Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Band 4 - m-presse
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
158<br />
Viertes Buch. Vierter Abschnitt<br />
seit 1833 aus einem College zu Oxford; diese Oxforder Bewegung war in<br />
ihren Anfängen wiederum gespalten, bevor sie sich, besonders durch Newman<br />
und Pusey, zu einem entschieden katholischen Traktarianismus sammelte.<br />
Als der reinste und stärkste Mann aus diesem Oxforder Kreise erscheint uns<br />
Froude R.H. Froude, der Bruder des Historikers; leidenschaftlich, sprachkräftig<br />
und charaktervoll wie Carlyle, sucht er nach der wahren Kirche, da ihm doch<br />
ein Leben ohne Glauben unerträglich ist. Die Reformation befriedigt ihn<br />
nicht, weder die deutsche noch die englische; besonders gegen Luther steigert<br />
sich seine Abneigung bis zu einem großen Hasse: Luthers Reformation sei<br />
wie ein schlecht eingerichteter Beinbruch; man müsse das Bein noch einmal<br />
brechen, um es nachher besser einrichten zu können. In diesem kecken Bilde<br />
zeigt sich bereits Froudes unbestechliche Selbständigkeit. Er träumt von<br />
einer Unterwerfung unter Rom, um England gründlich aus dem Protestantismus<br />
zu befreien. Aber auf einer italienischen Reise lernt er die<br />
Papstkirche kennen, und seitdem sieht er das Heil nur noch, wie alle Ketzer,<br />
in einem Rückgang zu dem sogenannten Urchristentum. Froude ist bereits<br />
1836 gestorben. Nach seinem Tode lenkte der Traktarianismus ungehemmt<br />
in katholische Bahnen ein. Ein Erfolg war ihm nicht beschieden. Trübselig<br />
faßte der Papst Gregor XVI. sein Urteil über die ganze Bewegung in die<br />
Worte zusammen: "Sono papisti senza papa, catholici senza unità,<br />
protestanti senza libertà."<br />
Kingsley Charles Kingsley (1819 --1875), der Sohn eines kleinen Pfarrers,<br />
war selbst die längste Zeit seines Lebens ein kleiner Pfarrer, zu Eversley<br />
in Hampshire, wo er im Sinne eines christlichen Sozialismus aufopfernd<br />
wirkte, von wo aus er seine erregenden Schriften nach England und dann<br />
in die Welt schickte. Er war in seinem Kirchspiel ein hinreißender Prediger,<br />
obgleich er stotterte; er stotterte auch, ohne daß es seinen Erfolg geschwächt<br />
hätte, bei der Bekämpfung der Landeskirche, die damals dem Traktarianismus<br />
Newmans verfallen schien. Als Theologe stand er nicht allein; mit<br />
Stanley, Hughes, Conybeare, Maurice und anderen im Leben wurzelnden<br />
Männern wollte er das Volk auf den breiten Weg des Aufstiegs führen,<br />
wie die alten Latitudinarier, und bildete mit ihnen eben die Broad<br />
Church Party. Eigentümlich war ihm, dem leidenschaftlichen Jäger und<br />
Reiter, das, was man spöttisch sein Muskelchristentum nannte; sein christlicher<br />
Sozialismus bestand darin, daß seine Seelsorge mit der Sorge für<br />
den Leib begann. In seinem Kampfe gegen Hunger, Elend und Verbrechen<br />
verachtete er das Kanzelgeschwätz des Sonntagschristentums; in<br />
der Bibel fand er die Lehre des wahren Sozialismus, des Werktagschristentums.<br />
In seinen beiden ersten Romanen (1848 und 1850) schreit er wie<br />
ein wilder Agitator gegen die Genußsucht der Reichen und auch schon gegen<br />
Kingsley 159<br />
das Schwitzsystem der Ausbeuter. Aber der Christenglaube soll erhalten<br />
bleiben, nicht nur dem arbeitenden Volke, sondern auch den wissenschaftlich<br />
gebildeten Leitern des Volks; was die französische Revolution und was die<br />
deutsche Philosophie lehre, das stehe schon alles in der Bibel. Und besser,<br />
weil die Bibel demokratisch ist, die Philosophie jedoch aristokratisch. Man<br />
hatte seinen ersten Roman "Yeast" (Gischt, Gärstoff) ein unsittliches Buch<br />
genannt. Da raffte er sich auf zu einer Gegenanklage, eben dem vielgenannten<br />
und auch den Deutschen von dem preußischen Gesandten Bunsen<br />
übereifrig empfohlenen Romane "Hypatia" (1853). Der Untertitel verrät<br />
die Tendenz: "Neue Feinde mit einem alten Gesicht." Eine wunderliche<br />
Geschichte. Die Laster des Heidentums werden nur angedeutet, weil<br />
Kingsley als züchtiger Engländer es für unanständig hält, natürliche oder<br />
gar widernatürliche Unzucht darzustellen. Die Kirche wird — mit deutlichen<br />
Hinweisen auf die Gegenwart — als eine Anstalt der Hölle und der Teufel<br />
geschildert. Darüber aber schwebt ein ideales Christentum, zu dem sich<br />
denn auch schließlich alle bekehren: ein gottloser Jude, eine verkommene<br />
Hexe und im letzten Augenblick sogar die Heldin, die von frommen Pfaffen<br />
gemordet wird.*) Die Hochkirchler und die Traktarier haben dem guten<br />
Christen Kingsley seine Hypatia niemals verziehen; ihre Rache war abgeschmackt,<br />
da sie doch weder ihn noch sein Buch verbrennen lassen konnten;<br />
als er viele Jahre später zu Oxford zum Ehrendoktor ernannt werden<br />
sollte, wurde auf Betreiben Puseys sein Name von der Liste gestrichen.<br />
Er hatte bei der englischen respectability Anstoß erregt.<br />
Weit gröberen Anstoß gab er 1857, während der Weltausstellung,<br />
durch eine Predigt. Da sprach er nicht mehr wie ein Christlichsozialer, sondern<br />
schon wie ein Sozialdemokrat von der Verfolgungssucht und der<br />
Tyrannei der vorhandenen Kirche; doch wieder mit Begeisterung von einer<br />
Idealkirche, in welcher Bibel, Taufe und Abendmahl die Symbole seien<br />
von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Daraufhin wurde ihm von<br />
seinem Bischof das Predigen untersagt.<br />
Die Partei, die damals in England am Werke war, Sozialismus und<br />
Bibelkritik unter dem Namen eines voltairianischen Humanismus zu vereinigen,<br />
glaubte jetzt auf Kingsley rechnen zu können; der Arbeiterführer<br />
Cooper stellte ihm seine Unterstützung zur Verfügung. Kingsley war dafür<br />
nicht zu haben. Er erblickte in dem Bibelkritiker Strauß einen nichtswürdigen<br />
Aristokraten, der dem armen Manne seine Bibel und seinen<br />
Heiland nehmen wollte. So ging Kingsley seine eigenen krausen Wege;<br />
*) Auf den Gegensatz zwischen meinem historischen Roman "Hypatia" (Ausge<br />
hlte Schriften, <strong>Band</strong> 3) und dem "christelnden" von Kingsley hat seinerzeit Erich<br />
Schmidt in einer Anzeige hingewiesen.