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Band 4 - m-presse

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214 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

zu erblicken. Er hatte sich — unbewußt — die schwerere Aufgabe gestellt,<br />

sich — sich ganz allein, die Menschheit ging ihn nichts an — von der Tyrannei<br />

seines einstigen Lehrers Hegel zu erlösen, von dem Geisterspuk der Idee.<br />

Im Vollbesitz der kalten und scharfen Dialektik Hegels vernichtete er Hegel.<br />

Wie Descartes setzte er zu einer neuen Philosophie an und gründete sie auf<br />

die gleiche Formel. Mein Ich ist das einzige Gewisse, das ich weiß. Nur<br />

daß Descartes ängstlich den Weg zum Dualismus zurückfand, Stirner<br />

dagegen mit einer beispiellosen inneren Tapferkeit sich dazu bekannte:<br />

er wisse nichts als sein Ich. In der Formel "Cogito ergo sum" erblickte er<br />

schon zwei Gespenster, über die er lachen mußte: das Denken und das Sein.<br />

Er hatte genug an dem unscheinbaren Wörtchen Ego, das nach dem lateinischen<br />

Sprachgebrauch in Descartes Formel nicht einmal ausgedrückt zu<br />

werden brauchte. Der, für den noch etwas existiert außer seinem Ich, ist<br />

noch nicht frei. Der Kommunist ist nicht frei, weil er ein Gespenst auf sich<br />

wirken läßt: die Gesellschaft. Der Republikaner ist nicht frei, weil er an<br />

das Gespenst des Staates glaubt. Feuerbach und Bruno Bauer sind nicht<br />

frei; beider Schemgedanken sind in der Wortfabrik Hegels geknetet worden;<br />

Feuerbach blickt andächtig zu dem Menschen empor, der nicht lebt und<br />

nicht leben kann neben oder über den Individuen. Bauer geht überall vom<br />

Selbstbewußtsein aus, und man hat niemals erfahren, wer der Träger<br />

dieses Selbstbewußtseins ist. Bei Stirner erfährt Gott nicht mehr die<br />

Ehre, besonders angegriffen oder gelästert zu werden; nur mit einem<br />

ganzen Haufen anderer gespensterhafter Begriffe zusammen wird er zum<br />

alten Eisen geworfen. Stirner ist der erste Atheist, der über Gott behaglich<br />

lachen kann. "Mir geht Nichts über Mich." Das hat er von Gott gelernt,<br />

einem der großen Egoisten. Das Dasein Gottes ist eine der fixen Ideen<br />

vom Geiste, die nur in den Köpfen stecken. Die Welt des Geistes, die Welt<br />

des Heiligen, heißt jetzt die absolute Idee. Auch dieses Gespenst wird erst<br />

dadurch vernichtet, daß man es sich aneignet. "Verdaue die Hostie und du<br />

bist sie los!" Aber die neueste Zeit ist den Gottmenschen nicht los geworden;<br />

sie hat ihn in ihre Lehre vom Diesseits aufgenommen, in ihre Gespensterlehre<br />

von Kirche und Staat, von Liebe und Recht. Das alles wirft der<br />

Einzige hinter sich oder verbraucht es wählerisch zu seinem Selbstgenuß.<br />

Der Einzige ist das Maß von Allem, nicht der Mensch. Wahrheiten über<br />

sich kennt er nicht. „Wahr ist, was mein ist; unwahr das, dem Ich eigen bin."<br />

Diesen letzten spielenden Gedanken halte man fest. Stirner will nicht<br />

sagen, die Welt sei sein Eigentum; nur: was nicht Eigentum des Einzigen<br />

werden kann, das existiert nicht. Staat, Gesellschaft, Gott, Sünde, Majorität,<br />

das existiert nicht. Das ist Spuk. Die Menschheit oder der Mensch<br />

existiert nicht. Damit ist Stirner hoch über die atheistische Menschheits­<br />

Stirner 215<br />

religion Feuerbachs hinausgelangt, wie mit der Lehre von der Gespensterhaftigkeit<br />

aller metaphysischen Begriffe hoch über die Einseitigkeiten aller<br />

Junghegelianer. Dabei ist er überdies noch frei von materialistischer Beschränktheit;<br />

auch die Substanz oder der Stoff muß ihm ein Gott sein,<br />

ein Spuk. Und womöglich noch freier ist er von aktivistischer Teilnahme<br />

an den Bestrebungen der Gruppe, der er anzugehören schien; Kommunismus,<br />

Republik, allerlei Freiheiten sind ihm wieder nur Spuk. Ihn verlangt<br />

nur nach seiner eigenen Freiheit. Nicht Revolution will er, nur<br />

Empörung. (Als einen Spaß großen Stils erwähne ich, wie Stirner sich<br />

an dieser Stelle über den Zensor lustig macht; er verstehe das Wort "Empörung"<br />

etymologisch, nicht in dem beschränkten Sinne, welcher vom<br />

Strafgesetze verpönt ist.)<br />

Man darf Stirners Werk — wie gesagt — als eine grandiose parodistische<br />

Kritik Feuerbachs auffassen. Wer Begriffe wie Geist, Heiligkeit,<br />

Gleichheit, Freiheit, wer irgendeine „Idee" noch auf sich wirken läßt,<br />

der gehört zu den Frommen. "Unsere Atheisten (die Schüler Feuerbachs)<br />

sind fromme Leute." In seinem Hohne gegen diese humanitäre Frömmigkeit,<br />

in seiner Verherrlichung des ganzfreien Unmenschen (des Übermenschen)<br />

schreckt Stirner vor keiner Verwegenheit zurück. Die Ermordung<br />

Kotzebues durch Sand „war ein Strafakt, den der Einzelne vollzog, eine<br />

mit Gefahr des eigenen Lebens vollzogene — Hinrichtung". Wer<br />

nicht erkennt, daß der Verbrecher (nach einem Worte Bettinas) des Staates<br />

eigenstes Verbrechen ist, wer irgendwie noch fromm ist, einerlei, ob kirchlich<br />

oder feuerbachisch, der lebt in einer gespenstischen Welt, der gehört zu den<br />

Besessenen.<br />

In der Terminologie Hegels (oder, wenn man will, vorsichtig in der<br />

Maske eines Narren) hat Stirner den Atheismus halb verborgen, der nebenbei<br />

ein Ergebnis seines "Einzigen" war. In gleich verhegelter Sprache<br />

hatte er schon 1842 einen ruhigeren Aufsatz über „Kunst und Religion" veröffentlicht.<br />

Da wird der Meister dafür gerühmt, daß er die Kunst vor<br />

der Religion behandelt habe; „diese Stellung gebührt ihr, gebührt ihr<br />

sogar unter dem geschichtlichen Gesichtspunkte." Ich möchte die Ausdrucksweise<br />

Stirners gern enthegeln, um für uns den ganzen hohnlachenden Atheismus<br />

der Gedanken herauszubringen; aber es wäre das doch eine kleine<br />

Fälschung, weil Stirner sich just durch die Philosophensprache seiner Zeit<br />

vor Verfolgung zu sichern sucht. Der Künstler also schafft Entzweiung,<br />

indem er den Menschen ein Ideal entgegenstellt; Religion ist nur das Einsaugen<br />

dieses Ideals durch gierige Augen. Der Künstler hat uns die Religion<br />

gegeben. Die Kunst und nicht die Philosophie ist der Anfang und das<br />

Ende der Religion. Auch den Gott hat die Kunst geschaffen. Wenn die

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