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Band 4 - m-presse

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444 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

Gottesbeweises. Sie brauchten ihn sich also nicht erst zu widerlegen, wie<br />

es der erstaunliche Kant tun mußte, weil er eben auch ein Mensch war.<br />

Ein Beispiel mag uns zeigen, wie grob dieses sprachliche Elend des<br />

kosmologischen Beweises war. Ein Idiot im ursprünglichen Sinne, der<br />

gemeine Mann also, hört, daß der neu eingerichtete Eisenbahnzug von<br />

hundert Pferdekräften oder Pferdestärken bewegt werde; er weiß nichts<br />

davon, daß ein PS ein veraltender Ausdruck für die Größe von fünfundsiebzig<br />

Sekundenmeterkilogramm und nur eine ungefähre Rechnungseinheit<br />

ist; er hält sich gläubig an das Wort und weiß jetzt, daß in der Maschine<br />

hundert Pferde verborgen sind. Wie der Gott in dem Schlusse des kosmologischen<br />

Beweises. Wer einen kleinlichen Anstoß daran nimmt, daß in<br />

meinem Beispiele von Pferdestärken die Rede ist und nicht von Pferden,<br />

der wähle für den kosmologischen Beweis den vornehmeren Ausdruck "Gottheit"<br />

anstatt des konkreteren "Gott"; was wir jetzt als eine bloße Endsilbe<br />

empfinden, die Silbe "heit" war einmal auch so ein dingliches Wort<br />

und bezeichnete so etwas wie „Stärke": einen Zustand, eine Beschaffenheit,<br />

eine Person. Der Fromme weiß, daß sich hinter der letzten Ursache<br />

eine Gottheit verbirgt, eine Person mit göttlichen Eigenschaften; der Idiot<br />

weiß, daß sich hinter der Dampfmaschine hundert Pferde verbergen,<br />

Pferdestärken mit pferdmäßigen Eigenschaften. Die Anwendung der<br />

Sprachkritik auf die Physik ist nicht minder nötig als eine auf die Theologie;<br />

nur daß in den Naturwissenschaften eine Verbesserung der Terminologie<br />

möglich ist, eine Säuberung theologischer Begriffe aber so unmöglich wie<br />

die nützliche Deutung eines Traumes. Mit dieser Einsicht kommt natürlich<br />

auch die andere, zu einem ungeschickten Lächeln zwingend, daß es doch<br />

nichts ist mit dem bloßen Wortstreit, als welchen ich oben den Gegensatz<br />

zwischen Naturerkenntnis und Theologie, zwischen Atheismus und Frömmigkeit<br />

— für einen Augenblick — hinzustellen suchte. Für den freiesten<br />

Standpunkt muß ja doch die Geschichte Gottes mit einer Auflösung des<br />

Gottbegriffs endigen.<br />

Tao Was noch übrig bleibt, nach der vernunftgemäßen Erledigung aller<br />

und jeder äußeren Religion, das ist für uns, die wir letzten Fragen nicht<br />

ausweichen und deren Beantwortung von den nächsten bis vorletzten<br />

Wissenschaften nicht erwarten, das Weltgefühl, das Einsgefühl der gottlosen<br />

Mystik, das man gern ein „religiöses" Gefühl nennen mag, weil ein<br />

Gefühl zuletzt nur geschwiegen werden kann, nicht in harten Worten ausgedrückt.<br />

Diese Rettung der ewigen Sehnsucht in die uralte Mystik, bei<br />

bewußter Preisgabe des Gottesbegriffs, ist nur für das Abendland neu, ist für<br />

das Morgenland Urväterweisheit. Abschiedsmüde will ich wieder die Erinnerungen<br />

"Tao" wecken, das Rätselwort, das vor zweitausendfünfhundert<br />

Tao 445<br />

Jahren von dem chinesischen Weisen Lao-tse geprägt oder gebraucht wurde,<br />

um die tiefste Selbstbesinnung des Ostens, das Einsgefühl mit einer Welt<br />

ohne Gott, in einem Menschenlaute zusammenzufassen. Wir wissen fast<br />

nichts von dem Leben des Lao-tse, wir haben nur sein Buch Tao-te-king,<br />

französisch seit 1842 durch Julien, deutsch seit 1870 durch V. v. Strauß.<br />

Einen Weg, den der Weise eher geht als zeigt. "Tao" ist zugleich der Weg<br />

zum letzten Ziele und der erste Grund des Weges und des Zieles; "Ursache"<br />

wäre schon zu abendländisch, zu wissenschaftlich, zu klein, zu arm<br />

menschlich. Die Unpersönlichkeit, die Ungöttlichkeit des Tao erhellt schon<br />

daraus, daß wir nicht wissen, ob wir "der Tao" oder „das Tao" sagen<br />

sollen; „das Gott" würde die Vorstellung vielleicht nicht übel wiedergeben.<br />

Nun stehen im vierzehnten Kapitel des Tao-te-king über das Tao<br />

die Sätze, die mich allein schon berechtigen würden, den "alten Weisen"<br />

(das sollen die Zeichen Lao-tse bedeuten) als einen Bekenner des Agnostizismus<br />

oder einer gottlosen Mystik vertraulich anzusprechen: „Du suchst<br />

das Tao und du siehst es nicht; es ist farblos. Du horchst und du hörst es<br />

nicht; es ist stimmlos. Du willst es berühren und erreichst es nicht; es ist<br />

körperlos." (Von Max Müller, nach Julien.)*) Fast noch hübscher klingt<br />

der Verzicht bei einem Schüler von Lao-tse, bei Tschuang-tse (in der Auswahl<br />

von Martin Buber) : „Tatenlos weiß Tao ... Es kann nicht gesagt<br />

werden. Was gesagt werden kann, ist nicht Tao. Was den Gestalten Gestalt<br />

gibt, ist selbst gestaltlos; also ist Tao namenlos. Wer einem antwortet,<br />

der nach Tao fragt, kennt Tao nicht."<br />

Tao ist namenlos, ist eigenschaftslos, ist ohne aussagbaren Begriffsinhalt.<br />

Man könnte „das Tao" durch eine neutrale Silbe ersetzen, durch<br />

"das". Und weil ich doch der Erzketzer bin, der Welterkenntnis durch<br />

Menschensprache nicht für möglich hält, so kann man mich kaum mißverstehen,<br />

wenn ich nun hinzufüge: mit so etwas wie „das", wofür auch<br />

bei Menschen ein bloßer Blick eintreten kann, wäre die Weltanschauung<br />

und die Theologie der Tiere und Pflanzen wiederzugeben.<br />

Ist dies nun aller Menschenweisheit letzter Schluß: daß wir von der<br />

letzten Ursache der Natur und unseres Lebens innerhalb dieser Natur<br />

nichts kennen als Tao, daß wir nur „das" lallen dürfen auf alle Fragen<br />

*) Toll, aber wahr: nicht nur der Jesuit Joseph Amyot, sondern noch Abel Rémusat<br />

haben die Sätze so übersetzt, daß sie einen Hinweis auf die Personen der Dreieinigkeit (bei<br />

Amyot) oder gar auf den hebräischen Namen Jehova (bei Rémusat) zu enthalten schienen.<br />

Die Möglichkeit so nichtswürdiger Fälschungen (man vgl. Max Müller "Einleitung in die<br />

vergleichende Religionswissenschaft", S. 298 f.) warnt allerdings überhaupt davor, irgendeiner<br />

Übersetzung aus so grauem und so fernem Altertum ganz zu vertrauen; warnt aber<br />

auch davor, die gelehrten Studien über die Beziehungen von Lao-tse zu Kong-fu-tse und<br />

zum Buddha viel höher zu bewerten als gelehrte Dichtungen.

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