Band 4 - m-presse
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414<br />
Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />
muß in jeder Beziehung ein Eigenbrötler gewesen sein, in dem China der<br />
Vorzeit ein Verächter staatlicher Ehren, staatlichen Herkommens, staatlicher<br />
Zwecke; heute würde man sagen: ein Edelanarchist. Das Büchlein von<br />
Lao-tse ist wahrscheinlich im wesentlichen so auf uns gekommen, wie er<br />
es geschrieben hat; sonst könnten sich nicht Sprüche des Lao-tse bei Tschuangtse<br />
(um 400 vor Christi Geburt) wörtlich angeführt finden. Vielleicht stammt<br />
aber gerade der Titel, der das uralte Schlagwort Tao enthält, aus jüngerer<br />
Zeit. Daß dieses Schlagwort eine Macht geworden ist, ohne daß die<br />
Chinesen das Wort definieren oder wir es übersetzen könnten, wird uns<br />
nicht wundern; es ist mit den Schlagworten Gott, Logos, von neueren<br />
Erfindungen nicht zu reden, nicht anders gegangen. Eigentlich bedeutete<br />
Tao allgemein den Weg oder die Methode, eine Lehre also, oder vielmehr<br />
eine Lehrweise; neuere Ausleger haben den Gott oder den Logos hineingelegt,<br />
je nach Bedarf. Seitdem die ersten Nachrichten über Lao-tse durch<br />
Jesuiten herüberkamen (1667), hat jeder Bearbeiter seinen eigenen höchsten<br />
Begriff unter Tao verstanden; heute ist man geneigt, Energie dafür zu<br />
sagen, was aber wieder zu der Resignation, zu dem Nicht-handeln des Tao<br />
schlecht stimmt. Lao-tse selbst drückt sich dunkel aus, aber wahrlich nicht<br />
christlich. "Es gab ein Wesen — ich zitiere absichtlich nach der christelnden<br />
Übersetzung von Victor v. Strauß —, chaotisch zugleich und vollendet,<br />
ehe Himmel und Erde entstanden. So still, so unkörperlich. Es allein<br />
beharrt und wandelt sich nicht. Man darf es ansehen als der Welt Mutter.<br />
Ich kenne nicht seinen Namen. Will ich es bezeichnen, so nenne ich es<br />
Tao." Es ist das oberste Prinzip der Naturerkenntnis und zugleich der<br />
Ethik, wie so oft die Prinzipien geredeter Weltanschauungen. Wie Tao<br />
wirkt, ohne zu handeln, so lehrt der Weise, ohne zu reden. Wäre der Mensch<br />
eins mit dem Tao, so würde er einen Unterschied wie den von Gut und<br />
Böse gar nicht fassen; der Staat und die Gesellschaft mit ihren nützlichen<br />
Einrichtungen sind schon ein Abfall vom Tao. Der Weise will nichts von<br />
den Menschen, will nichts für die Menschen und für die Gesellschaft; nicht<br />
einmal ausleben will er sich. Man wird mitunter an den Buddha erinnert<br />
und an das Bild vom einsam wandelnden Nashorn. Die Lehre<br />
des Tao ist die Verneinung alles dessen, was im Abendlande als Staatsaufgabe<br />
gepriesen wird. Es braucht nicht erst hinzugefügt zu werden,<br />
daß der Taoismus, den man heute beim chinesischen Volke vorfindet, nichts<br />
mehr mit Lao-tse zu schaffen hat; die Kluft zwischen dem volkstümlichen<br />
Taoismus und seinem Stifter ist ebensoweit wie die zwischen der christlichen<br />
Religion und der Religion Jesu Christi. Der gegenwärtige Taoismus<br />
ist gröbster Aberglaube und wird von seinen Priestern zu einem<br />
Handel mit Amuletten und dergleichen benützt.<br />
Morgenland 415<br />
Bekannter ist es, daß auch in Indien die Prinzipien des Handelns<br />
andere sind als die der abendländischen Religionen, immer den Fetischdienst<br />
des niederen Volkes da und dort beiseite gelassen. Freilich, wenn<br />
man die Bekenner der verschiedenen Welterklärungsformen nach ihrer<br />
Zahl abschätzt und so für die Anhänger des Hinduismus eine größere Zahl<br />
(über 200 Millionen) ausrechnet, als es evangelische Christen gibt, für die<br />
Anhänger des Buddhismus eine etwas kleinere Zahl (gegen 160 Millionen),<br />
so wird alles mitgezählt, was irgend von der gleichen Priesterschaft geleitet<br />
wird; dieser grobe Rechenfehler macht sich aber doch auch dann geltend,<br />
wenn man durch scheinbar viel genauere Volkszählung zu den Zahlen<br />
von 270 Millionen Katholiken, 235 Millionen Mohammedanern und<br />
186 Millionen Evangelischen gelangt. Der wirklichen Bekenner sind sehr<br />
viel weniger.<br />
Die altindische Religion hatte allerdings Götter im abendländischen<br />
Sinne, wie der Pöbelglaube dort und heute auch seine Götzen hat; schon<br />
die Vedanta-Philosophie aber war Aufklärung, war eine Loslösung von<br />
den leibhaftigen Göttergestalten, und die Upanischaden sind noch viel<br />
gottloser als der ursprüngliche Deismus war. Die Oberschicht in Indien,<br />
von wo ja der grundsätzlich gottlose Buddhismus zu den Nachbarvölkern<br />
auswanderte, hat im abendländischen Sinne eine Religion, sobald in der<br />
Unterhaltung mit Christen eine Verständigung in Worten gesucht wird;<br />
an und für sich ist die Denkweise dieser Oberschicht der Hindu Brahmanismus,<br />
eine Weltanschauung, die recht gut ohne den abendländischen Gottesbegriff<br />
auskommt.<br />
Der Buddhismus endlich, der in Indien selbst immer noch fast so viele Buddhismus<br />
Anhänger zählt, wie in der Alten Welt Juden oder orientalische Christen<br />
leben, wird sehr mit Unrecht wegen einiger Zufälligkeiten mit dem Christentume<br />
verglichen. Wohl sind beiden der Erlösungsgedanke und eine gewisse<br />
Weltflucht gemeinsam, wohl lehren sie beide Mitleid mit den leidenden<br />
Menschen und verachten beide das Gewerbe der Theologen oder Schriftgelehrten;<br />
aber schon dem Urchristentum wurde Jesus, obgleich er den<br />
Gattungsnamen Christus (Messias) führte, zu einem Gotte oder zu dem<br />
Gotte, während Gautama, seinem Gattungsnamen Buddha gemäß, einer<br />
von den vielen Buddhas der Vergangenheit und Zukunft wurde, göttlich<br />
verehrt nur vom unwissenden Pöbel. Der Mönchsorden Buddhas war eine<br />
Vereinigung von geistig und gesellschaftlich oft hochstehenden Menschen; der<br />
echteste christliche Orden sammelte Bettler und geistig Arme. Für Jesus<br />
und die besten Christen kam das Elend der Welt aus der Sünde oder dem<br />
bösen Willen; für Buddha kam das Elend aus dem Willen, der weder gut<br />
noch böse war, aus dem Lebensprinzip; d e r Kreislauf des Lebens an