Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
50<br />
Drittes Buch. Dreizehnter Abschnitt<br />
Abhandlung "über die Natur des Glaubens" mitgeteilt und die Geständnisse<br />
eines Atheisten über seine Meinungen und seine Gemütsstimmung<br />
beigefügt; diesen Brief über den nach Kant allein noch möglichen „Atheismus<br />
der moralischen Vernunft" gab Heydenreich nun 1796 heraus, ließ<br />
weitere Briefe des Atheisten folgen, versah seine langen Antworten mit<br />
dem nötigen deistischen Gegengifte und nannte gleich in der Vorerinnerung<br />
den Zustand seines Gottesleugners eine Art erhabener Gemütskrankheit.<br />
Ich begehe kein Unrecht, wenn ich vorläufig die deistischen Gegengründe<br />
ganz beiseite lasse und nur einen Auszug aus der atheistischen Weltanschauung<br />
vorlege; ich werde dabei die beliebte indirekte Anführung vermeiden,<br />
um die Kraft der Darstellung nicht abzuschwächen.<br />
Atheisten- "Sie halten es ebensowenig für entehrend, mit mir, in Ihren Augen<br />
vielleicht einem Verirrten, in geistige Gemeinschaft zu treten als ich erröte,<br />
mich Ihnen als ein Wesen anzukündigen, welches keine Gottheit glaubt<br />
und keiner Gottheit bedarf . . . Und Sie trauen vielleicht Ihren Augen<br />
nicht, wenn Sie lesen, daß ich, unerachtet der eifrigsten und glücklichsten<br />
Bemühungen in das System Kants einzudringen, so wenig Stimmung<br />
zum Glauben gewonnen habe, daß ich mir nicht einmal die Möglichkeit<br />
denken kann, wie ein vernünftiger Mensch vernünftigerweise glauben<br />
könne . . . Kann man mir es verdenken, wenn ich argwohne, es gebe gar<br />
keinen sicheren Weg zum Glauben an Gott und Unsterblichkeit zu gelangen,<br />
und selbst der von dem Urheber der kritischen Philosophie eröffnete könne<br />
höchstens zu einer frommen Selbsttäuschung führen, wenn man ihn mit<br />
gutem Willen und hingegebener Gesinnung einschlägt? ... Ich kann mich<br />
darein ergeben ohne Religion aus der Welt zu gehen, aber den Wunsch<br />
kann ich nicht überwinden, vor meinem letzten Atemzuge zu erfahren,<br />
warum ich nicht für die Religion oder die Religion nicht für mich war.<br />
„Mein allererster Religionsunterricht war der gewöhnliche. Bibel<br />
und Heilsordnung . . . von denen ich eigentlich nicht viel mehr verstand,<br />
als daß ich mich sehr empfindlichen Züchtigungen aussetzte, wenn ich sie<br />
nicht behielt. Kaum wußte ich, wozu meine fünf Sinne, meine Hände und<br />
Füße dienten, als man mir schon von einem Gotte, einem Sohne, einem<br />
Geiste desselben und einer Dreieinigkeit vorredete. ... Ich wuchs heran,<br />
mein Gefühl für das Schöne der Natur entwickelte sich . . . in den Stunden<br />
dieser unschuldigen Trunkenheit kann ich sagen, daß ich die ersten Ahnungen<br />
von Religion hatte . . . Die Natur hatte durch ihre reizende Außenseite<br />
mein Herz bestochen; die Vernunft entdeckte die Bestechung . . . Unvorsichtigerweise<br />
hatten (die Lehrer) meine Wißbegier für das innere der<br />
Naturforschung gereizt und mir eben dadurch die Waffen gegen sie in die<br />
Hände gegeben. Denn durch nichts kann man wohl den gleißenden Schein<br />
Heydenreich 51<br />
der Physikotheologie glücklicher enthüllen als durch eine tiefe und ausgebreitete<br />
Einsicht in die Kräfte und Ordnung der Natur selbst . . . Die<br />
Natur hat mich, wenn ich schärfere Erforschungen über sie anstellte, nie<br />
zu Gott, sondern immer wieder auf sie selbst zurückgeführt.<br />
„Und sagen Sie selbst, was anders treibt unsern Geist aus der lebensvollen<br />
Natur in eine luftige Ideenwelt als jene Verblendung, mit der wir<br />
in die Natur hineintragen, was nicht in ihr ist, und das übersehen, was<br />
vor uns liegt und ihre unerschöpfliche sich selbst genügende Kraft ankündigt?<br />
Zeigen Sie mir einen Endzweck der Natur, ja zeigen Sie mir nur einen<br />
Zweck in ihr, der nicht durch unseren dichtenden Geist untergeschoben wäre . . .<br />
Sie sehen aus diesem allem, daß die Kantische Religionslehre in mir keinen<br />
physikotheologischen Aberglauben zu bekämpfen fand . . . mit ihren weitschweifigen<br />
Widerlegungen der metaphysischen Beweise, denen er wohl<br />
zu viel Ehre erzeigte; indem er ihnen so viel Aufmerksamkeit und so vielen<br />
Scharfsinn widmete.<br />
„Ich habe keinen Grund ein Geheimnis daraus zu machen, daß ich<br />
in meinem Unglauben keinen Mangel fühlte und daß mein Herz ebensowenig,<br />
um besser und besser zu werden, nach einem Gotte verlangte als<br />
mein Verstand ihn suchte, um sich über die Möglichkeit des Universums<br />
aufzuklären. . . . Meine Seelenkräfte waren im Zustande vollkommener<br />
Gesundheit und mein Herz unverdorben; ich war ohne Religionsglauben,<br />
aber auch so wenig gegen ihn eingenommen, daß ich mich vielmehr in jenem<br />
ruhigen Gleichgewichte befand, wo man die Religion nicht sucht, aber auch<br />
nicht verschmäht, wenn man sie findet . . . Je einheimischer ich durch meine<br />
Erforschungen im Reiche der Naturkräfte wurde, um so mehr verschwand<br />
alles Bedürfnis eines Glaubens an das Übersinnliche, und je mehr ich mich<br />
jetzt in den Gedanken der sittlichen Ordnung vertiefte, um so mehr gewann<br />
mein Herz an jener Selbstgenügsamkeit, bei der es keine Stütze für jenen<br />
Gedanken suchte . . . Schwerlich werden Sie in diesen Zügen verkennen,<br />
daß ich mir den Buchstaben der Kantischen Moralphilosophie zu beleben<br />
und in den Geist derselben einzudringen gewußt habe.<br />
„Und so sehen Sie denn, daß ich mit meinem moralischen Bewußtsein<br />
bestehe, ohne den Übergang zum Glauben machen zu müssen ... Ist es<br />
auch wohl ein Gedanke für ein vernünftiges Wesen, nach einem Grunde<br />
und Zwecke der Moralität zu fragen? ... Ich bin so weit entfernt, mir<br />
wegen dieser Ungläubigkeit einen Vorwurf zu machen, daß ich mir vielmehr<br />
nicht verbergen kann, ich würde gesunken zu sein glauben und in<br />
meinen Augen verlieren, wenn jemals jene feste Selbständigkeit meines<br />
Herzens durch ein Bedürfnis zu glauben wankend gemacht würde . . .<br />
Bekehrt zu sein interessiert mich nicht, wie Sie wohl denken können; aber