Band 4 - m-presse
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402 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />
(kein Jude von Geburt) Eliphas Levi, den Meyrink mit besserem Humor<br />
hätte einführen sollen. Aber das Fett abgeschöpft aus den Börsen<br />
wundersüchtiger Männlein und Weiblein hat doch Rudolf Steiner, der<br />
Theosoph, der sich ausweichend einen Anthroposophen nennt, der sich<br />
bei der Anpreisung seiner übermenschlichen Gaben des Fernsehens mit<br />
dreistester Scheinwissenschaftlichkeit auf den Buddha, auf Christus, auf<br />
Goethe und sonst auf alles Hohe beruft und von den Schwarmgeistern<br />
erklecklichen Zulauf erfahren hat. Eine Widerlegung dieses neuen Cagliostro<br />
wäre für eine gesunde Logik schwerer, als man denken sollte; das Hexeneinmaleins<br />
ist nicht zu widerlegen, nur auszulachen. Ein starker Komödiendichter<br />
müßte sich des Stoffes bemächtigen.*)<br />
Die Hoffnung darauf, daß der Weltkrieg die Gottesfurcht steigern<br />
werde, war so weit verbreitet, daß allerorten Propheten auftraten, die<br />
sich bereits auf eine Wiedergeburt des Mittelalters einrichteten. Ich habe<br />
sehr viele solche Schriften gelesen und kenne doch sicherlich nur den kleinsten<br />
Teil. Ich will nur zwei Propheten nennen: einen sehr schlauen Jesuiten<br />
und einen sehr törichten deutschen Reichskanzler.<br />
Einen wahren Triumphgesang über das Erstarken der Gottesfurcht<br />
fand ich angestimmt in einem der klugen und gelehrten Aufsätze, durch<br />
welche die "Stimmen der Zeit" (früher „Stimmen aus Maria-Laach")<br />
sehr geschickt den Schein erwecken, als stünde diese streng-katholische Zeitschrift<br />
auf dem Boden einer vorurteilslosen Wissenschaft. Der Artikel,<br />
von Otto Zimmermann S. J. gezeichnet, ist betitelt "Schriften zur natürlichen<br />
Gotteslehre" (Januar 1915). Da heißt es von einigen Schriften<br />
zum Beweise des Daseins Gottes: "Man steht ihnen freilich jetzt anders<br />
gegenüber als vor einem halben Jahr. Ehe der Krieg wie ein plötzlich aufsteigendes<br />
Sturmgewitter über uns hereinbrach, schien die Welt der Gottlosigkeit<br />
zuzutreiben und nichts schien zeitgemäßer, als Gottesbeweise aufzustellen.<br />
Aber in der Kriegsnot riefen wir wieder nach Gott; man zweifelte<br />
nicht mehr, sondern man betete, und hoch und nieder bekannte, daß man<br />
das Vertrauen auf Gott setze. Gott lebt und er führt das Recht zum Siege!<br />
Möchten nun die Bücher mit Gottesbeweisen auf immer den Stempel<br />
des Veralteten, gänzlich Überholten tragen."<br />
*) Nur darüber freilich kann ein Deutscher nicht lachen, was Eingeweihte längst<br />
wußten, was aber erst durch eine Unklugheit des Steiner aller Welt bekannt geworden ist,<br />
daß der für die Heerführung verantwortliche oberste General im Weltkriege, wieder einer<br />
des Namens Moltke, der Freund und Vertreter des Theosophen war; wieder rächte es sich<br />
am ganzen Volke, daß — wie vor der großen Revolution — die Cagliostro Gläubige gefunden<br />
hatten bei Personen aus den höheren Schichten der "Gesellschaft". Auch wer der<br />
Frage "Monarchie oder Republik?" undogmatisch gegenübersteht, fester Republikaner nur<br />
ist, weil der letzte Monarch Wilhelm II. hieß, auch der wird sagen müssen: in einer Republik<br />
hätte ein Geisterseher nicht ein so realpolitisches Amt erhalten können wie dieser Moltke II.<br />
Kanzler Michaelis 403<br />
Es widerstrebt mir, gegen den robusten Glauben an Wunder erst noch zu<br />
polemisieren. Es wäre aber meines Erachtens doch recht bedauerlich, wenn<br />
der Ausfall des Krieges in der Kulturgemeinschaft der europäischen Völker,<br />
die immerhin vorhanden war, eine dauernde Trennung dergestalt vollziehen<br />
würde, daß die Sieger ihren Gewinn mit einer Rückkehr zum alten<br />
Wunderglauben bezahlen, daß die Besiegten verhungern müßten und nur<br />
etwas Geistesbefreiung gewonnen hätten. Aber dafür war ja gesorgt,<br />
daß in dem unglücklichen Deutschland kein Versuch unterlassen würde,<br />
dem Volke die Religion zu erhalten. Als das Schicksal bereits unabwendbar<br />
war, beriefen einflußreiche Narren einen Frömmler auf den Platz Bismarcks,<br />
kurz bevor in letzter Stunde ein katholischer Gelehrter zum vorletzten<br />
Kanzler des protestantischen Kaiserreichs ernannt wurde. Und der Frömmler,<br />
dessen Namen man sich merken müßte, Dr. Michaelis, ist just der unverdächtigste<br />
Zeuge dafür, daß die innere Macht der Kirchenreligion gebrochen<br />
war, als in der Not das große Wettrennen um die Gläubigkeit<br />
des Volkes begann. Er hatte wenige Wochen vor Ausbruch des Weltkrieges<br />
(am 5. Juni 1914) vor sogenannten christlichen Studenten eine Rede gehalten,<br />
in der er aufrichtig zugestand, daß in unserem Staatsleben die<br />
Männer Gottes einen bestimmenden Einfluß nicht mehr haben. "Es gibt<br />
in unserem Parlament, im Reichstag und im Landtag, seitdem Vater<br />
Bodelschwingh gestorben ist, keinen Menschen, der irgendeine gesetzgeberische<br />
Maßnahme ganz klar und offen, schlicht und kindlich damit begründete:<br />
Ich fordere das, weil es Gottes Wille ist. Es ist eine so fernliegende<br />
Sache für leitende Männer, von ihrem persönlichen Stand zu Gott, zu<br />
Jesus im öffentlichen Leben zu sprechen, daß es die größte Verwunderung<br />
erregen würde, wenn einer mit seiner persönlichen Stellung zum Heiland<br />
und zum Wort Gottes eine staatliche Maßnahme rechtfertigen wollte.<br />
Wenn wir ganz klar sehen, dann müssen wir erkennen, daß die überwiegende<br />
Zahl der Deutschen der Meinung ist, das Christentum habe als solches<br />
seine direkte staatliche Einflußkraft nicht mehr. Sie meinen, das Christentum<br />
hat sich in dem Volke durchgewirkt, wir haben eine christliche Ethik;<br />
und darum gilt es nur auf dieser Grundlage weiter zu bauen, aber das<br />
Christentum als solches ist nicht mehr produktiv in unserem Leben. Das ist<br />
die herrschende Auffassung."<br />
Man achte auf den Unterschied zwischen diesem Schmerzensschrei<br />
eines offenbar gläubigen Mannes und den religiösen Redensarten, mit<br />
denen bei uns feierliche Erlässe ohne jede Gläubigkeit verbrämt zu werden<br />
pflegen. Bei solchen Redensarten wird die Fortdauer der religiösen Macht<br />
von Indifferentisten unehrlich vorausgesetzt; Dr. Michaelis, bevor er<br />
Reichskanzler geworden ist, wohlgemerkt, klagt ehrlich darüber, daß es