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Band 4 - m-presse

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424 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

bei solchen modernen Menschen, die nicht geradezu von Schopenhauer<br />

herkommen oder die ihn überwunden haben; und diese Liebe gilt einzig<br />

und allein den deutschen Schriften, mag ihr Verfasser wer immer gewesen<br />

sein; die lateinischen Schriften sind auch nach ihrer Entdeckung unbekannt,<br />

unwirksam geblieben. Die Sprachform ist für die überragende Bedeutung<br />

der deutschen Schriften Eckharts nicht zufällig.<br />

Was aus der Enge der Theologie zu dem immerhin befreienden Pantheismus<br />

herausgeführt hat, das war auf dem einen Wege die Kälte der<br />

Vernunft, auf dem anderen Wege die Inbrunst der Mystik. Die Vernunft<br />

konnte sich ohne wesentlichen Schaden der toten lateinischen Sprache<br />

bedienen, wie denn auch die kühne Kritik der Nominalisten und Bacons<br />

Ruf nach Empirismus in lateinischer Sprache die völlig entsprechende Form<br />

fanden. Auch mystische Schriften in lateinischer Sprache besitzen wir;<br />

hier aber fehlte der letzte Ausdruck der Inbrunst, fehlte das Hineinknien in<br />

die mystischen Vorstellungen, solange das Gefühl sich nicht in der Muttersprache<br />

äußern konnte. Noch eins kommt hinzu; für die orthodoxe Dogmatik<br />

sind die verhältnismäßig sauber definierten lateinischen Termini<br />

gut geeignet; an die gleichen Begriffe der Muttersprache, selbst wenn sie<br />

durch genaue Lehnübersetzung gebildet worden sind, kann die freie Ketzerei<br />

leichter anknüpfen. Gerade die zitternden Umrisse der muttersprachlichen<br />

Worte sind ihr Reichtum, bis auch diese Worte in einer neuen Scholastik<br />

versteinern. Man vergleiche den Lehrsatz der Scholastik ,,Omnis cognitio<br />

fit per similitudinem cognoscentis et cogniti" mit Eckharts an Kant<br />

gemahnenden Gedanken "Ein jeglich empfänglich Ding wird empfangen<br />

und gefasset in seinem Empfangenden nach der Weise des Empfangenden".<br />

Auch wo Eckhart Sätze von Thomas, Scotus oder Dionysios (er zitiert<br />

den Areopagiten unzähligemal) zu wiederholen scheint oder glaubt, da<br />

wirken sie neu in den Tönen einer unverbrauchten Sprache; selbst das<br />

allgemeinste Wort esse (Wesen) oder die Negation gewinnen eine ganz<br />

neue Kraft. Erst die Muttersprache reizt (wie später allzuoft bei Angelus)<br />

zur äußersten Verwegenheit an: "Ehe die Kreaturen waren, da war<br />

Gott nicht Gott"; "Ware ich nicht, so wäre Gott nicht." Die Eigenschaften<br />

Gottes sind sein "Kleidhaus", in welchem man den "bloßen", den nackten<br />

Gott suchen soll. Unmöglich auf Lateinisch zu sagen: "Gott wird und entwird."<br />

Wahrscheinlich würden wir den Verfasser des deutschen Eckhart<br />

weniger lieben, fänden wir nicht bei ihm so viele deutsche Worte mit dem<br />

Dufte der frischgebrochenen Erdscholle, Lehnübersetzungen von erobernder<br />

Kraft: Unterwurf (Subjekt), Fürwurf (Objekt), Bilde (Idee), Istigkeit<br />

(anitas, von einem latinisierten Araber aus an est gebildet), selbstehendes<br />

Wesen (Substanz), redelich (rationalis), Grobheit (materialitas); sicherlich<br />

Meister Eckhart 425<br />

hören wir aus solchen neuen Tönen mitunter Melodienreichtum heraus,<br />

wo man eher an die hilflose Armut eines ersten Anfangs denken sollte;<br />

und dennoch hatte unsere Liebe recht: die Melodie war schon da. Wer<br />

in der Sprache der Kinder zu philosophieren wagt, fällt nicht so leicht<br />

wieder in die Scholastik zurück. Das passiert dem deutschen Eckhart dann<br />

am leichtesten, wenn er seinem Gotte das lateinische Kleidhaus nicht<br />

völlig abgenommen hat; ich zitiere dafür nur eine sehr berühmte Stelle,<br />

die im Grunde doch scholastische Spreu ist: „Die ungenaturte Natur naturet<br />

nur so viel als sie sich lässet naturen usw."<br />

Wir brauchen wieder nur Goethes zu gedenken, um heute noch den<br />

Dichter zu erleben, fast ohne jede Spur des Alterns in seinen Zügen,<br />

der ein Antichrist war ohne Zorn, gottlos im Leben, realistischer Mystiker<br />

im Dichten. Die gottlose Mystik darf sich auf ihn berufen als auf den<br />

Dichter ihres Glaubens, so oft er auch den Namen Gottes unnützlich<br />

aussprach.<br />

Nun aber, bevor ich mein letztes Kredo aufsage, noch eine Bemer­ Gottlose<br />

kung über den Wortschall „gottlose Mystik". Man sollte keinen Anstoß<br />

nehmen an der Zusammenstellung „gottlos" und „Mystik", weil ja die<br />

Wissenschaft eine Psychologie ohne Psyche längst anerkannt hat, eine<br />

Seelenlehre ohne Seele. Aber ich will ein noch ähnlicheres Beispiel anbieten.<br />

Es steht um die gottlose Mystik, die ich den gottseligen Mystiken<br />

früherer Zeiten entgegenstellen möchte, beinahe ebenso, wie um die wunderlose<br />

Chemie, die sich aus der wundersüchtigen Alchimie entwickelt hat;<br />

daß die Chemie ihren ehrwürdigen Namen bei dieser Gelegenheit modernisierte<br />

und in Wort und Sache morgenländische Vorstellungen abstreifte,<br />

das ist wirklich ohne Bedeutung. Auch die alten Alchimisten hielten es für<br />

die Aufgabe ihrer ungesunden Träumereien, unedle Metalle in edles<br />

Gold zu verwandeln, einen Stein der Weisen zu finden und das Lebenselixier.<br />

Auch die alten Alchimisten hielten an dieser Hoffnung durch Jahrhunderte<br />

fest, weil sie, im wortrealistischen Aberglauben befangen, das<br />

Dasein der Wörter „Stein der Weisen, Lebenselixier" für einen hinreichenden<br />

Beweis dafür hielten, daß auch die Sachen irgendwo vorhanden<br />

wären und nur gesucht werden müßten. Genau so stützten sich die alten<br />

Mystiker wortabergläubisch auf das Dasein des Wortes Gott, wenn sie<br />

das zu finden hofften, was dem Worte etwa entsprach. Selbst die Methoden<br />

waren nicht so unähnlich, wie man glauben sollte, denn auch die Mystiker<br />

arbeiteten mit Erfahrung, der inneren freilich, und auch die Alchimisten mit<br />

der Versenkung in die Geheimnisse der Natur. Ich will den Vergleich<br />

nicht weiter dahin ausdehnen, daß auch die Alchimie am Ende nicht ganz<br />

fruchtlos war, daß Glaubersalz und ätzende Säuren in der Küche der

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