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Band 4 - m-presse

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206 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

Richtungen der dialektischen Methode zugleich überwunden hat: die orthodoxe<br />

sowohl als die kritische. Was aber die geistige Herkunft der Junghegelianer,<br />

insbesondere der Bruno Bauer und Max Stirner von Hegel selbst<br />

betrifft, so halte man in Gedanken fest, daß Hegel in der Tat den Gott<br />

annihiliert hatte, da er diesen Gott (den persönlichen Gott der Kirche) erst<br />

im Bewußtsein (und wir wissen von keinem anderen Bewußtsein als dem<br />

im Menschen) zu sich selber kommen ließ, da er also eigentlich — nicht<br />

viel anders als Feuerbach, nur versteckter — die Religion anthropologisierte,<br />

in Hominismus wandelte. Nur weil die radikalen Schüler Hegels unseren<br />

höheren Standpunkt der Distanz nicht einnehmen konnten, bemerkten sie<br />

nicht, daß sie Kämpfer in der gleichen Front waren, und befehdeten einander<br />

wie es Strauß und Bruno Bauer mit trauriger Verbissenheit taten.<br />

Und erkannten, alle, nicht die Kraft, mit welcher Stirner, lachend, die<br />

allerletzten Folgerungen aus der Hegelei zog. Dazu kam, daß just Bruno<br />

Bauer sich erst langsam aus der Orthodoxie losmachen mußte, bevor er<br />

Kritik an sich, Kritik um jeden Preis, predigte und mit diesem Extrem,<br />

auch weil er die Waffe einer Zeitschrift besaß, die Führung der Partei für<br />

einige Jahre an sich riß. Wir können heute die Rolle kaum mehr begreifen,<br />

die Bruno Bauer im vormärzlichen Deutschland spielte; seine wissenschaftliche<br />

Leistung erscheint uns zu klein, wenn wir sie auch nur an der von<br />

D. F. Strauß messen. In der Bibelkritik ist er fast rückständig, da er mit<br />

seiner Lehre von einer individuellen Fälschung der späteren Evangelien<br />

doch eigentlich zur Betrugshypothese zurückkehrt, während Strauß in<br />

seinem Mythos etwas wie Volkspoesie angenommen hatte. Bauers Streitigkeiten<br />

um die einzelnen Evangelien sind längst überholt und der Zorn,<br />

mit welchem die Rechts- und die Linkshegelianer einander die Schimpfworte<br />

"Pantheist" und "Atheist" an den Kopf warfen, wirken auf uns fast<br />

erheiternd, weil beide Parteien sich bei diesen scheinbar entgegengesetzten<br />

Begriffen ungefähr das gleiche dachten. Es ist nicht zu verkennen, daß<br />

Bruno Bauer, dessen Lieblingsbegriff das Wort "Kritik" war, in der Ablehnung<br />

des Christentums weiter gegangen ist als irgendein Theologe vor<br />

ihm; aber er beging den Fehler, auch dann noch Theologe sein und als<br />

Theologe wirken zu wollen, als er sich bereits durch seine Bücher (besonders<br />

durch die "Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker") aus der<br />

Theologie hinausgeschrieben hatte. Bruno Bauer (geb. 1809, gest. 1882)<br />

lebte länger als Strauß, den er überbieten wollte, er schrieb — nach seiner<br />

Vertreibung von der Bonner Universität — mancherlei historische und<br />

politische Bücher, aber er wurde nicht wie Strauß ein freier Schriftsteller.<br />

Er war zu theologisch gewesen, um wieder ganz einfach logisch werden zu<br />

können. Auch sein Atheismus, der unverkennbar das Ziel seiner Kritik<br />

Bruno Bauer 207<br />

der Synoptiker ist, ist — wenn ich so sagen darf — ein unlogischer, ein<br />

hegelpfäffischer Atheismus. Die christliche Religion, die dort einsetze, wo<br />

Natur, Familie, Staat, Weltherrschaft nicht mehr im Bewußtsein seien,<br />

könne ebensogut die Spitze wie das Ende aller Religionen genannt werden;<br />

man könnte es, freilich etwas verhegelt, auch so ausdrücken: Bauers Gott<br />

hat, nachdem er jede Gemeinschaft abgestreift hat, überhaupt keine Gemeinschaft<br />

mehr, in der er zum Selbstbewußtsein kommen, in der er als Gott<br />

angeschaut werden könnte. Sehr merkwürdig ist es dabei, daß Bruno<br />

Bauer, für den sich alle „emanzipierten" Juden des Vormärz erhitzten,<br />

diese Gefolgschaft ablehnte: die Christen stünden schon mit dem einen Fuße<br />

im Atheismus; das auserwählte Volk jedoch müßte, um so weit zu kommen,<br />

erst durch das Christentum hindurchgehen. Ein Wort, das seinen guten<br />

Sinn nach zwei Generationen noch nicht verloren hat.<br />

Ich lasse es also dahingestellt sein, ob Bruno Bauer, im Vormärz<br />

ein gefeierter Mann des Geistes und der Kraft, uns als Kritiker oder gar<br />

als Theologe noch etwas bedeuten könne; da er aber, wie wir gleich erfahren<br />

werden, die führende Persönlichkeit in dem freien Kreise war, aus welchem<br />

Stirner hervorging, müssen wir uns doch fragen, wie sich die um Bauer<br />

— abgesehen von den wissenschaftlichen Fragen der Kritik — zu der großen<br />

Aufgabe der Geistesbefreiung stellten, zur Aufklärung. Ich sage ausdrücklich:<br />

die um Bauer, weil ich keine Gewißheit darüber habe erlangen können,<br />

ob Martin von Geismar, der Herausgeber einer sehr belehrenden Sammlung,<br />

ein Pseudonym für Bruno Bauer selbst sei oder für seinen noch temperamentvolleren,<br />

noch streitlustigeren Bruder Edgar Bauer (geb. 1820,<br />

gest. 1886); jedenfalls sind die seltenen fünf Hefte "Bibliothek der deutschen<br />

Aufklärer des 18. Jahrhunderts" (1846 und 1847, im Parteiverlage von<br />

Otto Wigand in Leipzig erschienen) ein Vademekum für allen religiösen<br />

Radikalismus. Für meine Darstellung der deutschen Aufklärung wäre dem<br />

Buche Geismars (zusammen doch über 750 Seiten) doch manche Ergänzung<br />

zu entnehmen. So zu den Schicksalen Bahrdts sein abgenötigtes<br />

Glaubensbekenntnis und sein Pamphlet gegen den Ritter von Zimmermann;<br />

so zu den Schriften meines Zopfpredigers ein Neudruck seiner<br />

"Philosophischen Betrachtung über Theologie und Religion überhaupt<br />

und über die jüdische insonderheit"; so zu den Kämpfen zwischen D. F.<br />

Strauß und Bruno Bauer die Schrift eines Superintendenten Vogler;<br />

so zu den Grundproblemen der Aufklärung ältere Streitschriften der<br />

Bekenner Dippel, Edelmann, von Knoblauch*) und Riem. Endlich ist<br />

*) Diesen Justizrat Karl v. Knoblauch (geb. 1757, gest. 1794) habe ich bereits (Bd. 3,<br />

S. 467) genannt als einen für Freidenkerei und Revolution begeisterten Mann. M. v. Geis­<br />

­­­ gibt nun Proben aus einer Reihe von Schriften, von 1789 bis 1794, deren Verfasser

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