29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

146 Viertes Buch. Vierter Abschnitt<br />

Kant diesen einfältigen Beweis in mustergültiger Weise widerlegt hat,<br />

scheint übrigens auch schon zu wissen, daß die Meinung Kants bei der Erschließung<br />

Gottes aus der praktischen Vernunft zweideutig war: ob das<br />

Gefühl eines Pflichtgesetzes das Dasein eines Gesetzgebers beweise, oder<br />

nur die Forderung, so zu handeln, als ob es einen solchen Gesetzgeber gebe.<br />

Das Bewußtsein von Pflichten mache die Wahrheit der Vorstellung von<br />

einem Gesetzgeber dieser Pflichten wünschenswert, beweise aber die Wahrheit<br />

durchaus nicht. Das Wünschenswerte sei nicht immer wirklich; die<br />

Lehre, daß unsere Welt die beste Welt ist, sei eine Täuschung.<br />

Mit dieser Lehre von der besten Welt hängt der einzige Gottesbeweis<br />

zusammen, den der Meister der induktiven Logik wenigstens der Form<br />

nach für wissenschaftlich erklärt: der teleologische Beweis. Die Naturgegenstände,<br />

besonders die Tiere und Pflanzen, gleichen darin den Erzeugnissen<br />

der Menschen, daß sie zweckmäßig hergestellt sind; und weil sie<br />

einen intelligenten Urheber voraussetzen, ihre Einrichtung jedoch das<br />

menschliche Vermögen überschreitet, müsse man auf eine übermenschliche<br />

Intelligenz schließen. Auch dieser Beweis werde in seiner Bedeutung<br />

überschätzt; er gründe sich nur auf einen Analogieschluß, nicht auf eine vollständige<br />

Induktion. So wirken z. B. sehr viele Teile des Auges zusammen,<br />

um das ganze Auge zu einem zweckmäßigen Sehorgane zu machen; jeder<br />

Teil ist eine Bedingung des Sehens, die zweckmäßige Zusammensetzung<br />

aller dieser Bedingungen oder Teile könne nicht einem Zufalle zugeschrieben<br />

werden; zwischen der Ursache, einer gemeinsamen Ursache ihres Aufbaues<br />

und dem Sehen müsse ein Zusammenhang bestehen. Mill gibt aber nicht<br />

zu, daß dieser Gedankengang zu dem Glauben an einen intelligenten<br />

Schöpfer führen müsse; er kennt kurz vor 1870 schon Darwins Hypothese<br />

vom Überleben des Tüchtigsten, die er zwar beängstigend und auf den<br />

ersten Blick unwahrscheinlich nennt, dann aber doch gegen den teleologischen<br />

Beweis einwirft. Es ist heute beachtenswert, wie John Stuart Mill sich<br />

im ersten Jahrzehnt nach dem Aufkommen des Darwinismus zu dieser<br />

Hypothese stellte. Sie sei nicht so absurd, wie sie aussieht. „Die Theorie<br />

würde, wenn zugegeben, in keiner Weise mit dem Begriffe der Schöpfung<br />

unvereinbar sein; aber es muß anerkannt werden, daß sie den Beweis für<br />

dieselbe beträchtlich schwächen würde." Wohlgemerkt: Mill rechnet Darwins<br />

Deszendenzlehre noch nicht zu dem Bestande der Wissenschaft (wodurch<br />

er wieder seinen Scharfsinn bewies), gibt also doch zu, daß eben die<br />

induktive Methode der Wissenschaft aus den zweckmäßigen Einrichtungen<br />

der Natur vorläufig mit Wahrscheinlichkeit folgere, die Natur sei von<br />

einem intelligenten Wesen geschaffen; der Analogieschluß aus der Ähnlichkeit<br />

der Organismen mit Kunstwerken werde verstärkt durch die induk-<br />

John Stuart Mill 147<br />

tiven Erwägungen über den ursächlichen Zusammenhang der Organe und<br />

ihrer Zwecke. Mill vergißt nicht, daß die von ihm zugestandene Wahrscheinlichkeit<br />

nur für eine intelligente Ursache überhaupt gelte. Er stellt<br />

sich aber nicht die Frage, ob nicht am Ende ein Instinkt, sagen wir einmal:<br />

ein Weltbauinstinkt, diese wahrscheinliche Ursache sein könne.<br />

|n seiner weiteren Betrachtung schiebt Mill unter den Begriff der<br />

geistigen ersten Ursache häufiger, als ihm wohl bewußt wird, wieder wie<br />

vorhin den „Schöpfer" als "erste Ursache", die hergebrachte Gottesvorstellung;<br />

aber vom Katechismus ist er doch entfernt genug, um mit<br />

logischer Freiheit die angeblichen Eigenschaften Gottes zu untersuchen.<br />

Zunächst wird die sogenannte Allmacht durch einen überraschenden<br />

Gedanken widerlegt. Ein Plan sei immer die verständige Anpassung von<br />

vorhandenen Mitteln an einen Zweck; und die Notwendigkeit, sich vorhandener<br />

Mittel zu bedienen, sei eine Begrenzung der Macht; die Macht<br />

des Schöpfers mußte sich den Bedingungen anpassen, die wie Kraft und<br />

Stoff ewig sind, also in ihren Gesetzen unabhängig von seinem Willen.<br />

Zur Ordnung dieser Elemente war eben die Weisheit nötig, die unser<br />

Staunen erregt. "Aber gerade, was Weisheit erfordert, begreift Beschränkung<br />

der Macht in sich, oder vielmehr die beiden Sätze drücken verschiedene<br />

Seiten derselben Tatsache aus." Nicht aus dem gleichen Grunde braucht<br />

die sogenannte Allwissenheit des Schöpfers geleugnet zu werden; aber<br />

die Störungen in den organischen Maschinen und ihre kurze Dauer lassen<br />

uns das Urteil fallen, daß Vollkommenheit nicht erreicht wurde, ob nun<br />

bloß die Macht oder ob auch die Weisheit begrenzt war. Wenn Mill nun<br />

auch auf die sogenannte Allgüte zu sprechen kommt, so tut es mir leid,<br />

den ausgezeichneten Mann da in seiner letzten Folgerung drollig zu finden.<br />

Es ist zwar wieder sehr fein, daß er gerade darum eine Verteidigung der<br />

Allgüte für möglich hält, weil der Schöpfer nicht allmächtig ist. Aber Mill<br />

selbst ist so fromm nicht; ist nur fromm genug, mit dem Begriffe der Moralität<br />

zu spielen. Der Zweck der natürlichen Einrichtungen sei nur die Erhaltung<br />

der Individuen und der Arten für eine beschränkte Zeitdauer, sei<br />

also kein moralischer Zweck. Aber das Vergnügen seiner Geschöpfe war<br />

dem Schöpfer wahrscheinlich angenehm; also gehöre zu seinen Eigenschaften<br />

ein gewisses Wohlwollen. "Wenn der Mensch nicht die Macht hätte, durch<br />

die Betätigung seiner eigenen Energie für sich und andere Geschöpfe innerlich<br />

und äußerlich unendlich viel mehr zu tun, als Gott ursprünglich getan<br />

hat, so würde dieser Gott etwas ganz anderes als Dank von ihm verdienen."<br />

Und gar von Gerechtigkeit Gottes finde sich in der Welt keine Spur. Nur<br />

die Sehnsucht nach einem Ideal habe einen anderen Gott eingebildet als<br />

den der natürlichen Religion, die an ihrem Gotte eine beschränkte Macht,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!