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Band 4 - m-presse

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218<br />

Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

später mit religiösen Bekenntnissen spielte, um den reichen Onkel Salomon<br />

Heine zur Hergabe von Geld zu bewegen.<br />

Heinrich Heine (geb. 1797, gest. 1856), der schlecht getaufte Jude, stammt<br />

in seiner Dichtung, die sehr hoch bewertet werden muß, von den deutschen<br />

Romantikern ab (unmittelbar von Tieck), die er dann verprügelt hat, in seinen<br />

wirklich humorvollen Prosaschriften von den Engländern, in seiner Weltansicht,<br />

wenn man ihm eine solche zusprechen will, von den französischen Romantikern<br />

und den Saintsimonisten, die das Christentum pantheistisch und<br />

sozialistisch (oder demokratisch) umzudeuten suchten. Er besaß ohne Frage<br />

einen Witz großen Stils, der ihn über die Legion seiner feuilletonistischen<br />

Nachahmer oder Affen erhebt; seine ganze Persönlichkeit hatte Witz; sein<br />

Witz war aber nicht von der Art Lichtenbergs: nicht Probleme waren verborgen,<br />

wo er einen Scherz machte, sondern er machte oft nur einen Scherz,<br />

wo Probleme eine Antwort fordern. Dennoch steckt hinter einem solchen<br />

kecken Einfalle, der zum geflügelten Worte geworden ist, Heines wahre<br />

Meinung von der Religion, in dem Schlußreime der "Disputation". Die<br />

Königin Blanka tut nach dem heftigen Streite der Pfaffen den Ausspruch:<br />

"Welcher Recht hat, weiß ich nicht —<br />

Doch es will mich schier bedünken,<br />

Daß der Rabbi und der Mönch,<br />

Daß sie alle beide stinken."<br />

Wichtiger als die Sätze in Vers oder Prosa, die Heine allzu häufig<br />

in irgendeiner Absicht veröffentlicht hat, scheinen mir, auch für seine Weltansicht,<br />

die „Gedanken und Einfälle", die man aus seinem Nachlasse herausgegeben<br />

hat. Da zeigte sich deutlich, daß er für das Judentum nur den<br />

Spott eines Familienangehörigen hat, für das Christentum den Haß eines<br />

zu der neuen Religion gepreßten Heiden. Das Christentum hauche seinen<br />

Sterbeseufzer aus, doch es wird noch lange dauern, bevor der Tod eintritt.<br />

"Es kommt gewiß eine neue Religion, und die Philosophen werden wieder<br />

neue Arbeit (der Zerstörung) bekommen", jedoch wieder vergeblich. "Die<br />

Welt ist ein großer Viehstall, der nicht so leicht wie der des Augias gereinigt<br />

werden kann, weil, während gefegt wird, die Ochsen drin bleiben und<br />

immer neuen Mist anhäufen." Und da steht auch gegen den Glauben an<br />

einen überweltlichen Gott der Philosophen der starke Einwand: "Der<br />

Gedanke der Persönlichkeit Gottes als Geist ist ebenso absurd wie der rohe<br />

Anthropomorphismus; denn die geistigen Attribute bedeuten nichts und<br />

sind lächerlich ohne die körperlichen."<br />

Aus Heines Prosaschriften ließe sich in der Stärke eines <strong>Band</strong>es eine<br />

Blumenlese zusammenstellen, zum Erweise dafür, daß er ein Gotteslästerer,<br />

Heinrich Heine 219<br />

ein Kirchenfeind, ein Atheist war. Ich verzichte darauf, weil er zuletzt zu<br />

Kreuz gekrochen ist und sich dem veralteten Deismus unterworfen hat;<br />

freilich nicht ebenso der Kirche, denn auch dem niedrigsten Widerruf folgt<br />

regelmäßig die Erklärung, daß Heine sich zu keiner bestimmten Konfession<br />

bekenne. Einerlei: der Riß in Heines Weltansicht ist darin zu erblicken, daß<br />

er in seinen besten populärwissenschaftlichen Schriften den Nachweis zu<br />

führen versuchte, daß die deutsche Philosophie (von Kant bis Hegel) alle<br />

älteren Philosophien an Tiefe und Wahrheit übertreffe und daß der heimliche<br />

Grundgedanke dieser Weltweisheit die Leugnung jedes persönlichen<br />

Gottes sei; daß er dann, in seiner Matratzengruft, bei diesem persönlichen<br />

Gotte (der eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem alten Judengotte Jehovah<br />

verriet) seine Zuflucht suchte. Selbstverständlich braucht weder ein überaus<br />

begabter Dichter noch ein Witzbold von dämonischer Kraft (Heine war<br />

beides) ein folgerichtiger Denker zu sein; bei Heine aber, der als Journalist<br />

von der Regierung Louis Philipps ein Jahresgehalt anzunehmen schamlos<br />

genug war, liegt die Frage nach der Ursache des Widerspruchs für uns<br />

doch eben anders als etwa bei Hebbel. Und ich scheue nicht davor zurück, zwei<br />

Möglichkeiten zur Auswahl zu stellen, und einzugestehen, daß ich es nicht<br />

weiß, welche von beiden ich für die nichtswürdigere erklären soll. Es ist<br />

möglich, daß Heine von der (katholischen) Kirche gekauft wurde, wie vorher<br />

von der französischen Regierung und daß er sich für dreißig Silberlinge dort<br />

zu einem konfessionslosen Deismus verstand wie hier zu einem sozialistisch,<br />

saintsimonistisch gefärbten Monarchismus; es ist aber auch möglich, daß<br />

der arme Kranke in seiner Todesangst zu dem Gotte seiner Kindheit zurückflüchtete,<br />

zu dem alten Judengotte seiner Mutter und seines Onkels. Man<br />

braucht nur an die Hoheit Goethes zu denken (mit dem sich Heine so gern<br />

gerade in diesem Punkte verglichen hatte), um die ganze Niedrigkeit des<br />

einen wie des andern Motivs des Widerrufs deutlich vor sich zu sehen.<br />

Die beiden Widerrufe sind ja nicht unbekannt. Der eine findet sich in<br />

dem religiösen Testament "Geständnisse", das Heine im Februar und März<br />

1854, seinen qualvollen Tod vor Augen, unehrlich niedergeschrieben hat;<br />

unehrlich darf ich es nennen, weil Heine sich da dem Katholizismus so weit<br />

nähert, daß er (der Schöpfer des "Gumpelino" und des "Hirsch-Hyazinth")<br />

sich sogar rühmt, weder das Dogma noch den Kultus je durch Witz oder<br />

Spötterei bekämpft zu haben; und doch ist Heine selbst da noch sich selber<br />

treu genug, um wenige Seiten später (Ausgabe von Elster VI, 70) übermütig<br />

wie in seiner besten Zeit mit dem Gedanken zu spielen, er sei Papst<br />

geworden. Der andere Widerruf, der weit bekanntere, findet sich im<br />

„Nachwort zum Romancero", ist von Ende September 1851 datiert und<br />

so ergreifend durch den Lebensdurst des sterbenskranken Verfassers, daß

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