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Band 4 - m-presse

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238 Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />

und traumlosen Schlaf am Abend eines langen, reich mit Leid, Arbeit<br />

und Glück erfüllt gewesenen Tages" (S. 105). So eigentlich resignierte<br />

Worte beweisen, daß Ostwald den Weg zurückgefunden hat zu der Weisheit,<br />

die vor den turbulenten Materialisten des Vormärz Goethe gelehrt<br />

hatte, und vor Goethe Spinoza.<br />

Siebenter Abschnitt<br />

Das junge Deutschland — 1848 — Von Gutzkow zu Keller<br />

Erst ungefähr zweihundert Jahre nach dem neuen Frankreich gab es<br />

endlich auch ein neues, ein junges Deutschland. Die Entwicklung des<br />

Materialismus im 19. Jahrhundert hat uns nicht losgelassen, bis wir<br />

plötzlich eine Schrift nennen mußten, die im ersten Jahre des Weltkriegs<br />

erschien. Es ist Zeit, den geschichtlichen Faden wieder aufzunehmen<br />

und zu den Streitern des Vormärz zurückzukehren. Jetzt zu den Dichtern<br />

oder doch zu den Schriftstellern, die sich des Thrones der Poesie bemächtigt<br />

hatten.<br />

Das junge Das "junge Deutschland" war, ohne Frage, eine rein politische, übrigens<br />

eine i n t e r n a t i o n a l e Erscheinung; der ausgezeichnete Agitator Giuseppe<br />

Mazzini (geb. 1805, gest. 1872), den man bald einen ausgezeichneten<br />

Staatsmann nennen wird (weil die Karte Europas vielfach — im Jahre<br />

1918—nach seinen Prophezeiungen geändert worden ist), hatte nach der<br />

Julirevolution als eine Art von republikanischem Geheimbund das "junge<br />

Europa" gegründet, von dem „la giovine Italia", „das junge Deutschland"<br />

usw. nur Teile waren. Der Begriff des dichterischen und journalistischen<br />

"jungen Deutschland", in welchem sich neue Talente (wie Gutzkow, Laube)<br />

verbanden, erhielt seinen Namen wie zufällig durch die Widmungsworte<br />

der "Ästhetischen Feldzüge" (1834) von Wienbarg, umfaßt eine sehr ungenauen<br />

Vorstellung und ist freilich durchaus nicht identisch mit dem Mazzinischen,<br />

republikanischen "jungen Deutschland", das seine Tätigkeit, lärmend<br />

und kurzlebig, auf die deutsche Schweiz beschränkte. Wie viele Fäden<br />

aber zwischen dem politischen und dem literarischen "jungen Deutschland"<br />

dennoch hinüber und herübergingen, das werden wir genau niemals erfahren,<br />

weil die Akten der Prozesse vom deutschen Bundestage 1848 (auf<br />

Anordnung Schmerlings) vernichtet worden sind.<br />

Wir werden bald vernehmen, wie der völlig ungeistige, literarisch mindestens<br />

indifferente König von Preußen, der alte Friedrich Wilhelm III.,<br />

zu einer Parteinahme gegen das "junge Deutschland" und zugleich gegen<br />

Das junge Deutschland 239<br />

die angeblich religionsfeindlichen Ideen des vor kurzem verstorbenen Hegel<br />

gehetzt wurde. Einstweilen will ich einige Züge des Bildes zu berichtigen<br />

suchen, das wir uns von dieser Gruppe deutscher Schriftsteller zu machen<br />

gewöhnt worden sind; falsche Züge, die die bekanntesten Geschichtschreiber<br />

gezeichnet haben, die Politiker sowohl als die Germanisten. Die Sybel<br />

und Treitschke waren auf das Dogma Bismarck eingeschworen und taten<br />

ihr Möglichstes, um die "Juden" —zum eigentlichen „jungen Deutschland"<br />

gehörte kein einziger Jude — verächtlich zu machen, welche für<br />

demokratische Einigung Deutschlands schwärmten; Georg Brandes wiederum,<br />

unbedingt demokratisch eingestellt, hatte zu wenig Interesse für<br />

Deutschland, um die um Gutzkow nach Gebühr zu würdigen; und Julian<br />

Schmidt endlich, ein Offiziosus der neuen "Realisten" Freytag, Auerbach<br />

und Ludwig, beschimpfte den vermeintlichen Idealisten Gutzkow, weil der<br />

verbohrte Schmidt nicht sah, daß diese Stürmer und Dränger des "jungen<br />

Deutschland" — fast genau so wie sechzig Jahre vorher die großen Stürmer<br />

und Dränger — einen Naturalismus der Wortkunst in Form und Inhalt<br />

vorbereiteten, nur leider nicht solche Kerls waren wie der junge Goethe.<br />

Dieses neue Geschlecht hatte sich nun gewiß an Heine und Börne<br />

gebildet, mittelbar an Frankreich; journalistisch mehr an der Leidenschaftlichkeit<br />

Börnes, dichterisch (d. h. in der kecken Verherrlichung der freien<br />

Liebe) mehr an Heine. Wenn aber auch Heine gelegentlich den Vorteil<br />

zu benützen verstand, den die Gefolgschaft der damals Jüngsten ihm gewährte,<br />

so gehörte er nicht zu der neuen Schule, war von ihr durch sein<br />

etwas höheres Alter und durch seinen schon gefestigten Dichterruhm geschieden.<br />

Es war eine infame Heuchelei der Behörde, daß sie — als die<br />

Verfolgung des „jungen Deutschland" begann — den Namen Heine an<br />

die Spitze derer setzte, die man vernichten wollte; es war dem rücksichtslosen<br />

Metternich nur darum zu tun, die Gegner der Monarchie zu treffen;<br />

es machte sich aber besser, wenn man als Verteidiger der Religion und<br />

der Sittlichkeit auftrat, und da als Gegner von Religion und Sitte niemand<br />

in Deutschland so bekannt und verrufen war wie Heine, schien es bequem--im<br />

Widerspruch zu allen Rechtsbegriffen —, die neue Schule unter dem<br />

Vorurteile leiden zu lassen, das die Denunzianten schon lange gegen<br />

Heine geweckt und genährt hatten. Um so besser, wenn der ungeheuerliche<br />

Beschluß des Bundesrats auch den gefürchteten Heine selbst für alle Zukunft<br />

mundtot machte.<br />

Sicherlich waren hier der "aristokratische" Dichter Heine und der<br />

demokratische Politiker Börne, dort diese beiden schon berühmten Juden,<br />

die einander tödlich haßten, und die Neulinge des jungen Deutschland doch<br />

einig im Zorn gegen die kirchliche Reaktion der Zeit, die mit der heiligen

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