Band 4 - m-presse
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Drittes Buch. Vierzehnter Abschnitt<br />
Patrioten. Als er, des Atheismus beschuldigt, im März 1799 an die Weimarer<br />
Regierung den Drohbrief schickte, er würde im Falle auch nur eines<br />
öffentlichen Verweises Jena verlassen und mit einigen gleichgesinnten<br />
Professoren einen anderen, schon zugesicherten Wirkungskreis suchen, da<br />
hatte er nicht geflunkert; in Mainz, wo sich Forster und die anderen Klubbisten<br />
für die französische Revolution begeistert hatten, wo es nach der<br />
zweiten Eroberung wieder eine "Rheinische Republik" gab, wo die französische<br />
Regierung die ehemalige Universität wieder ins Leben rufen wollte,<br />
sollte Fichte—vielleicht kam die Anregung vom General Bonaparte—<br />
in hervorragender Stellung mitwirken. Die erste Anfrage war fast ein Jahr<br />
vor Ausbruch des Atheismusstreites in Jena angekommen. Es ist nicht<br />
daran zu zweifeln, daß Fichte der Annahme einer solchen Tätigkeit geneigt<br />
war und daß die gleichgesinnten Freunde, mit deren Abgang er drohte,<br />
in das Geheimnis eingeweiht waren. Gerade als Fichte dann seine Entlassung<br />
erhielt, hinderten wohl politische und militärische Rückschläge die<br />
französische Regierung, ihren Mainzer Plan auszuführen; sonst wäre Fichte<br />
wohl der erste Rektor einer französischen Universität am Rhein geworden.<br />
Bei meiner oft bezeugten Liebe zu Georg Forster brauche ich hoffentlich<br />
nicht zu versichern, daß ich um solcher Verhandlungen willen keinen Stein<br />
auf Fichte werfe; es waren keine Patrioten, aber oft die edelsten Menschen,<br />
die auch noch nach der Hinrichtung des Königs und der Absetzung Gottes<br />
für die Ideen der Revolution schwärmten und sich als Weltbürger fühlten;<br />
Fichte gar stand besonders weit links und war erst später bereit, seinen<br />
Republikanismus wie seinen Atheismus als Jugendirrtümer oder als<br />
Mißverständnisse beiseite zu stellen.<br />
Nun war es gerade der Drohbrief Fichtes, den er ohne die Aussichten<br />
auf Mainz kaum so verwegen abgefaßt hätte, was zum Bruche zwischen<br />
ihm und der Weimarer Regierung führte; nebenbei auch dazu, daß die gute<br />
Gesellschaft von Weimar (Schiller, Frau Herder) nichts mehr von Fichte<br />
wissen wollten. Die Regierung des kleinen Staates hatte die freundliche<br />
und lobenswerte Absicht, trotz der Heftigkeit des Kurfürsten von Sachsen<br />
und der Wut anderer sächsischer Herzogtümer, den Fall diplomatisch zu<br />
behandeln und dem atheistischen Professor, dessen Berufung bereits Anstoß<br />
erregt hatte, durchzuhelfen. Der Drohbrief bot den Gegnern Fichtes und<br />
wohl auch dem Herzog Karl August die Handhabe, den unbequemen Mann<br />
abzuschütteln. Und der Minister Goethe beteiligte sich an dem mindestens<br />
formalen Unrechte, daß man die Drohung als eine amtliche Demission<br />
auffaßte und den Professor Fichte ohne Untersuchung entließ.<br />
Es wäre die Sache eines Ludwig Börne, der bei allem Reiz der Persönlichkeit<br />
doch oft nur ein parteipolitischer Tagesschreiber war, oder die<br />
Fichte und Goethe 75<br />
eines seiner Nachfolger, dem Dichter Goethe daraus einen Strick zu drehen,<br />
daß er dem Professor Fichte aus seiner Drohung einer Demission einen<br />
Strick drehen geholfen hatte. Gewiß nichts leichter, als den Dichter dafür<br />
zu tadeln oder auch zu beschimpfen, daß der Minister Goethe nicht vorzog,<br />
auf seine Ämter und auf die Freundschaft des Herzogs zu verzichten, daß<br />
er in die widerrechtliche Entlassung des Freidenkers willigte (wobei es<br />
ganz unbeträchtlich ist, daß in dem herzoglichen Entlassungsbriefe heuchlerisch<br />
gesagt war, philosophische Spekulationen wären kein Gegenstand einer<br />
Rechtsentscheidung). Gewiß, nichts wäre leichter. Man brauchte nur zu<br />
vergessen oder darüber hinweg zu sehen, daß die Stellung der heutigen<br />
Philosophiegeschichte zu Fichte unser Urteil über Goethe nicht beeinflussen<br />
darf und daß Goethe zu der Nationalitätsfrage, zu Fichtes Metaphysik, zur<br />
französischen Revolution und endlich zum Atheismus ganz anders stand, als<br />
der politische Parteikompaß es heute von einem freien Menschen verlangt.<br />
Was war Fichte für Goethe? Er hat den Philosophen der Wissenschaftslehre<br />
einmal ("Einwirkung der neueren Philosophie", 1820) oberflächlich<br />
dankbar mitgenannt, hat die Anregung zu der kleinen nachdenklichen<br />
Sammlung überflüssiger und schädlicher Redensarten (von 1817) auf diesen<br />
kräftigen und entschiedenen Mann zurückgeführt; sonst hat er sich über<br />
Fichtes Ich, das das Nicht-Ich aus sich heraus geschaffen hat, oft weidlich<br />
lustig gemacht, unvergeßlich in der Baccalaureus-Szene des zweiten Faust,<br />
wo Fichte schließlich damit entlassen wird: „Original, fahre hin in deiner<br />
Pracht." So hat Goethe, der bewußte Nichtphilosoph, niemals über<br />
Denker geschrieben, deren Gesamtleistung er achtete. Seine Darstellung<br />
des Atheismusstreites (in den "Annalen") ist im ganzen ehrlich und gegen<br />
Fichte nicht unfreundlich: an seinen Gesinnungen wäre „in höherem Betracht"<br />
nichts auszusetzen gewesen, doch er wäre unbequem und unangenehm<br />
gewesen, also in niederem Betracht, und hätte Goethe und den<br />
Amtsgenossen keinen Ausweg gelassen als den gelindesten, den unbequemen<br />
Professor zu entlassen; und selbst in den ruhig berichtenden Annalen (vor<br />
der Katastrophe, 1794 und 1795), fehlt es nicht an grimmigem und fast<br />
billigem Spott über Fichtes aus dem Ich erschaffenen Welt.<br />
Über die französische Revolution dachte Goethe wahrlich anders als<br />
ein heutiger Konservativer; er fühlte (nach dem bekannten Worte): "Von<br />
hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr<br />
könnt sagen, ihr seid dabei gewesen." Aber er kannte die Menschen besser<br />
als Forster und Fichte und berauschte sich nicht an den Schlagworten von<br />
Freiheit und Gleichheit, an den republikanischen Grundsätzen; es war schon<br />
viel, daß er mithalf, die Berufung des Republikaners Fichte durchzusetzen,<br />
gegen den Widerspruch der anderen sächsischen Universitätsherren.