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Band 4 - m-presse

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Viertes Buch. Vierter Abschnitt<br />

nicht eben da, wo die Spötter standen, als vor fünfzehnhundert und zweitausend<br />

und Zweitausendfünfhundert Jahren legendar große Religionsstifter,<br />

ihrem Dämon folgend, ähnlichen Bewegungen eine Bahn brachen?<br />

Habe ich aber den Unfug der Heilsarmee den Engländern auf ihr<br />

Schuldkonto geschrieben, so muß ich endlich noch einmal hervorheben (vgl.<br />

S. 232), daß es auch England war, wo der christliche Skandal, die Unterdrückung<br />

der Geistesfreiheit durch die Präventivzensur, aufhörte; schon<br />

Aufhebung 1694, bald nach der "glorreichen" Revolution von 1688; die Forderung<br />

der Zensur fast völliger Preßfreiheit hatte Milton 1644 gestellt. Frankreich folgte<br />

— nach wechselnden, bald anarchischem bald despotischen Zuständen — erst<br />

1814, Deutschland gar erst 1848. Man vergißt, wenn von Preßfreiheit die<br />

Rede ist, zu leicht, daß es sich bei dieser Frage wahrlich nicht allein um Zeitungen<br />

und Zeitschriften handelt, sondern um alle Erzeugnisse der Buchdrucker<strong>presse</strong>,<br />

daß überhaupt erst seit der hohen Erfindung des Buchdrucks<br />

und seiner frühen Verwertung für die Sache der Reformation das Unerhörte<br />

aufkam, das in der antiken Welt — als Bücher noch, allerdings fabriksmäßig,<br />

abgeschrieben wurden — nicht hatte erdacht oder geduldet werden<br />

können: die christliche Kirche maßte sich die Entscheidung darüber an, ob<br />

eine Gedankenfolge, ein Buch also, gedruckt werden dürfte oder nicht.<br />

Man halte fest: das Zensurrecht der katholischen Kirche (die protestantischen<br />

waren nur nicht mächtig genug, um es überall ebenso zu halten) wurde auf<br />

dem Tridentinischen Konzil unter ein Anathem gestellt, ungefähr also zum<br />

Range eines Dogmas erhoben; und der Index librorum prohibitorum<br />

wird bis zur Gegenwart weitergeführt, die letzte Ausgabe ist von 1895.<br />

Ein Index aller Bücher, die den Gläubigen verboten sind. In Wahrheit:<br />

ein Katalog aller Verfolgungen, durch welche mit geistiger Folter neben<br />

der körperlichen die Befreiung von der Kirche verhindert werden sollte.<br />

Es wäre ein verdienstvolles Werk, eine Geschichte der kirchlichen Zensur<br />

einmal (nach den Vorarbeiten von Sachse und Reusch) vom Standpunkte<br />

des kämpfenden Atheismus aus zu schreiben. In diesem sehr nötigen<br />

Werke wäre es ein besonders reizvolles Kapitel, wenn zwei Ereignisse aus<br />

der Zeit der großen Revolution einander gegenübergestellt würden: wie<br />

die Preßfreiheit in England 1794 den letzten Sieg erfocht und wie Kant<br />

1792—1798 einen lähmenden Streit führen mußte um die Drucklegung<br />

religionsphilosophischer Schriften, nicht einen Kampf um Zensurfreiheit,<br />

nur um die kleine Frage, ob die theologische oder die philosophische Fakultät<br />

ihm dareinzureden hätte. (Man lese Diltheys schöne Abhandlung „Der<br />

Streit Kants mit der Zensur über das Recht freier Religionsforschung",<br />

1890.) Die damalige Rückständigkeit Deutschlands gegen England würde<br />

da grell beleuchtet.<br />

Fünfter Abschnitt<br />

Deutsche Philosophie nach Hegel<br />

Welche Befreiung ausging, oft gegen den Willen und die Meinung<br />

des Urhebers, durch die unerhörte dialektische Schärfe und Kraft Hegels,<br />

das erhellt nicht erst aus den bewußt religionsfeindlichen Schriften der<br />

Junghegelianer, das läßt sich schon an dem wilden Hegelhasser Schopenhauer<br />

nachweisen, der seinen Kant unmittelbar fortzusetzen ehrlich glaubte,<br />

aber in seiner Weltansicht — abgesehen von dem metaphysischen Steckenpferd<br />

— nicht so weit über das 18. Jahrhundert hinausgelangt wäre, wenn<br />

er sich nicht doch logisch an Hegel, wie sprachlich an den besten Büchern<br />

des jungen Fichte (ich meine des J. G. Fichte, als er noch jung war) gebildet<br />

hätte. Eine romantische Begriffsathletik führte dann nicht nur von<br />

Fichte, sondern auch von Hegel zu dem jungen Deutschland hinüber, das<br />

an die radikalen Anfänge der Romantik anknüpfte; und der Geistreichste<br />

des jungen Deutschland, Gutzkow, entdeckte sogar den von den Professoren<br />

totgeschwiegenen Willensphilosophen.<br />

Bevor ich mich diesem zuwende, dem ausgesprochensten und nachwirksamsten<br />

Atheisten unter den deutschen Philosophen, müßte ich eigentlich<br />

die drei berühmten Vertreter des nachkantischen Idealismus darstellen,<br />

Fichte, Schelling und Hegel nämlich, die eben Schopenhauer, der Willensphilosoph,<br />

so unerbittlich — und oft genug auch ungerecht —um ihren<br />

Ruhm zu bringen gesucht hat. Aber den von Kant mehr abgeschüttelten<br />

als abgefallenen Fichte habe ich aus Anlaß des von Forberg begonnenen<br />

Atheismusstreites zur Genüge zu Worte kommen lassen; Schelling, der sich<br />

(nach Schopenhauer, der ihn aber etwas besser behandelt hat als die beiden<br />

anderen) von der Offenbarung der Philosophie der Philosophie der Offenbarung<br />

zugewandt hat, nimmt in der Philosophiegeschichte einen zu breiten<br />

Raum ein und verdient in der Geschichte der Geistesbefreiung nicht das<br />

schmalste Plätzchen, trotz seines anfänglichen Spinozismus; Hegel endlich Hegel<br />

wäre als der Führer zu schildern, der bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

hinaus die Geistesbefreiung in Deutschland leitete — und nicht<br />

nur in Deutschland —, wenn man an die Gruppe seiner wilden Schüler<br />

denkt, der Linkshegelianer, derselbe Hegel aber erscheint als ein Hort der<br />

Orthodoxie, wenn man seine religionsphilosophischen Arbeiten, fast hätte<br />

ich gesagt: seine offiziöse Tätigkeit in Berlin im Auge behält; dieser, der<br />

damals lebendige und herrschende Hegel, scheint in die Geschichte des<br />

Atheismus nur zu gehören, wie etwa Mephistopheles in den Himmel:<br />

als ein Teil von jener K r a f t , die stets das Böse will und stets das Gute<br />

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