29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

190 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />

Wenn Feuerbach in der akademischen Laufbahn nicht sein Glück machte,<br />

so lag das wirklich nur zum geringsten Teile an den Mängeln seiner Begabung;<br />

es ist wahr, er war nach allen Berichten ein schlechter Redner,<br />

das hat aber niemals einen gefälligen Gelehrten verhindert, zum ordentlichen<br />

Professor vorgeschlagen und ernannt zu werden. Feuerbach erlangte<br />

diese Stellung niemals, obgleich er es noch sehr lange an klugen und oft<br />

unwürdigen Versuchen*) dazu nicht fehlen ließ; der Stolz Schopenhauers<br />

fehlte ihm, der um die gleiche Zeit nach einem ersten Anlaufe auf die<br />

akademische Laufbahn verzichtete; freilich hatte Feuerbach auch nicht ein<br />

gesichertes, ausreichendes Einkommen in der Hinterhand.<br />

Der äußere Grund für das Fehlschlagen seiner Hoffnungen war das<br />

Erscheinen einer unkirchlichen Schrift. Sie kam 1830 anonym heraus,<br />

stand ihm aber nachher immer im Wege, nicht nur in dem katholischen<br />

Bayern. Der Titel unterdrückt noch die Hauptfrage und lautet vorsichtig:<br />

"Gedanken eines Denkers über Tod und Unsterblichkeit." Noch hat Feuerbach<br />

das Schlagwort Anthropologie nicht gefunden, durch welches er später<br />

alle Begriffe der Religion erklärte; aber schon weist er den Unsterblichkeitsglauben,<br />

ohne den doch die Religion eine bankerotte Aktiengesellschaft wäre,<br />

als ein psychologisches Gebilde nach; und versucht überdies, die Möglichkeit<br />

eines individuellen Fortbestehens nach dem Tode naturwissenschaftlich zu<br />

widerlegen. (Nur sechs Jahre später nahm der feinere Fechner, der ein<br />

halber Mystiker, aber kein Frömmler war, die Verteidigung dieser Möglichkeit<br />

wieder auf.)<br />

Stärker als die logische Beweisführung wirkt der Ton, in welchem<br />

Feuerbach die heimlichen Motive des Unsterblichkeitglaubens behandelt.<br />

Egoismus und Eitelkeit allein verführen den Menschen dazu, das Tier<br />

vollständig, sich selbst nur unvollständig sterben zu lassen. Wie der Russe<br />

glaube, der Himmel sei nur für den Zaren und für die Bojaren da, so<br />

wisse der Spiritualist nichts davon, "daß der Mensch nicht des Geistes,<br />

sondern der Geist des Menschen wegen da ist". Über die Wonnen des Jenseits<br />

spottet Feuerbach schon wie ein Materialist.<br />

*) Im Jahre 1834 bewarb er sich bei Altenstein um eine Anstellung in Bonn; dann<br />

aber 1836 sogar in Erlangen selbst, obgleich er wußte und sagte, da wäre die Philosophie<br />

nur eine Betschwester der Theologie. Trotz inneren Widerstrebens duldete er es, daß von<br />

Freunden und Verwandten in Marburg, in Freiburg und auch in Bern angefragt wurde.<br />

Eine Eingabe, in welcher er 1835 bei einem einflußreichen Geheimrate um Anstellung an<br />

irgendeiner preußischen Universität nachsuchte, ist nicht frei von Schmeichelei: "Preußen<br />

verehre ich als mein zweites, mein geistiges, mein wahres Vaterland . . . Kein größeres<br />

Glück wüßte ich mir, als eine sittliche Stellung in einem Staate zu finden, wo die Intelligenz<br />

selbst als spekulative sich ein bleibendes Dasein geschaffen hat, wo das Individuum in seiner<br />

Arbeit nicht einsam und verlassen, sondern sich als das Glied eines zu einem gemeinschaftlichen<br />

Werk zusammenwirkenden Ganzen weiß."<br />

Ludwig Feuerbach 191<br />

An das Dasein Gottes rührt er also noch nicht. Die Frommen mochten<br />

empört darüber sein, daß Feuerbach ihre robusten Vorstellungen von<br />

Himmel und Jenseits lächerlich machte; aber von dieser Vergeistigung der<br />

Landesreligion war noch ein weiter Weg bis zu der Ablehnung des Christentums<br />

und der Leugnung auch nur des persönlichen Gottes. Nach dem<br />

Erscheinen seines Hauptwerks gab Feuerbach (1847) einen Kommentar zu<br />

seinen "Gedanken" von 1830 heraus, und da war sein Standpunkt schon<br />

antichristlich genug.*)<br />

Fast übermütig, nur daß der Voltairesche Witz völlig fehlt, geht Feuerbach<br />

in dem einleitenden Aufsatze noch einmal von dem Paradoxon aus,<br />

das ihm oft zum Vorwurfe gemacht worden war, und das wirklich (es wird<br />

uns noch beschäftigen) nicht geschmackvoll ist: "Der Mensch ist, was er ißt."<br />

Das Paradoxon wird jetzt auf das Opfern gedeutet; opfern heißt die<br />

Götter speisen. Weiter richtet sich Feuerbachs Polemik gegen den Glauben<br />

an die Willensfreiheit; er steht so ziemlich auf dem deterministischen Standpunkte<br />

von Schopenhauer, wendet sich aber in der zweiten Auflage der<br />

Schrift scharf gegen Schoppenhauers (sic!) Willensbegriff. "Der Wille<br />

ist ein Wort, das nur Sinn hat, wenn es mit einem anderen Hauptworte,<br />

oder vielmehr, denn es äußert und bezeugt sich ja nur in Handlungen, mit<br />

einem Zeitwort verbunden wird." (S. 63; ich zitiere nach der Ausgabe<br />

von 1866.)<br />

Feuerbach lehrt in einer verhegelten Sprache doch einen dogmatischen<br />

Materialismus; sogar seine Exempel erinnern an Hegels Geschichtsphilosophie,<br />

so, wenn er die kühne Behauptung, der deutsche Materialismus sei<br />

ohne französischen und englischen Einfluß bodenständig aus der deutschen<br />

Reformation erwachsen, daraus zu erweisen sucht, daß Luthers Sohn Paul<br />

nicht Theologe, sondern Arzt geworden sei.<br />

Aber das kirchliche Dogma hatte er schon 1830 entschieden verworfen;<br />

die Unsterblichkeit ist ihm (er ist immer der Mann der blendenden, scheinbar<br />

geistreichen, eigentlich schiefen Bilder gewesen) die charakterlose, farben­<br />

*) Ganz materialistisch und atheistisch, soweit sein Wortaberglaube das gestattete,<br />

erscheint Feuerbach erst in der späteren Schrift über den fast gleichen Gegenstand: "Gottheit,<br />

Freiheit und Unsterblichkeit vom Standpunkte der Anthropologie" (1866). Hier<br />

steht der Verfasser schon fest auf dem Boden, den er sich durch sein Hauptwerk erobert<br />

hatte. Und der Entwicklungsgedanke ist hinzugekommen. Keine Theologie mehr, nur noch<br />

Theogonie. Der Gottesbegriff stammt nicht aus der Erfahrung, sondern aus der Sehnsucht.<br />

"Was der Mensch nicht ist, aber sein will oder zu sein wünscht, das eben und nur<br />

das, sonst nichts, ist Gott." Das Tier will nur, was es kann; darum weiß es nichts von<br />

Gott. Das Produkt der Sehnsucht hat lauter Eigenschaften, die den Gegenständen<br />

menschlicher Wünsche entsprechen: die Unsterblichkeit, die Allmacht, die Allwissenheit;<br />

diese Eigenschaften hätten gar keinen Sinn, sähe man in ihnen nicht Ideale, eine<br />

Negation der menschlichen Beschränkungen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!