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Band 4 - m-presse

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312 Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />

Herren der Truppe, die eben erst dreimal bewiesen hatten, wie vortrefflich<br />

sie ihr Handwerk verstanden, die aber nicht weit darüber hinaus dachten,<br />

sondern auch die Auslese, die naturwissenschaftlich und auch philosophisch<br />

oft gründlich gebildeten Offiziere des Generalstabs. Ich könnte mich auf<br />

Gespräche mit einzelnen jüngeren Herren berufen, die nur wenige Jahre<br />

später das Unchristentum solcher Unterredner bezeugten; aber ich dürfte<br />

keine Namen nennen. So halte ich mich an das späte Bekenntnis des weitaus<br />

bekanntesten dieser Offiziere, des Grafen Moltke, der der Generalstabschef<br />

hieß, damit der Titel des Feldherrn dem "obersten Kriegsherrn"<br />

verblieb. Solange er lebte, wußte man von ihm, außer seinen Leistungen<br />

in den Kriegen, nur, daß er ein politisch konservativer Mann, schriftstellerisch<br />

ein Meister der Sprache war. Im Jahre 1892 jedoch, bald nach seinem Tode,<br />

kam — aus seinem Nachlasse, übrigens in mehrfachen Ansätzen abgefaßt —<br />

sein religiöses Testament heraus, seine "Trostgedanken", in denen er<br />

immer noch ein Christ sein möchte, aber viel mehr ein Deist Lessingscher<br />

Art ist. Der greise Soldat erwartet seinen nahen Tod und stellt sich die<br />

Frage nach der Unsterblichkeit der Seele. Er steht nicht auf dem Boden<br />

des Katechismus. Die Auferstehung des Fleisches glaubt er nicht; nur<br />

etwas, das Göttlichste im Menschen, das Gemüt, müßte der Seele verbleiben,<br />

„wenn sie unsterblich ist". Hier wird ihm die Fortdauer nach dem Tode<br />

zu einem Spiele der Phantasie, dem neunzigjährigen Moltke wie dem<br />

achtzigjährigen Goethe. So trete denn freilich die Vernunft (die zuverlässig<br />

ist wie die Naturwissenschaft) in Widerspruch mit manchen ehrwürdigen<br />

Überlieferungen; sie sträube sich gegen das Wunder, des Glaubens liebstes<br />

Kind. (In einer anderen Fassung: "Die Vernunft fühlt sich in vollkommenem<br />

Einklang mit der Moral; aber zweifelnd richtet sie den Blick auf<br />

das Dogma.") Und die Friedensliebe des großen Strategen, seine Verurteilung<br />

der alten Religionskriege — nicht auch der neuen Nationalkriege<br />

— leuchtet mit vollem Agnostizismus aus folgenden Sätzen der<br />

endgültigen Redaktion: „Man kann sich über alles verständigen, nur nicht<br />

über Dinge, an welche das menschliche Begriffsvermögen nicht hinanreicht,<br />

und gerade über solche Begriffe hat man achtzehn Jahrhunderte<br />

hindurch gestritten, hat die Welt verheert, von der Verfolgung der Arianer<br />

an durch dreißigjährige Kriege und bis zu den Scheiterhaufen der Inquisition,<br />

und was ist das Ende aller dieser Kämpfe? — derselbe Zwiespalt<br />

der Meinungen wie vorher." Also: der Erzieher des deutschen Offizierkorps<br />

war in solchen Fragen zu tolerant, zu resigniert, zu skeptisch,<br />

um die Entschiedenheit des „Kulturkampfs" gutzuheißen.<br />

Rom Die katholische Kirche selbst mit ihrer Erbschlauheit machte es so, wie<br />

sie es in der weit drohenderen Gefahr der Reformation gemacht hatte; sie<br />

Modernismus 313<br />

duckte sich zuerst vor dem Sturm, um alle ihre Kräfte nachher zu neuem<br />

Angriff zu sammeln. Die Zukunft wird entscheiden, ob die Neubefestigung<br />

der Papstkirche durch den Antimodernisteneid ebensoviele Jahrzehnte dauern<br />

wird wie einst Jahrhunderte die Festigung durch das Tridentinum und die<br />

Gegenreformation. Zwischen Protestantismus und Wissenschaft gibt es<br />

wenigstens eine scheinbare Versöhnung, auf Grund einer angeblich freien<br />

Forschung; Rom möchte am liebsten noch heute jeden vertilgen, der in<br />

irgendeinem punkte des Wissens oder des Glaubens von dem „heiligen"<br />

Thomas (geboren vor siebenhundert Jahren) abweicht. Die katholische<br />

Kirche ist auch darin sich selber treu und mittelalterlich geblieben, daß sie<br />

den sogenannten Modernismus als eine atheistische Lehre verdammt hat.<br />

In Wahrheit ist der Modernismus eine durchaus religiöse Bewegung<br />

innerhalb des Kreises der wissenschaftlich gebildeten katholischen Theologen,<br />

eine zu spät gekommene Reformation, die nirgends das Volk hinter sich<br />

hat, weder in Amerika noch in Frankreich, weder in Italien noch in Deutschland.<br />

Nur weil der letzte Papst die Schriftsteller dieser Richtung als werdende<br />

Atheisten auf den Index gesetzt hat, muß ich mich mit dieser Angelegenheit<br />

beschäftigen, widerwillig genug.<br />

Natürlich behaupten auch die Modernisten, daß sie die echte Lehre Modernis-<br />

Christi wieder herstellen wollen gegenüber der ultramontanen römischen<br />

Kirche, deren falsche Dogmen und deren unberechtigte Macht zuerst von<br />

Gregor VII. begründet und durch das Unfehlbarkeitsdogma vollendet<br />

worden sind. Die modernistischen Theologen bekämpfen die neuen Dogmen<br />

und die Ansprüche Roms, haben von der protestantischen Theologie einige<br />

historisch-kritische Methode entlehnt, haben aber dem Ultramontanismus<br />

gegenüber, eben aus Mangel an Gefolgschaft, eine noch so kleine eigene<br />

Kirche nicht zu stiften vermocht. Für uns ist der Modernismus dazu verurteilt,<br />

eine Halbheit zu bleiben; er glaubt wissenschaftliche Kritik zu üben,<br />

wenn er die Unfehlbarkeit des Papstes und andere neue Lehrsätze für unbegründet<br />

hält, übrigens aber sogar vor der Dogmengeschichte Harnacks<br />

zurückschreckt; er hält sich selbst für modern, weil er im 20. Jahrhundert<br />

die Metaphysik des heiligen Thomas für veraltet erklärt und den katholischen<br />

Glauben etwa mit Kant und Helmholtz versöhnen möchte. Als ob Glaube<br />

und Wissen sich überhaupt noch vereinigen ließen.<br />

Die Männer des Modernismus sind als Menschen erfreuliche Erscheinungen,<br />

obgleich sie mit ihren leise ketzerischen Gedanken erst hervorzutreten<br />

wagten, als mit der Thronbesteigung von Leo XIII. wieder einmal<br />

eine liberale Ära für die Kirche heraufzukommen schien. Freilich war<br />

diese Hoffnung ein Irrtum; neue Päpste werden mit dem gleichen unausrottbaren<br />

Optimismus begrüßt, wie neue Könige; Leo XIII. war wissen­

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