Band 4 - m-presse
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168 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />
Denn das darf bei der Polemik gegen Hegel (obgleich uns das schwere<br />
Geschütz der Neuhegelianer bedroht) niemals völlig vergessen werden,<br />
daß die Junghegelianer, die wildesten Stürzer von Thronen und Altären,<br />
sich doch auch mit Recht auf ihn berufen konnten, daß er alle Gedanken<br />
über die abgründigsten Fragen beweglich machte und dadurch auf die<br />
Freiheit vorbereitete, daß er doch im Grunde den Gott der Kirche, den<br />
absoluten Geist, leugnete, wenn er den endlichen Geist, das Bewußtwerden<br />
im Menschen für notwendig hielt, damit dieser Gott von sich selber erfahre.<br />
Und es sollte auch nicht vergessen werden, daß Hegel, bald nach dem Beginne<br />
seiner Allmacht in Berlin, sich überaus scharf gegen die heute noch<br />
überschätzte Gefühlstheologie Schleiermachers wandte, gegen die feinste<br />
Verführerin der Biedermeierzeit. Nach den Lehren Schleiermachers wäre<br />
der Hund der beste Christ, sagte Hegel; „auch Erlösungsgefühle hat der<br />
Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird."<br />
Das Leben zweier Seelen in Hegels Brust braucht man nicht für<br />
ein tückisches Doppelspiel zu halten. Ich will, bevor ich mich zu seinem<br />
großen Gegner Schopenhauer wende, zugunsten von Hegel noch einen<br />
Gruppe Zeugen aufrufen, den Hegelkritiker Otto Friedrich Gruppe, dessen hart<br />
an Sprachkritik heranreichende philosophiegeschichtlichen Schriften ich vor<br />
wenigen Jahren der unverdienten Vergessenheit zu entreißen begann;<br />
nur daß der Weltkrieg und der Tod des Verlegers Georg Müller die<br />
Fortsetzung des Unternehmens zum Stocken brachte.*) Hier habe ich es<br />
aber nicht mit den gründlichen Büchern des merkwürdigen Mannes zu<br />
tun, sondern nur mit zwei Flugschriften, mit denen er sich an dem Kampfe<br />
der preußischen Regierung gegen den Junghegelianer Bruno Bauer als<br />
ein Offiziöser des Kultusministers beteiligte, beinahe als ein Denunziant<br />
gegen Bruno Bauer. Meine bewundernde Schätzung Gruppes darf mich<br />
nicht abhalten, meine Überzeugung auszusprechen, daß der vielseitige<br />
Literat Gruppe, seit 1842 als Beamter im Kultusministerium untergekommen,<br />
im Dienste seines Chefs, vielleicht übrigens auch in der Absicht,<br />
mäßigend auf den verworrenen König zu wirken, die Junghegelianer,<br />
aber auch Hegel selbst, der Neigung zum Atheismus beschuldigte. Gruppe<br />
war in der Erkenntniskritik (wie in manchen anderen geistigen Dingen)<br />
äußerst radikal; in politischen Fragen aber fast konservativ, etwa (wie man<br />
jüngst gesagt hätte) ein Freikonservativer, wie zur selben Zeit der entschiedene<br />
Atheist Schopenhauer. Mir aber kommt es an dieser Stelle nur<br />
darauf an, auszusprechen und zu erweisen: daß ein sehr sachkundiger<br />
*) Bibliothek der Philosophen, 12. <strong>Band</strong>: O. F. Gruppe, Philosophische Werke.<br />
Erster <strong>Band</strong>. — Antäus. 1914. Meine Einleitung enthält hoffentlich alles Wissenswerte<br />
über die Lebensarbeit Gruppes.<br />
Schopenhauer 1 69<br />
Gegner Hegels bald nach dem Tode Hegels schon (denn der gleiche Gedankengang<br />
findet sich im "Antäus" von 1831) die Keime des Atheismus<br />
in Hegels Philosophie finden durfte.<br />
Die erste Flugschrift (von 1842) ist betitelt „Bruno Bauer und die<br />
akademische Lehrfreiheit", wendet sich mit Härte gegen Bruno Bauer,<br />
auch gegen Feuerbach, verteidigt die Regierung, die dem Privatdozenten<br />
Bauer die venia legendi entzogen hatte, und verlangt zugleich ungehinderte<br />
Preßfreiheit für die Bücher des "Gemaßregelten". Der Staat<br />
habe die Kirche zu schützen. Der Urheber der ganzen Richtung sei<br />
Hegel, der lehre, daß die Religion nur eine untergeordnete Rolle spiele<br />
gegenüber dem freien Gedanken; Hegel habe lange Zeit einen Einklang<br />
mit dem Christentum vorzutäuschen gesucht, stehe aber im Widerspruch<br />
zu den Grundprinzipien dieser Religion. "Die Philosophie ist ihm eine<br />
höhere Stufe als die Religion" (S. 49). Gott ist nicht mehr der feste Punkt.<br />
Zwischen Hegel und den Junghegelianern besteht nur ein Unterschied<br />
der Form und des Grades.<br />
Für diesen Angriff war Gruppe namentlich von Bruno Bauers noch<br />
radikalerem Bruder Edgar heftig zurechtgewiesen worden. In der zweiten<br />
Flugschrift („Lehrfreiheit und Preßunfug", 1843) nimmt nun Gruppe<br />
den ganzen journalistischen Kreis um Bruno Bauer mit gesteigerter Gereiztheit<br />
vor, auch die Gesellschaft der "Freien", d. h. den Verein, dessen<br />
geistiges Haupt Stirner war, was übrigens dem verdienstvollen Stirnerforscher<br />
Mackay, dem Anarchistendichter, entgangen zu sein scheint. Wir<br />
aber wollen es uns merken. Übrigens verwahrt sich Gruppe in dieser Replik<br />
(S. 49) doch dagegen, daß er von Hegel oder von der Philosophie überhaupt<br />
Christlichkeit verlangt habe.<br />
Gruppes Hegelkritik, die bei Lebzeiten des berühmten Meisters, der<br />
damals alle deutschen Universitäten beherrschte (und nicht nur die philosophischen<br />
Fakultäten), begann, gleich nach seinem Tode den stärksten<br />
Streich führte, war ein Schlag ins Wasser; und Schopenhauers grobe<br />
Abfuhr begann erst 30 Jahre nach Hegels Tode zu wirken.<br />
Arthur Schopenhauer (geb. 1788, gest. 1860) ist der erste bedeutende<br />
Philosoph seit Beginn der christlichen Zeit, der klipp und klar das Dasein<br />
eines Gottes leugnete; andere um ihres Atheismus willen berüchtigte<br />
Denker hatten entweder den Gottesbegriff nur ketzerisch definiert, wie<br />
Spinoza, oder hatten nur eine materialistische Welterklärung versucht, was<br />
nicht notwendig Atheismus zu sein brauchte. Schopenhauer bekämpfte<br />
und verspottete den Gottglauben ebenso leidenschaftlich und ebenso offen<br />
wie Voltaire etwa die Kirche oder die Geistlichkeit bekämpft und verhöhnt<br />
hatte. Sehr richtig bemerkt er einmal, daß der Vorwurf oder das Wort