vernichtet haben. Das Christentum habe durch<br />

Daumer den letzten Stoß bekommen. (Das Protokoll ist an dieser Stelle<br />

sehr unklar.) Die alte Gesellschaft gehe zu Ende und das Gebäude des<br />

Betrugs und der Vorurteile stürze zusammen.<br />

Ohne besondere Bedeutung ist es, daß Daumers Buch auf die Empfehlung<br />

des Redners hin für die Bibliothek des Arbeiter-Bildungsvereins<br />

angeschafft wurde; aber beachtenswert ist es doch, daß Karl Marx, fast<br />

dreißig Jahre alt, nur ein Jahr vor der Ausgabe des kommunistischen<br />

Manifests, enthusiastisch und unkritisch genug war, um die ebenso freidenkerische<br />

wie falsche Geschichtsklitterung Daumers gutzuheißen und zu<br />

empfehlen. Er hat später seinen kirchenfeindlichen Fanatismus gemildert,<br />

aber an seinem idealen Enthusiasmus festgehalten, und das Bündnis, das<br />

mehr als fünfzig Jahre später just die Marxisten mit der Kirche schlossen,

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