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Band 4 - m-presse

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34 Drittes Buch. Dreizehnter Abschnitt<br />

Scheu vor der Schule, ruhig erkennen, worin das Wesen dieser Philosophie<br />

bestehe. Und dürfen, mit dem guten Gewissen der Wahrheitsliebe,<br />

die abschreckende Feierlichkeit der von Kant gewählten Terminologie etwas<br />

herabmindern.<br />

Kant stellt sich zunächst auf den sensualistischen Standpunkt von Locke,<br />

wenn er diejenigen Begriffe, die über die Erfahrung "hinausgehen", mit<br />

dem alten überflüssigen Fremdwort "transscendent" nennt; nun haben<br />

wir aber in unserer Sprache solche Begriffe (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit,<br />

Seele usw., usw.); Kant war nun in seinem guten Rechte, wenn er<br />

— mit üblicher Weiterführung solcher Adjektive — das Wort „transscendental"<br />

benützt, um seine Untersuchung der Bedingungen derartiger<br />

Begriffsbildungen zu bezeichnen; es war ein Mißbrauch des Terminus<br />

"transscendental", als man ihn über die Untersuchung hinaus (also transscendent)<br />

auf die Begriffe selbst anwandte. Es würde mich zu weit führen,<br />

wollte ich nachweisen, daß Kant selbst sich oft zu diesem Mißbrauche verlocken<br />

ließ, durch das Bewußtsein des ungeheuern Wertes seiner Untersuchung.<br />

In der Hauptfrage aber scheint mir Adickes seinem Gegner nur<br />

recht zu geben, wenn er (S. 810) zugesteht, daß man vom Standpunkt<br />

der strengen Transzendentalphilosophie aus keinen Grund habe, einen<br />

Gott "als transsubjektive Realität zu postulieren"; um den subjektiven<br />

Glauben Kants dreht sich der Streit ja gar nicht. Wird Gott überall nicht<br />

gewußt, sondern nur geglaubt, ist er also (nach Kants eigenen Worten)<br />

bloß ein Produkt, meinetwegen das oberste Produkt unserer selbstgemachten<br />

Vorstellungen, so ist er eben wirklich nur eine Idee oder eine Fiktion oder<br />

eine Hypothese. Vaihinger wiederum ist wohl zu weit gegangen, wenn<br />

er übersieht, daß Kant eine Neigung hatte, wie zwischen Metaphysik und<br />

Skepsis, so auch zwischen sensualistischer Physik und einem dogmatischen<br />

Idealismus zu vermitteln, an dem Ergebnisse seiner Kritik der praktischen<br />

Vernunft, also an einer Naturreligion, festzuhalten. Kant sah mitunter<br />

die atheistischen Folgerungen seines Kritizismus, aber der Deist schreckte<br />

vor ihnen zurück. Und auch der Mystiker in Kant; kleinere Schüler (Reinhold,<br />

Fries) erkannten, nüchterner und folgerichtiger als Kant, daß das<br />

Wesen der Transzendentalphilosophie ein bis zum äußersten verfeinerter<br />

Psychologismus sei; wir wagen hinzuzufügen: synthetische Begriffe<br />

a priori sind nicht möglich, sind metaphysisch; Kant selbst konnte nicht<br />

höher steigen, auch im Opus postumum nur in Ahnungen höher steigen,<br />

als er gebaut hatte.<br />

Ich widerstehe nur schwer der Versuchung, dazu auszuführen: daß<br />

Kant einen Gott in der adjektivischen Welt, in der Welt der Erfahrung,<br />

überhaupt nicht gefunden hatte, daß er den Gott in der verbalen Welt von<br />

Kants „Was ist Aufklärung?" 35<br />

Ursache und Wirkung nicht brauchte, daß er den Gott einzig und allein in<br />

der substantivischen Welt nötig zu haben glaubte, der Welt der Illusion<br />

oder der Mystik. Hätte Kant mit seinem unerhörten Scharf- und Tiefsinn<br />

anstatt einer Kritik der reinen, also erfahrungslosen Vernunft, so wie schon<br />

Hamann verlangte, eine Kritik der Sprache geschaffen, dann wäre es offenbar<br />

geworden: was transzentendal ist, das können wir nicht nur nicht<br />

wissen, sondern nicht einmal aussprechen oder denken.<br />

Für die bohrende und sprengende Kraft einer Kritik der Sprache<br />

hatte auch das Ende des 18. Jahrhunderts noch, trotz der Vorarbeiten<br />

von Locke und Hume, von Condillac, Dumarsais und einigen Lichtblitzen<br />

Lichtenbergs nicht genug sprachwissenschaftliche Methode und nicht<br />

genug geschichtlichen Sinn; einer wie revolutionären Analyse jedoch<br />

Kant beim Durchdenken einzelner Begriffe fähig war, zeigt ein kleiner<br />

Meisteraufsatz. „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" Wer<br />

sich ein wenig belustigen will, der vergleiche den Sturmwind, der aus<br />

Kants Worten losbricht, mit dem elenden Gesäusel in Mendelssohns fast<br />

gleichzeitigem Schriftchen: „Was heißt aufklären?"<br />

Wir haben den unschätzbaren, nur in der Form altmodischen Auf­ Aufklärung<br />

satz schon einmal betrachtet, als von dem Wesen der Aufklärung die<br />

Rede war; jetzt, wo wir nach Kants letzter Philosophie und seiner Bedeutung<br />

für uns gefragt haben, nach der Überwindung der Aufklärung,<br />

müssen wir noch einmal zu dem populären Schriftchen zurückkehren.<br />

Man achte bei Kants Bekenntnis zur Aufklärung zunächst auf die<br />

Zeit der Abfassung. Nur zwei Jahre vor dem Tode Friedrichs, nur fünf<br />

Jahre vor dem Ausbruch der großen Revolution erhebt Kant seine Stimme,<br />

warnt den Nachfolger Friedrichs vor einem Rückschritt und verlangt unbedingte<br />

Denkfreiheit just von einer starken Regierung, von Preußen.<br />

Beyerhaus hat (Kantstudien, <strong>Band</strong> 26) der kleinen Nebenschrift des Vernunftkritikers<br />

ein fast offiziöses Gepräge zusprechen dürfen. Von Hause<br />

aus war Kant weit revolutionärer gesinnt als die armen Gesellen, die sich<br />

besonders Aufklärer nannten, die Mendelssohn und Eberhard oder gar als<br />

der gute Mensch und schlechte Kompromißler Semler; freiwillig und ohne<br />

Not hätte er sich mit solchen Dutzendschreibern nicht in Reih' und Glied<br />

gestellt. Aber da hatte sich eben, nach früheren ähnlichen Vorfällen, der<br />

preußische Kultusminister Zedlitz, der Verehrer und Beschützer Kants, sehr<br />

entschieden gegen die protestantische Klerisei erklärt, die (1783) den Gielsdorfer<br />

Pfarrer Johann Heinrich Schulz um seiner Denkfreiheit willen<br />

hatte maßregeln wollen. Was Kant in seinem Schriftchen fordert, das<br />

stimmt sehr auffallend mit der Meinung des Ministers überein: auf der<br />

Kanzel habe der Geistliche freilich zu lehren, was zum gemeinen christlichen

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