Band 4 - m-presse
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394 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />
in Handel und Gewerbe; die Kaufleute würden lachen, wenn man ihnen<br />
zumuten wollte, bei dem Warenaustausch, den sie besorgen, an irgend<br />
etwas anderes zu denken als an ihren irdischen Nutzen.<br />
Und vorbei ist es mit der Macht der alten Religion auch im Kriegshandwerk.<br />
Seit dem Westfälischen Frieden wurden keine Religionskriege<br />
mehr geführt, nur noch sogenannte Nationalkriege. In Wahrheit: die<br />
Kriege wurden nach wie vor geführt von ehrgeizigen oder landhungrigen<br />
Fürsten (oder von geldgeizigen Machthabern) und die Völker der allgemeinen<br />
Wehrpflicht wurden in diese Kriege hineingehetzt mit Redensarten des<br />
nationalen Fanatismus, wie bis 1648 mit Flüchen des religiösen Fanatismus.<br />
Und überall gaben sich die allezeit gefälligen Diener am Wort<br />
dazu her, auch die Redensarten der Nationalkriege zu heiligen. „Gott<br />
will es." Gott wollte es immer, einerlei, ob es sich um die Eroberung des<br />
Heiligen Grabes handelte oder um die Besitznahme eines Negerdorfes.<br />
Die Diener am Wort haben nicht erst im jüngsten Weltkriege, dem grauenhaften,<br />
mit solcher Lüge auf die falsche Karte gesetzt.<br />
Zola Schon während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 hatte die<br />
katholische Kirche — in bescheidenerer Weise auch einige protestantische<br />
Kirchen — sich einige Rechnung darauf gemacht, die gemarterten Völker<br />
würden in ihrer Verzweiflung zu Gott als dem Friedensfürsten zurückkehren.<br />
Und die katholische Kirche, wieder einmal klüger als ihre Konkurrentinnen,<br />
dachte auch schon daran, zum Zwecke der Sicherung ihrer Herrschaft die<br />
Monarchie zu verraten und mit der Demokratie oder gar mit der Sozialdemokratie<br />
einen Bund zu schließen. Die Stimmung jener Zeit, namentlich<br />
die Stimmung von Frankreich, lernt man am besten kennen aus den drei<br />
letzten Romanen Zolas (Lourdes, Rom, Paris), die zwar erst im letzten<br />
Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erschienen sind, aber die geistigen und<br />
wirtschaftlichen Kämpfe der Zeit nach dem Kriege zum Gegenstande<br />
haben. Zola ist in diesen Romanen noch weniger „Dichter" als früher,<br />
aber ein Beobachter oder Historiker, der kaum seinesgleichen hat; unbeirrbar<br />
und unbestechlich. Fast pedantisch und einseitig der Haß gegen<br />
die katholische Kirche; die Romane wurden in Rom auf den Index der<br />
verbotenen Bücher gesetzt.<br />
Für uns kommt besonders der Roman "Paris" in Betracht, weil da<br />
die heimliche Arbeit der Kirche an der Wiedereroberung Frankreichs dargestellt<br />
wird. Der ganze Höllenkessel von Korruption erinnert nur allzusehr<br />
an die letzten Jahrzehnte in Deutschland; die Flucht in die Kirche erscheint<br />
nur als eine neue Form der Korruption. Und der Held des Romans, der<br />
gute Abbé Pierre Froment, der in Lourdes seinen Wunderglauben, in<br />
Rom sein Vertrauen auf die katholische Kirche verloren hatte, wird zu<br />
Zola 395<br />
einem entschiedenen Unchristen. „Der Versuch ist angestellt. Das Heil der<br />
Menschheit kann nur durch die Gerechtigkeit kommen, nicht durch die Barmherzigkeit.<br />
Seit bald zweitausend Jahren hört das Evangelium nicht auf,<br />
zu abortieren. Jesus hat nichts erlöst; das menschliche Leiden ist gleich<br />
groß und gleich ungerecht geblieben. Das Evangelium ist ein aufgehobenes<br />
Gesetzbuch, das der Gesellschaft nur noch schaden kann. Los vom Evangelium"<br />
(Paris, S. 410).<br />
Und da der Bruder des Helden, der gelehrte Edelanarchist, die Pulvermischung<br />
gefunden hat, deren Wirkung so fürchterlich ist, daß jeder weitere<br />
Krieg zu einem Wahnsinn würde, da er die zerstörende Kraft des neuen<br />
Dynamits vor aller Welt beweisen will, wählt er zum Gegenstande der<br />
Zerstörung just die Kirche, durch deren Erbauung der Sieg des Glaubens<br />
wie zu einem Symbole gemacht worden war. "Es gibt ja keinen dümmeren<br />
Blödsinn als unser großes Paris beherrschen zu wollen durch diesen Tempel,<br />
erbaut zur Verherrlichung des Absurden. Soll man sich wirklich nach Jahrhunderten<br />
der Wissenschaft diese Ohrfeige gefallen lassen, die dem gesunden<br />
Menschenverstande gilt? Paris soll bereuen, soll Buße tun dafür, daß es<br />
an der Befreiung der Wahrheit und der Gerechtigkeit gearbeitet hat. Nein,<br />
weggefegt muß werden, was es auf seinem Wege fesselt oder beleidigt.<br />
Nieder mit diesem Tempel und seinem Gotte der Lüge und der Knechtschaft"<br />
(S. 565).<br />
Man sieht: als Reaktion gegen das Kriegselend schon 1871 der Versuch<br />
der Kirche, ihre alte Herrschaft wieder aufzurichten, als Gegenreaktion ein<br />
wilder Kirchenhaß der Freidenker. Der Zusammenbruch von 1918 hat noch<br />
keinen so naturalistischen Beobachter und Darsteller gefunden, wie Zola<br />
einer war für das schreckliche Jahr Frankreichs. Aber ich glaube feststellen<br />
zu können, daß die Diener am Wort abermals auf die falsche Karte gesetzt<br />
hatten, da sie seit 1914 den Nationalhaß schürten. Nur daß das Tempo der<br />
Erkenntnis sich wieder einmal beschleunigt hatte. Nach 1870 brauchte es<br />
Jahre, bevor selbst ein solcher Arbeitsriese wie Zola zuerst den Naturalismus<br />
des Krieges (La Débâcle) und dann in den drei symbolistischen<br />
Werken seine religiösen Auswirkungen schildern konnte. Jetzt folgten<br />
Schlag auf Schlag, in Frankreich noch zwischen den Schlachten, in<br />
Deutschland unmittelbar nach dem Zusammenbruch von 1918 die Darstellungen<br />
der Greuel und die Warnungen vor der Spekulation, mit<br />
welcher die Kirchen ihre Gewinne aus den Greueln zu ziehen versuchten.<br />
Während des Weltkriegs war die Redensart vom Umlernen auf Weltkrieg<br />
gekommen. Das ungeheure Erlebnis vereinigte die Klugen und die<br />
Dummen in dem Glauben an eine vernünftige Weltregierung: die unerhörte<br />
Zahl der Opfer dürfe nicht umsonst gefallen sein, eine Weltwende stehe