Band 4 - m-presse
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304 Viertes Buch. Achter Abschnitt<br />
um seine Johanna, von welchem seine „Bekehrung" gewöhnlich und<br />
schablonenhaft datiert wird, den cant der Stillen im Lande redete; etwas<br />
von seinem Kinderglauben lag in seiner Seele immer bereit und wurde<br />
im Verkehr mit pietistisch angehauchten lieben Menschen, besonders Frauen,<br />
leicht geweckt. Unbeeinflußbar in den Dingen seines eigenen erfahrungsmäßigen<br />
Denkens, fügte er sich da, wo ihm die psychologische Wirklichkeit<br />
eines religiösen Friedens leibhaftig gegenübertrat und wo sein eigenes<br />
beiläufiges Denken zu einem Ruhepunkte nicht gekommen war. Er heuchelte<br />
nicht einmal, wenn er dienstlich (fast niemals intim) den cant der Staatsreligion<br />
redete; es wäre müßig, da zu untersuchen, ob ein Bismarck sich<br />
zu unduldsamer Heuchelei herabgelassen hätte, wenn er seine Kraft in einer<br />
anderen Zeit, unter einem anderen Könige hätte wirken lassen müssen.*)<br />
Wir haben bei Bismarcks Beziehung zur Religion deutlich zwischen<br />
der negativen und der positiven Seite zu unterscheiden. Zu den dogmatischen<br />
Atheisten ist er ganz gewiß nicht zu rechnen, obgleich er in jüngeren<br />
Jahren ebenso atheistische wie republikanische Anwandlungen hatte, und<br />
obgleich in den erregten Jahren des Kulturkampfes der Ton gegen die<br />
Kirche, nicht nur gegen die katholische, recht heftig werden konnte. Der<br />
Realist Bismarck war kein Materialist, weil diesem praktischen Sprachkritiker<br />
alle Dogmen verhaßt waren, die politischen wie die religiösen.<br />
Er war also weder rationalistisch, noch kirchlich. Und weil er kein Rationalist<br />
war, darum wäre es erst recht falsch, ihn den Anhängern einer farblosen<br />
Vernunftreligion zuzurechnen, den Deisten. Weit mehr als den<br />
Sozialdemokraten, die damit nur unter den Arbeiterfrauen und unter<br />
gläubigen Arbeitern werben möchten, war ihm seine Religion eine Privatangelegenheit.<br />
Er war ein antikirchlicher Christ auf eigene Faust; er<br />
*) Als Heuchelei empörte es aber, wenn zur Hundertjahrfeier Bismarcks, unter<br />
Wilhelm II., deutsche Hochschulprofessoren diese ganz persönliche Gesinnung des handelnden<br />
Mannes zu einer vorbildlichen Weltanschauung für Jünger der Forschung fälschen wollten.<br />
So ein wenig Erich Marcks in seiner Münchener Gedächtnisrede; so (schlimmer) Wilamowitz-Möllendorff,<br />
Exzellenz, in seiner Festrede an die Berliner Studenten. Dieser sagt:<br />
"Er besinnt sich auf sich selbst (?) und findet nach Sturm und Drang seinen Glauben an<br />
den persönlichen Gott, doch bedarf er für seinen Verkehr mit diesem Gotte keiner Vermttelung<br />
durch Priester oder Kirche oder Sakrament, überhaupt keine Vermittelung."<br />
Wäre 1915 sehr tapfer gewesen; der begeisterte Kenner der Griechen empfiehlt aber den<br />
Studenten, sich Bismarcks Gottvertrauen, "was jeder mit ihm teilen kann", anzueignen;<br />
als ob "jeder" seine Wehr und Waffen tragen könnte. Anders liegt die Sache, wenn ein<br />
Generalsuperintendent Faber in einer kirchlichen Trauerrede den freien Christen Bismarck<br />
für die Orthodoxie in Anspruch nimmt; man soll auch dem Orthodoxen nicht das Maul verbinden<br />
wollen, wenn er drischt. Schon der alte Fontane hat (nur in einem Briefe natürlich)<br />
zu der Unwahrheit des Geistlichen bemerkt: „Ich glaube nichts davon, weder daß Bismarck<br />
immer auf den Himmel sah, noch daß er, wenn er hinaufguckte, die Gestalt seines Erlösers<br />
erblickt habe. Wär' er so beschaffen gewesen, so hätte er das Deutsche Reich nicht aufgebaut."<br />
Bismarck 305<br />
hielt sehr wenig von der Unsterblichkeit der Seele, verschmähte es aber<br />
gelegentlich nicht, die Losungen der Brüdergemeinde nachzuschlagen. In<br />
solchen Augenblicken vielleicht etwas abergläubisch, wie Napoleon, wie<br />
Goethe, wie Schopenhauer, mit dem Aberglauben spielend. Aber auch<br />
die Neigung zum Pietismus war nur eine Stimmung, die sich seiner,<br />
freilich gern in entscheidenden Stunden, wie nach der Schlacht von Sedan,<br />
vorübergehend bemächtigte, beschwichtigend, nicht führend. Wie ein Forscher<br />
etwa zur Ablenkung Karten spielt. Er stand auf einem schwankenden<br />
Glauben, aber er stand da fest auf eigenen Füßen. Goethe, den sein<br />
Lebenswerk (ich sage nicht: sein Beruf) über solche Dinge viel gründlicher<br />
hatte denken lassen und der ebenfalls von Frauen auf die ruhigen Wege<br />
des Pietismus gelockt worden war, ist ebensowenig bei einer dogmatischen<br />
Sekte unterzubringen; Goethe war sein Leben lang antichristlich und<br />
durfte, weil mindestens Pantheist, vom Atheismus in Anspruch genommen<br />
werden; Bismarck war sein Leben lang antikirchlich und besaß von Jugend<br />
auf so wenig Konfessionalität, daß ihm ein unklarer Pantheismus nicht<br />
ganz zu Unrecht nachgesagt werden konnte. Hat er doch selbst gesagt:<br />
"Nach einem unregelmäßig besuchten und unverstandenen Religionsunterricht<br />
hatte ich bei meiner Einsegnung durch Schleiermacher, an<br />
meinem sechzehnten Geburtstage, keinen anderen Glauben als einen nackten<br />
Deismus, der nicht lange ohne pantheistische Beimischungen blieb."<br />
Stellen wir aber Bismarck nur anderen großen deutschen Männern<br />
gegenüber, einem Goethe oder einem Kant, so bleibt das Rätsel seiner religiösen<br />
Weltanschauung ungelöst, weil die innere Ähnlichkeit bei allen Unterschieden<br />
des wörtlichen Bekenntnisses zu groß ist: bei aller Abwendung<br />
von positiven Dogmen eine gewisse religiöse Inbrunst, ein inniges Gefühl<br />
nicht nur für einen Gottvater, sondern auch für die Heilslehre Jesu<br />
Christi. "Erinn'rung hält mich nun mit kindlichem Gefühle vom letzten,<br />
ernsten Schritt zurück."<br />
Wir kommen vielleicht doch etwas weiter, wenn wir den deutschesten Bismarck<br />
Deutschen dem französischsten Franzosen gegenüberstellen, dem zierlichen, und Voltaire<br />
doch wahrhaftig nicht kleinen Voltaire. Man wundere sich nicht. Das<br />
wörtliche Bekenntnis ließe sich überraschend ähnlich ausdrücken; um so<br />
stärker ist der innere Gegensatz im Kern der Weltanschauung. Auch Voltaire<br />
ließ sich seinen Gottglauben nicht nehmen, auch Voltaire verstand<br />
trotzdem die Unsterblichkeit der Seele nicht; Bismarck hätte gewiß Voltaires<br />
weltfreudige Predigten über das Dasein Gottes und über die Nichts<br />
der Intoleranz lachend unterschreiben mögen. Dennoch klafft<br />
der Abgrund eines Jahrhunderts zwischen beiden Männern. Voltaire<br />
leugnet alle religiösen Vorstellungen und hält mit seinem Verstande nur