29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

436 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

Willensfreiheit gar nicht denkbar wäre; wohl aber so, daß die Theologien<br />

der im Abendlande zumeist verbreiteten Konfessionen die drei Dogmen<br />

wechselseitig aufeinander stützen. Es ist ein unentwirrbares Durcheinander.<br />

Die Eigenschaft Gottes, die man seine Gerechtigkeit nennt, hat die Willensfreiheit<br />

oder die Verantwortlichkeit des Menschen zur Voraussetzung,<br />

Belohnung und Bestrafung der unsterblichen Seele im Jenseits zur Folge.<br />

Die Unkörperlichkeit des sonst so menschenähnlichen Gottes wird aus der<br />

Geistigkeit der Seele erschlossen und wiederum das Dasein von Geistern<br />

(die Seele inbegriffen) aus der Unkörperlichkeit Gottes. Und weiter. Die<br />

sogenannte Allmacht des göttlichen Willens ist nur als die höchste Steigerung<br />

des in unserem Selbstbewußtsein scheinbar vorgefundenen menschlichen<br />

Willens zu begreifen, hebt die Freiheit des menschlichen Willens<br />

völlig auf, postuliert sie aber wiederum für die menschliche Verantwortlichkeit.<br />

Man hat ganz vergessen, daß der alte Judengott, der sich langsam in<br />

den Gott der abendländischen Theologen gewandelt hat, ohne eine unsterbliche<br />

Menschenseele auskam und den Begriff einer menschlichen<br />

Willensfreiheit gar nicht kannte; einerlei, um ungleicher Meinungen in<br />

solchen Fragen willen hat es durch Jahrhunderte im Namen eben dieses<br />

Judengottes blutige Verfolgungen und Kriege gegeben. Der Grund liegt<br />

nicht nur in der Dummheit und Bosheit der Menschen, sondern auch in<br />

dem wesentlich praktischen Charakter dieser Fragen.<br />

Die scholastische Philosophie des Mittelalters, auf der alle Theologie<br />

beruhte und noch beruht, behandelte alle drei Fragen mit äußerstem Scharfsinn,<br />

doch nur vom Standpunkte ihres Wortrealismus; ohne jede mögliche<br />

Erfahrung wurde den Begriffen Gott, Seele und Wille eine metaphysische<br />

Wirklichkeit zugesprochen. In Wahrheit aber handelte es sich damals und<br />

heute für den Frommen um etwas wie eine praktische Metaphysik, wenn<br />

man so eine Bezeichnung gebrauchen darf. Was die Theologen ihn von<br />

Kindheit auf gelehrt hatten, daß Gott die Handlungen des freien Menschen<br />

an dessen unsterblicher Seele ewig belohnen und bestrafen werde, das<br />

mußte für den Frommen von unendlich größerer Bedeutung sein als die<br />

Leiden und Freuden des kurzen irdischen Lebens. Die drei Worte gehören<br />

noch heute der Gemeinsprache an, werden noch heute mit dem Wortrealismus<br />

des Mittelalters für Bezeichnungen von Wirklichkeiten gehalten<br />

und können darum nicht so leicht als leere Einbildungen einer praktischen<br />

Metaphysik erkannt werden. Man muß zur Vergleichung ein Wort wie<br />

Hexe heranziehen, an dessen Inhalt kaum Einer unter Hunderttausend<br />

mehr glaubt, die die drei anderen Worte noch für bare Münze nehmen.<br />

Solange man aber an Hexen und — um anstatt der Eigenschaften Handlungen<br />

hinzuzunehmen — an ihre Teufelsbündnisse glaubte, war es für<br />

Gott, Unsterblichkeit, Freiheit 437<br />

den Mann und für die Nachbarn der Hexe von äußerster Wichtigkeit, ob<br />

sie Regen machen, das Vieh sterben lassen und diabolischen Ehebruch treiben<br />

konnte oder nicht; ganz abgesehen von ihrem Seelenheil. Hexerei und<br />

Teufelei gehörten als erfundene Eigenschaften zum Gotte des 15. Jahrhunderts,<br />

wie Seelenunsterblichkeit und Willensfreiheit zum Gotte des<br />

19. Jahrhunderts gehörten. Erst die neue, kaum aufdämmernde Lehre,<br />

daß die Vorstellung von allen Eigenschaften aus einer ganz anderen<br />

Welt stamme als die Vorstellung von einem persönlichen, also substantivischen<br />

Gotte, läßt uns endlich solche Fragen — wie die nach Seele<br />

und Wille — mit einem Seufzer der Erleichterung zu den verstaubten<br />

Akten legen.<br />

Ich rede aber hier hoffentlich nicht nur zu Theologen, sondern zu<br />

einfachen Menschen, Gottsuchern, die ihren verlorenen Gott wiederfinden<br />

wollen, die den Gegensatz zwischen Frömmigkeit und Atheismus immer<br />

noch als einen bloßen Wortstreit betrachten möchten, die aber hart und<br />

ehrlich genug sind, das Nein der gottlosen Mystik zu ertragen. Für diese<br />

wahrhaften Sucher noch etwas darüber: wie ich meine drei Bilder der<br />

einen Welt auf den Gottesbegriff anzuwenden versuche.<br />

Ich habe einmal ein einfacheres Beispiel zum Verständnisse der adjektivischen,<br />

der substantivischen und der verbalen Welt gegeben: unsere drei<br />

Bilder vom Feuer. Es ist ein und dasselbe Etwas, das ein rotes Leuchten für<br />

unsere Augen, ein Prasseln für unsere Ohren ist, das unsere Nase belästigt,<br />

unsere Haut versengt, kurz unseren Sinnen erscheint, und das — eben unter<br />

dem Namen des Feuers — in unserer Phantasie zu einem substantivischen<br />

Dinge wird, zu einem sogenannten Körper, zu einer Ur-Sache seiner Eigenschaften,<br />

welche Ur-Sache aber ganz gewiß nichts ist außer und neben<br />

alledem, was unsere Sinne von ihm erfahren; es ist endlich immer dasselbe<br />

Etwas, das — wie auf unsere Sinne — auch auf andere Etwase wirkt,<br />

sozusagen objektiv, in der verbalen Welt des Werdens, als eine Art der<br />

Energie, als Wärme. Es hängt nur von dem Blickpunkte unserer Aufmerksamkeit<br />

ab, ob wir dieses unbekannte Etwas als eine Eigenschaft, als ein<br />

Ding oder als ein Geheimnis des Werdens sehen wollen.<br />

Ein noch besseres Übungsbeispiel für den Versuch, überall die drei Gottesbegriff<br />

Bilder der Welt zu unterscheiden, dürfte der Gottesbegriff sein. Die Erscheinung<br />

des Feuers gehört nach den Gewohnheiten der Gemeinsprache<br />

nur der Naturlehre an, kann darum über die letzten Dinge kaum etwas<br />

aussagen; der Gottesbegriff dagegen ist gar nichts anderes als das letzte<br />

Ding selbst, dazu die letzte Ursache aller Wirkungen und eine Vereinigung<br />

aller letzten oder obersten Eigenschaften; Gott hat aber eine verzweifelte<br />

Ähnlichkeit mit dem Feuer und ist nicht umsonst im Alten Testamente

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!