29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

306 Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

den nackten Gottesbegriff fest; er glaubt an Gott wie an andere Begriffe<br />

von Locke und Newton. Bismarck wüßte mit dem Begriffe nichts anzufangen.<br />

Sein Herz muß beteiligt sein. Er hat Gott-Vertrauen. Wie er<br />

dieses Gefühl mit seinem Realismus vereinigen konnte, das wissen wir nicht,<br />

das wußte er wahrscheinlich selber nicht. Vielleicht so, wie Napoleon den<br />

Glauben an seinen Stern mit seiner Gottlosigkeit vereinigte. Ein Genie<br />

denkt nicht begrifflich wie die Historiker, die es begrifflich analysieren wollen.<br />

Bismarck Wir haben eben erfahren, daß Bismarck, der im höchsten Maße kultiviert,<br />

aber kein Gelehrter war, weder als Philosoph noch als Theologe,<br />

seinen Glauben zur Zeit der Einsegnung einen nackten Deismus mit bald<br />

folgenden pantheistischen Beimischungen erklärt hat; ob am Ende der<br />

Zufall, daß der Unchrist Schleiermacher ihn eingesegnet hatte, doch nachwirkte,<br />

ob seine staatsrechtlichen Studien den preußischen Junker auf die<br />

Staatsomnipotenz von Hobbes und Spinoza hinwiesen, sicher ist, daß<br />

man zwischen Bismarcks Kirchenpolitik und Spinozas theologisch-politischem<br />

Traktat ohne Voreingenommenheit Parallelen ziehen kann; das haben<br />

zwei Historiker getan, Marcks und Meinecke, und der Staatsrechtler Rosin.<br />

Ich habe schon einmal hinzufügen können (in meinem kleinen Buche<br />

"Spinoza"), daß Bismarck, und just in dem berühmten Werbebriefe an<br />

seinen pietistischen Schwiegervater, eine noch ganz andere Abhängigkeit<br />

von dem Spinoza verrät, wie ihn Pierre Bayle aufgefaßt hatte: er habe<br />

nicht beten können, weil der allgegenwärtige (hier soviel wie pantheistische)<br />

Gott, wenn Bismarck bete, gewissermaßen zu sich selbst bete. Doch wenn<br />

man Bismarck einen Spinozisten nennen will, so beschränkt man diese<br />

Kennzeichnung doch besser auf den Kulturkämpfer Bismarck; in seines<br />

Herzens Schreine war Bismarck zu sehr ein Eigener, um ein — iste oder<br />

—aner zu werden. Er war auch kein Ritschlianer oder gar, was man nach<br />

einer Zufallsäußerung behauptet hat, ein Gichtelianer. Das ist zum Lachen.<br />

Bismarck eingeschworen auf diesen kranken Theosophen, der nach dem<br />

Dreißigjährigen Kriege als ein Engel Gottes verehrt wurde! Höchstens<br />

daß Bismarck sich für den Mann interessierte, der den Lebenskreis seiner<br />

Johanna beeinflußt hatte, der das orthodoxe Luthertum bekämpfte, das<br />

Abendmahl verschmähte und sich durch seine Entdeckung "Gott in uns",<br />

unbewußt dem Pantheismus näherte. Bismarck stand aller Theosophie<br />

(der alten ehrlichen, wie der neuen schwindelhaften) so irdisch gegenüber,<br />

wie irgendeiner der preußischen Junker, die sich ihren reichlichen Anteil<br />

an Freigeisterei und Alkohol wahren, nur ihre Frauen und Mütter,<br />

Schwestern und Töchter von Alkohol und Freigeisterei fernhalten.<br />

Aber Bismarck war eben kein gewöhnlicher Junker; er war als aktivistischer<br />

Mann für den Grundsatz Entweder — Oder, der ja inzwischen<br />

Bismarck 307<br />

in der schönen Literatur Schule gemacht hatte. In Mußestunden, wenn er<br />

einmal der Religion gedachte, ein Gottsucher; als Staatsmann eigentlich<br />

ein Kirchen- und Pfaffenfeind. "Er besaß Religion wohl für sich, aber<br />

sonst bloß, um sie beiseite zu legen ... Er hat Religion gehabt, weil er<br />

sie einmal brauchte, aber gemacht hat er damit, was er wollte." Ich entnehme<br />

diese Sätze dem auf jeder Seite anregenden Buche von Franz<br />

Overbeck "Christentum und Kultur", das Carl Albrecht Bernoulli aus den<br />

Papieren des Verfassers (1919) herausgegeben hat. Ein guter Europäer,<br />

von Beruf Theologe, und doch von Überzeugung kein Christ mehr, redet<br />

da über Bismarck mit freier Bewunderung: Bismarck gehöre zu den<br />

großen Heiden der Neuzeit, zu der Theologie habe er keine andere Beziehung<br />

gehabt als die, daß die Theologen (wie seit 1900 Jahren immer)<br />

Machtanbeter wurden; er habe nicht in der Welt der Denker seine Größe<br />

zu suchen; bei so gründlichen Menschenverächtern wie Bismarck (und<br />

Goethe) könne die Religion auch zu einem bloßen Vorwand und Deckmantel<br />

dafür herabsinken, die Menschen Hundsföttern gleich zu achten<br />

und danach zu behandeln; das schiefe Verhältnis Bismarcks zur Welt<br />

der Religion habe ihm auch die größte Niederlage bereitet, die im Kulturkampf.<br />

Der einzige politische Mißerfolg des Fürsten Bismarck war wirklich Kulturkampf<br />

sein Vorstoß gegen die katholische Kirche, der sogenannte Kulturkampf; es<br />

war zugleich der einzige Fall, in welchem die deutschen "Freidenker", die<br />

Fortschrittspartei, dem Staatsmann Gefolgschaft leisteten und er von dieser<br />

Gefolgschaft Gebrauch machte. Es ist bekannt, daß Rudolf Virchow für<br />

diesen Vorstoß, der so kläglich enden sollte, das geflügelte Wort "Kulturkampf"<br />

erfunden hat (1873); er war so eitel auf diese Wortprägung, daß<br />

er sich noch drei Jahre später seiner Vaterschaft rühmte: er habe den Ausdruck<br />

in einem Wahlaufrufe mit vollem Bewußtsein gebraucht, um festzustellen,<br />

daß es sich nicht um einen konfessionellen Kampf handle, sondern<br />

daß ein höherer, die ganze Kultur betreffender Kampf vorliege. Bismarck<br />

selbst hat das Schlagwort in einer seiner Reden übernommen (am 16. April<br />

1875), in einem der gegen alle Regeln der Rhetorik verstoßenden Zwischensätze:<br />

der Vorredner schiebe ihm die Schuld an dem Kulturkampf zu,<br />

„der doch, wie die Herren einräumen, für die Kultur und gegen die Unkultur<br />

geführt wird". Lagarde, dem Fürsten Bismarck verwandter als<br />

Virchow, hat an dem Worte scharfe Sprachkritik geübt. "Niemand weiß,<br />

was es eigentlich bedeuten soll. Einen Kampf, der Kultur ist? Einen<br />

Kampf, durch welchen Kultur erworben wird? Einen Kampf für die<br />

Kultur? Einen Kampf, der mittels der Kultur geführt wird? . . . Mixtura<br />

gummosa, wie sie der unerfahrene Arzt gibt, wenn er über die Krank­

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!