Band 4 - m-presse
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286 Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />
Ergebnis ist zu kläglich, als daß es sich lohnte, dem Wege nachzuspüren;<br />
bemerkenswert mag es nur sein, daß der spätere Religionsretter Eucken<br />
beinahe dafür um Entschuldigung zu bitten scheint, daß er sich in der Jugend<br />
wirklich wissenschaftlich mit einer Terminologie der Philosophie beschäftigt<br />
habe. Man findet dieses Bekenntnis im Vorworte zu dem predigerhaften<br />
Buche: "Können wir noch Christen sein?" Eucken war fünfundsechzig<br />
Jahre alt, da er da 1911 seinem Idealismus so die Weihe der priesterlichen<br />
Kraft zu geben suchte. Ich will durchaus nicht spotten. Gerade der Idealismus<br />
Euckens, seine immer jugendlich gebliebene Abkehr vom dogmatischen<br />
Materialismus, ist auch mir sehr erfreulich. Ich bin nur so<br />
pedantisch, die wie geölt hinrollenden Sätze des Redners aufmerksamer<br />
zu lesen, als solche Rednerei vertragt, und erschrecke, wenn ich den Philosophen<br />
in der Haltung eines Kirchendieners erblicke. Anfangs ist freilich<br />
nur von Religion die Rede; dann aber ertönt plötzlich (S. 136) der Schrei<br />
nach der Kirche, ohne daß einige Verbesserung der heutigen Kirchen ausgeschlossen<br />
wird: „Zur Überleitung des religiösen Grundtriebs und Grundaffekts<br />
in ruhige und fruchtbare Arbeit ist jene Wendung zur religiösen<br />
Gemeinschaft, zur Kirche, nicht zu entbehren." Als ob nicht alle Kirchen<br />
immer und überall die besseren, die freien religiösen Gemeinschaften blutig<br />
verfolgt hätten! Aber Eucken hat ja auch die erstaunliche Behauptung<br />
aufgestellt: die Freiheit, Freiheit im Grunde des Lebens, habe keinen<br />
besseren Bundesgenossen als die Religion (S. 130). Hat (S. 131) wie<br />
irgendein ungebildeter Bettelmönch zu sagen gewagt: daß es kaum einen<br />
großen, einen das Ganze der Wirklichkeit umspannenden Denker gab,<br />
der im Atheismus sein Genüge gefunden hätte. Sollte der Professor<br />
Eucken niemals etwas erfahren haben von Spinoza, von Hume, von<br />
Schopenhauer? Besonders nichtswürdig ist der Ausdruck "nicht sein Genüge<br />
finden"; er erweckt die Vorstellung, daß so heldische Männer in ihrem<br />
negativen Bestreben eine Sehnsucht fühlten nach einer Ergänzung der<br />
Negation, wofür dann schnell und gern eine notdürftig gesäuberte "verbesserte"<br />
positive Kirche einzutreten bereit ist.<br />
Mit dieser Sehnsucht nach einem letzten Wort, die auch freien Denkern<br />
nicht ganz unbekannt ist, treibt nun Eucken einen strafwürdigen Bauernfang<br />
bei seinem Bemühen, auf die Frage seines Buchtitels eine ebenso<br />
freie wie gläubige Antworten finden. Frei klingt es, und wirklich frei<br />
wäre es fünfhundert Jahre vorher gewesen, wenn der Verfasser offene<br />
Türen einschlägt und keiner bestimmten Religion eine Vorzugsstellung<br />
als der einzigen einräumt. Doch es bleibt bei der Form der Fragestellung,<br />
ob wir noch Christen sein können, aus der jetzt gleich zwei Fragen schielend<br />
hervorgehen: ob das Christentum den Höhepunkt aller Religionen dar<br />
Eucken 287<br />
stelle (relativ) und ob es (positiv) das aufsteigende Leben der letzten Jahrhunderte<br />
in sich aufzunehmen vermöge.<br />
Offenbar liebt Eucken die christliche Religion; er vergewaltigt sie<br />
sogar, aus Liebe, um ihre Zeugungsfähigkeit, ihre Erneuerungsfähigkeit<br />
zu erproben. Er sagt, das Christentum könne auch diesseitig gerichtet<br />
sein, die Reformation habe damit schon einen guten Anfang gemacht.<br />
Er sagt, das Christentum sei Geistesreligion, ohne zu ahnen, daß sein Idealismus<br />
da die Wirkung des Geistes mit dem Glauben an Geister (Lohn<br />
und Strafe im Jenseits) verwechselt. Er ist nicht abgeneigt, zuzugeben,<br />
daß man in früheren Jahrhunderten etwas zu viele unbeglaubigte Wunder<br />
geglaubt habe; aber er stellt den Begriff des inneren Wunders auf. Er<br />
nimmt den Gegensatz von Natur und Geist so hin, wie er vor etwa hundert<br />
Jahren in einer für uns veralteten Sprache bestand.<br />
Aber Eucken ist doch viel verwegener, als solche Deklamationen gegen<br />
allen Mechanismus und sogar gegen den Monismus erwarten lassen;<br />
er erkennt wirklich und wahrhaftig einen Widerspruch zwischen der modernen<br />
Selbstverantwortung und dem Glauben an eine Erlösung durch<br />
fremdes Verdienst; doch es gelingt ihm, sich aus diesem Widerspruch<br />
herauszureden: der Erlösungsgedanke bleibe schließlich doch eine notwendige<br />
Wahrheit. Ich verstehe den Grund zwar nicht, aber es tönt gründlich:<br />
daß die Menschheit zu klein wird, wenn sie sich selbst genügen will.<br />
Eucken muß da in seiner Wohlredenheit ein schlechtes Gewissen haben,<br />
denn er faucht uns flache Geister gehörig an (S. 177), die wir zu seinen<br />
abgründigen Tiefen keinen Zugang finden können. Doch er verläßt selbst<br />
die metaphysischen Tiefen des Erlösergedankens, um das Christentum<br />
für ganz irdische Verdienste noch höher zu preisen. Wie vor mehr als zweihundert<br />
Jahren, so lobt dieser Theist die gegenwärtige Moral, angeblich<br />
die christliche Moral, über den grünen Klee. Wie nur ein alter Kirchenvater<br />
vermengt Eucken die diesseitige Sittenlehre mit Lohn und Strafe,<br />
die uns im Jenseits erwarten.<br />
Unaufhörlich schwankt der Boden, auf welchen Eucken uns stellen<br />
will, zwischen Bejahung und Verneinung der christlichen Heilslehre; ihm<br />
selbst scheint dieses Schwanken fast angenehm zu sein, eine der professoralen<br />
Verdauung bekömmliche Bewegung, uns anderen erweckt es die Empfindungen<br />
beginnender Seekrankheit. Die Kirche habe das Christentum<br />
entstellt, aber ohne eine Kirche sei nicht auszukommen. Die Kirche dürfe<br />
nicht werden ein äußeres Mittel für politische Macht oder soziales Wohlsein,<br />
aber Luther, den die Protestanten der äußersten Linken schon preisgegeben<br />
haben, wird dennoch der führende Geist genannt und der Kirche.<br />
aufgetragen, wieder eine Trägerin der Lebensaufgaben zu werden. Die