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Band 4 - m-presse

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198 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

ein guter Schriftsteller, noch überhaupt ein Denker. Nur die Zeitforderung<br />

einer Befreiung vom Gottesbegriffe hatte er verstanden und ihr gedient.<br />

Von Hegel war er gekommen, hatte ihn schon 1842 verleugnet und war<br />

nach kurzer Zeit in das naturalistische Lager übergegangen.<br />

Schon vor 1848 hatte sich Feuerbach nicht nur der Philosophie des<br />

dummen Kerls, dem Materialismus, zugewandt, hatte auch gelernt, eifersüchtig<br />

auf die Popularität des so viel witzigeren Vogt, von bisher selten<br />

genannten menschlichen Körperteilen und Exkrementen (Hintern, Urin)<br />

zu reden. Da erfand er (schon 1850, in einer Anzeige von Moleschott) und<br />

verteidigte er später das schiefe und also auch bald geflügelte Wort: „Der<br />

Mensch ist, was er ißt." Daß Paracelsus denselben Gedanken, ernsthaft<br />

und mystisch, schon ausgesprochen hatte, wußte Feuerbach wohl schwerlich;<br />

vielleicht aber doch, daß der Küchenphilosoph Brillat-Savarin schon 1825<br />

weltmännisch gesagt hatte: "Dis-moi ce que tu manges, je te dirai ce que<br />

tu es." Feuerbach benützt seinen Satz zu einer groben Blasphemie gegen<br />

den christlichen wie gegen den heidnischen Gott. Als der Materialismus<br />

herrschend wurde, gefiel man sich in solchen Reaktionen gegen die Unredlichkeit<br />

des Idealismus. Und die Angriffe gegen den verstiegenen Idealismus<br />

Hegels setzten sehr bald nach seinem Tode ein, wenn auch das Gesetz<br />

der geistigen Trägheit sich mit allerlei Menschlichkeiten verband, um den<br />

Schein zu erwecken, als wäre die Herrschaft der Hegelei unerschütterlich.<br />

So haben wir einige Gegner Feuerbachs zu nennen, die im Widerspruch<br />

zu dem allgemeinen Beifall den Junghegelianer als einen Hegelianer<br />

angriffen; gar manchen wird es überraschen, just den Sprachkritiker Gruppe,<br />

den vorurteilslosen Haym und den unvergleichlichen Anarchisten Stirner<br />

als Gegner des Atheisten Feuerbach kennen zu lernen. So steht es aber um<br />

die sogenannte Religionsphilosophie, dieses hölzerne Eisen, das so unvertilgbar<br />

scheint wie die theologischen Fakultäten. Alle, die Ernst machten<br />

mit ihrem Kampfe gegen die Überschätzung der Worte oder Begriffe, die<br />

— erkenntniskritisch — die Unwahrheit Hegels erkannt hatten, mußten<br />

sich auch von der Halbheit Feuerbachs abwenden. Nur die Armen am<br />

Geiste, die aus dem Dogma Hegels blindwütig in das andere Dogma des<br />

Materialismus verfielen, bildeten die Anhängerschaft Feuerbachs.<br />

O. F. Gruppe O. F. Gruppe hatte schon in seinem "Antäus" (1831) richtig gesehen,<br />

daß Hegels Methode der Begriffsbewegung am Ende das Denken über das<br />

Glauben, die Philosophie über die Theologie stellen müßte. Es ist bekannt,<br />

daß die Junghegelianer bald darauf diese Konsequenzen zogen,<br />

daß durch D. F. Strauß und Bruno Bauer die Selbstzersetzung des Christentums<br />

— wie E. von Hartmann es später genannt hat — reißende Fortschritte<br />

machte. Aber diese starken Kritiker selbst scheuten damals und<br />

O. F. Gruppe 199<br />

später vor einer Bekämpfung des Gottesbegriffs zurück; erst ihre Anhänger<br />

und Schüler, weil sie sich mit ihren Worten an die breitere Masse wandten,<br />

wagten auch diesen Schritt, immer noch mit einiger Vorsicht. Man lese im<br />

"Streit der Kritik mit Kirche und Staat" (1843, Verfasser ist Edgar Bauer,<br />

Brunos Bruder) die folgenden Sätze: "Die Kritik ist atheistisch. Das ist<br />

von ihren Gegnern beinahe noch öfter ausgesprochen worden, als von ihren<br />

Anhängern; es ist eine Tatsache, welche zu leugnen niemand einfallen wird.<br />

Die Kritik ist atheistisch; sie richtet sich gegen Gott und Religion; aber ist es<br />

der Kritiker? Nein, er ist mehr als ein Atheist, er ist ein Mensch, ein freier<br />

Mensch. Was heißt das? Atheist, meine ich, ist ein zu spezieller Ausdruck;<br />

es liegt in diesem Worte noch viel zu sehr der Gegensatz gegen Gott ausgedrückt;<br />

der religiöse Mensch steht aber auch, ja stellt sich selber in Gegensatz<br />

zu Gott, und so mein' ich, daß Atheist noch ein viel zu religiöser Ausdruck<br />

ist, noch viel zu sehr eine Art Verhältnis zu Gott bezeichnet. Der<br />

Kritiker will aber nicht bloß immer in Gegensatz, in Kampf mit dem religiösen<br />

Bewußtsein bleiben; er will siegen, jenes ganz von sich abwerfen;<br />

er will Mensch sein; sagen wir also fortan nicht mehr: der Kritiker ist ein<br />

Atheist, sondern: der Kritiker ist ein freier Mensch" (S. 31). Selbstverständlich<br />

wird die Unterscheidung zwischen dem persönlichen Kritiker und der<br />

moralischen Person "Kritik" nur gemacht, um eine Verfolgung zu erschweren.<br />

In seiner zweiten Streitschrift gegen Bruno Bauer, "Lehrfreiheit<br />

und Preßunfug" (1843), triumphiert Gruppe über dieses förmliche<br />

Bekenntnis; er habe schon längst die Unchristlichkeit der Hegelschen Philosophie<br />

und die Verwandtschaft des Pantheismus und Atheismus gesehen;<br />

das absolute Erkennen habe dahin führen müssen, "den Menschen zum<br />

Gott, und Gott zu einem abhängigen Wesen oder zu gar nichts zu machen"<br />

(S.85). Der Sprachkritiker Gruppe, der so meisterlich die Gefahr der<br />

abstrakten Begriffe für alles spekulative Denken darstellte, sah in der Bezeichnung<br />

"Atheist" noch einen schimpflichen Vorwurf; offenbar hielt er<br />

das Wort "Gott" nicht für eine Abstraktion. Wir werden gleich sehen,<br />

wie reaktionär sich Gruppe gegen den radikalsten Junghegelianer wenden<br />

konnte: weil Gruppe sich selbst an Hegel geschult hatte, weil Gruppes<br />

Sprachkritik sich im Grunde nur gegen die durch Hegel mit ungeheurer<br />

Kraft vergewaltigte Sprache richtete. Wir haben diesen Gruppe bereits<br />

(zu Beginn dieses Abschnittes) als einen politisch fast reaktionären, geistig<br />

sehr freien Kritiker der ganzen Hegelei kennen gelernt. Der Streit drehte<br />

sich damals immer um Hegel.<br />

Und da fühle ich die Pflicht, die so gut wie verschollene Schrift eines<br />

ganz anderen Mannes auszugraben, der kein Gegner, der vielmehr ein<br />

leidenschaftlicher Bewunderer von Feuerbach war, der aber das ganze

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