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Band 4 - m-presse

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Viertes Buch. Vierter Abschnitt<br />

seit 1833 aus einem College zu Oxford; diese Oxforder Bewegung war in<br />

ihren Anfängen wiederum gespalten, bevor sie sich, besonders durch Newman<br />

und Pusey, zu einem entschieden katholischen Traktarianismus sammelte.<br />

Als der reinste und stärkste Mann aus diesem Oxforder Kreise erscheint uns<br />

Froude R.H. Froude, der Bruder des Historikers; leidenschaftlich, sprachkräftig<br />

und charaktervoll wie Carlyle, sucht er nach der wahren Kirche, da ihm doch<br />

ein Leben ohne Glauben unerträglich ist. Die Reformation befriedigt ihn<br />

nicht, weder die deutsche noch die englische; besonders gegen Luther steigert<br />

sich seine Abneigung bis zu einem großen Hasse: Luthers Reformation sei<br />

wie ein schlecht eingerichteter Beinbruch; man müsse das Bein noch einmal<br />

brechen, um es nachher besser einrichten zu können. In diesem kecken Bilde<br />

zeigt sich bereits Froudes unbestechliche Selbständigkeit. Er träumt von<br />

einer Unterwerfung unter Rom, um England gründlich aus dem Protestantismus<br />

zu befreien. Aber auf einer italienischen Reise lernt er die<br />

Papstkirche kennen, und seitdem sieht er das Heil nur noch, wie alle Ketzer,<br />

in einem Rückgang zu dem sogenannten Urchristentum. Froude ist bereits<br />

1836 gestorben. Nach seinem Tode lenkte der Traktarianismus ungehemmt<br />

in katholische Bahnen ein. Ein Erfolg war ihm nicht beschieden. Trübselig<br />

faßte der Papst Gregor XVI. sein Urteil über die ganze Bewegung in die<br />

Worte zusammen: "Sono papisti senza papa, catholici senza unità,<br />

protestanti senza libertà."<br />

Kingsley Charles Kingsley (1819 --1875), der Sohn eines kleinen Pfarrers,<br />

war selbst die längste Zeit seines Lebens ein kleiner Pfarrer, zu Eversley<br />

in Hampshire, wo er im Sinne eines christlichen Sozialismus aufopfernd<br />

wirkte, von wo aus er seine erregenden Schriften nach England und dann<br />

in die Welt schickte. Er war in seinem Kirchspiel ein hinreißender Prediger,<br />

obgleich er stotterte; er stotterte auch, ohne daß es seinen Erfolg geschwächt<br />

hätte, bei der Bekämpfung der Landeskirche, die damals dem Traktarianismus<br />

Newmans verfallen schien. Als Theologe stand er nicht allein; mit<br />

Stanley, Hughes, Conybeare, Maurice und anderen im Leben wurzelnden<br />

Männern wollte er das Volk auf den breiten Weg des Aufstiegs führen,<br />

wie die alten Latitudinarier, und bildete mit ihnen eben die Broad<br />

Church Party. Eigentümlich war ihm, dem leidenschaftlichen Jäger und<br />

Reiter, das, was man spöttisch sein Muskelchristentum nannte; sein christlicher<br />

Sozialismus bestand darin, daß seine Seelsorge mit der Sorge für<br />

den Leib begann. In seinem Kampfe gegen Hunger, Elend und Verbrechen<br />

verachtete er das Kanzelgeschwätz des Sonntagschristentums; in<br />

der Bibel fand er die Lehre des wahren Sozialismus, des Werktagschristentums.<br />

In seinen beiden ersten Romanen (1848 und 1850) schreit er wie<br />

ein wilder Agitator gegen die Genußsucht der Reichen und auch schon gegen<br />

Kingsley 159<br />

das Schwitzsystem der Ausbeuter. Aber der Christenglaube soll erhalten<br />

bleiben, nicht nur dem arbeitenden Volke, sondern auch den wissenschaftlich<br />

gebildeten Leitern des Volks; was die französische Revolution und was die<br />

deutsche Philosophie lehre, das stehe schon alles in der Bibel. Und besser,<br />

weil die Bibel demokratisch ist, die Philosophie jedoch aristokratisch. Man<br />

hatte seinen ersten Roman "Yeast" (Gischt, Gärstoff) ein unsittliches Buch<br />

genannt. Da raffte er sich auf zu einer Gegenanklage, eben dem vielgenannten<br />

und auch den Deutschen von dem preußischen Gesandten Bunsen<br />

übereifrig empfohlenen Romane "Hypatia" (1853). Der Untertitel verrät<br />

die Tendenz: "Neue Feinde mit einem alten Gesicht." Eine wunderliche<br />

Geschichte. Die Laster des Heidentums werden nur angedeutet, weil<br />

Kingsley als züchtiger Engländer es für unanständig hält, natürliche oder<br />

gar widernatürliche Unzucht darzustellen. Die Kirche wird — mit deutlichen<br />

Hinweisen auf die Gegenwart — als eine Anstalt der Hölle und der Teufel<br />

geschildert. Darüber aber schwebt ein ideales Christentum, zu dem sich<br />

denn auch schließlich alle bekehren: ein gottloser Jude, eine verkommene<br />

Hexe und im letzten Augenblick sogar die Heldin, die von frommen Pfaffen<br />

gemordet wird.*) Die Hochkirchler und die Traktarier haben dem guten<br />

Christen Kingsley seine Hypatia niemals verziehen; ihre Rache war abgeschmackt,<br />

da sie doch weder ihn noch sein Buch verbrennen lassen konnten;<br />

als er viele Jahre später zu Oxford zum Ehrendoktor ernannt werden<br />

sollte, wurde auf Betreiben Puseys sein Name von der Liste gestrichen.<br />

Er hatte bei der englischen respectability Anstoß erregt.<br />

Weit gröberen Anstoß gab er 1857, während der Weltausstellung,<br />

durch eine Predigt. Da sprach er nicht mehr wie ein Christlichsozialer, sondern<br />

schon wie ein Sozialdemokrat von der Verfolgungssucht und der<br />

Tyrannei der vorhandenen Kirche; doch wieder mit Begeisterung von einer<br />

Idealkirche, in welcher Bibel, Taufe und Abendmahl die Symbole seien<br />

von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Daraufhin wurde ihm von<br />

seinem Bischof das Predigen untersagt.<br />

Die Partei, die damals in England am Werke war, Sozialismus und<br />

Bibelkritik unter dem Namen eines voltairianischen Humanismus zu vereinigen,<br />

glaubte jetzt auf Kingsley rechnen zu können; der Arbeiterführer<br />

Cooper stellte ihm seine Unterstützung zur Verfügung. Kingsley war dafür<br />

nicht zu haben. Er erblickte in dem Bibelkritiker Strauß einen nichtswürdigen<br />

Aristokraten, der dem armen Manne seine Bibel und seinen<br />

Heiland nehmen wollte. So ging Kingsley seine eigenen krausen Wege;<br />

*) Auf den Gegensatz zwischen meinem historischen Roman "Hypatia" (Ausge­<br />

­­hlte Schriften, <strong>Band</strong> 3) und dem "christelnden" von Kingsley hat seinerzeit Erich<br />

Schmidt in einer Anzeige hingewiesen.

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