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Band 4 - m-presse

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412 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

schung, wenn wir aus der ererbten eigenen Konfession oder meinetwegen<br />

aus den geschichtlich gewordenen Ähnlichkeiten der abendländischen Konfessionen<br />

so etwas wie den Begriff "Religion" ableiten und dann diesen<br />

an sich ganz unklaren Begriff etwa auf die Vorstellungen der orientalischen<br />

Völker anwenden, sei es, daß wir einen Mischmasch von abergläubischen<br />

Sitten und Überresten einer tiefsinnigen Psychologie die Religion der<br />

Hindu nennen, oder einen anderen Mischmasch von abergläubischen<br />

Sitten und einer weltklugen Moral die Staatsreligion von China. Die<br />

das tun, werden sich schwerlich darauf berufen wollen, daß auch im<br />

Abendlande jede Volksreligion ein Mischmasch von gemeinem Aberglauben<br />

und ,,Theologie" ist. Die Fälschung besteht darin, daß allen<br />

abendländischen Konfessionen (schon nicht ganz so dem Judentum und<br />

dem Islam) eine angebliche Wissenschaft als Grundlage dient oder als<br />

Herrin befiehlt, die verstorbene Wissenschaft der Theologie, daß jedoch<br />

die sogenannten Weltreligionen der Hindu und der Chinesen (wie die<br />

transzendentalen Vorstellungen der Griechen und Römer) wohl Priester<br />

kannten und kennen, aber keine Theologen in christlichem Sinne, keine<br />

unfehlbaren Dogmatiker. Würde die Macht der abendländischen Theologen<br />

mit einem Schlage vernichtet oder wollte sich die vergleichende<br />

Religionswissenschaft dazu entschließen, nur die außernatürlichen Volksvorstellungen,<br />

unbekümmert um die scheinwissenschaftlichen Sätze der<br />

Theologen, mit den Vorstellungen der morgenländischen Völker zu vergleichen,<br />

dann möchte man mit besserem Rechte von einer Erscheinung<br />

reden, die man am Ende unter dem gleichen Begriffe "Religion" zusammenfassen<br />

könnte.<br />

Dann wäre z. B. das Dreigöttersystem der katholischen Völker (Christus,<br />

Maria, der Teufel) und das Zweigöttersystem der protestantischen Volksreligion<br />

(Christus, der Teufel) sehr gut mit dem Dienste von Wischnu<br />

(Krischna) und Siva der Hindu zu vergleichen. Dann würde noch schärfer<br />

als durch historische Untersuchungen herauskommen, daß der uralte<br />

Stammesgott der Juden, Jahve, erst durch die spätgriechische Philosophie<br />

und nachher durch die christliche Theologie zum einzigen Gotte wurde, zu<br />

dem den monotheistischen Religionen gemeinsamen Weltenschöpfer. Dann<br />

würde besser als durch vergleichende Theologie erkannt werden, was den<br />

Kreuzfahrern nach ihrem persönlichen Verkehre mit den Arabern bald zu<br />

einer Ahnung wurde, was die Aufklärer des 18. Jahrhunderts im Kampfe<br />

gegen das Christentum oft benützten: daß nämlich die jüngste von den<br />

drei großen Judensekten, daß der Islam allein von einem einzigen höchsten<br />

Wesen ausgegangen und bei einem einzigen höchsten Wesen geblieben war.<br />

Dann müßte auch die falsche Behauptung verstummen, die auch von christ­<br />

Morgenland 413<br />

lichen Theologen als ein wunderbarer Gottesbeweis vorgetragen wird,<br />

daß die jüdische Religion, eben weil sie monotheistisch war, sich unverändert<br />

durch mehr als drei Jahrtausende erhalten habe. Ist ja nicht<br />

wahr. Nicht einmal seinen Namen hat der alte Judengott ungeschmälert<br />

behalten, höchstens die Mitlauter. Die Juden haben sich mitsamt ihrem<br />

Gotte den Völkern und den Zeitläuften angepaßt; unter den ungefähr<br />

zehn Millionen Juden, die heute auf der Erde leben, sind so ziemlich<br />

alle möglichen Religionsformen oder Glaubensgrade im Gebrauch,<br />

vom Fetischdienste der Stammesgottheit, die stärker ist als andere Götter,<br />

bis zu dem aufgeklärten Dienste eines, wie man zu sagen pflegt, reinen<br />

Deismus.*)<br />

Noch viel weniger ist das, was das Leben und Handeln der Chinesen<br />

traditionell mitbestimmt, Religion im christlichen Sinne zu nennen; und<br />

Willkür war es, wenn die christlichen Missionare das Prinzip, das sie aus<br />

den chinesischen Gelehrten herausfragten, mit dem Worte "Gott" übersetzten,<br />

wenn sie gar die chinesischen Heroen, einen Kong-tse und Fo (Buddha),<br />

mit den christlichen Heiligen verglichen. Auf die Gottlosigkeit des Buddhismus,<br />

der in China freilich besonders tief zum Götzendienste des Pöbels<br />

hinabsank, werde ich gleich zurückkommen. Die Lehre des Kong-tse (Konfuzius)<br />

ist der Aufklärungsmoral viel ähnlicher als irgendeiner Religion; die<br />

Tugenden beziehen sich einzig und allein auf das Verhältnis der Menschen<br />

untereinander, und selbst der weitverbreitete Kult der Pietät oder der<br />

Ahnenverehrung ist irdischer Art, hat mit jenseitigen Vorstellungen nichts<br />

zu tun. Vollends der Taoismus, der seit zweieinhalb Jahrtausenden beinahe<br />

der irdischen Moral des Kong-tse gegenübersteht, verwirft zwar<br />

dessen ungeistigen Utilitarismus und wird mit Recht als eine Art Mystik<br />

angesprochen, unterscheidet sich aber wieder von der christlichen Mystik<br />

durchaus dadurch, daß das Wesen, mit welchem eine Vereinigung erstrebt<br />

wird, nicht einmal sprachlich so ausgedrückt wird, als ob ein außerweltlicher<br />

Gott darunter mitbegriffen werden könnte. Die Mystik des Arabers<br />

Tophail (I, 271) steht dem Taoismus viel näher.<br />

Für den Verfasser des kleinen Buches Tao-te-king, das keine Bibel<br />

ist, keine heilige oder inspirierte Schrift, gilt Lao-tse, der im 8., 7. oder<br />

6. Jahrhundert vor Christi Geburt gelebt hat; er war so wenig wie Kong-tse,<br />

mit dem ihn die Legende zusammengeführt hat, ein Religionsstifter. Er<br />

*) Die Überschätzung des Jahwekults scheint jetzt, in der Zeit des tiefstehenden<br />

Antisemitismus, wie aus Trotz neue Wurzeln zu treiben. Ich denke an die Versuche<br />

Martin Bubers, i n oft schöner Sprache aus einem ostjüdischen Sektengeiste einen<br />

mystischen Zionismus herauszuspinnen; und an die Verwegenheit Max Brods, die<br />

Historie auf den Kopf zu stellen (Judentum sei moderner als Heidentum oder Christentum),<br />

um einen schon chauvinistischen Zionismus zu begründen.

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