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Band 4 - m-presse

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104<br />

Viertes Buch. Erster Abschnitt<br />

Teil der religiösen Geistesbefreiung, sondern eine politische Aktion. Daß<br />

sie wirklich den Königsmord gepredigt hatten, als die Könige mächtig<br />

waren, trug zu ihrem Untergange mehr bei als die Tatsache, daß sie,<br />

die sich nach dem Namen Jesu nannten, mehr als andere Leute zur Verfälschung<br />

des Christentums beigetragen hatten.<br />

So entschiedene Feinde des Christentums wie Voltaire und Friedrich<br />

der Große nahmen die verfolgten Jesuiten in Schutz.<br />

Es gab unter den Jesuiten (nach ihrer Aufhebung) nicht nur frivole<br />

Freigeister, wie unter den Abbés der guten Gesellschaft, sondern auch<br />

ausgesprochene Atheisten. Ein solcher war der berüchtigte Cerutti; er<br />

sprach in der Nationalversammlung das pathetische Wort: "Das Einzige,<br />

was ich in meiner Todesstunde bedauern werde, ist, daß ich noch eine<br />

Religion auf Erden zurücklasse." Er fügte sich auch sonst gern der Tagesmeinung.<br />

Er hatte schon 1794 sich bereit erklärt, den vom Parlament verlangten<br />

Eid zu schwören: daß er seinen Orden für gottlos halte und jede<br />

Verbindung mit seinen Ordensbrüdern und seinen Vorgesetzten aufgegeben<br />

habe. Diese Bereitwilligkeit zur Abschwörung schien selbst dem<br />

Generalprokurator verächtlich, der den Eid abnehmen sollte. Als Cerutti<br />

die Eidesformel unterschrieben hatte und dienstbeflissen fragte, was sonst<br />

noch zu unterschreiben wäre, antwortete der Beamte mit witziger Bosheit:<br />

„Ja, nur noch der Alkoran; den habe ich aber grade nicht bei der<br />

Hand." So unzuverlässig waren viele Jesuiten in der Zeit, als der Staat<br />

sie nicht beschützte.<br />

Loyola war sicherlich kein Heuchler gewesen, da er sich — Asket und<br />

Condottiere zugleich — bei der Errichtung seines Ordens auf das persönliche<br />

Diktat einer Gottheit berief, der Jungfrau Maria nämlich, da er die<br />

Lebensweise der alten Anachoreten gerade gut genug fand, auf sie ein<br />

Exerzierreglement äußerlich zu gründen, zum Scheine bloß und doch<br />

psychologisch sehr wirksam, — auch die folgenden Jesuitengenerale brauchten<br />

keine Heuchler zu sein, wenn sie auf die Titel von Kardinälen und Päpsten<br />

verzichteten und dennoch die Weltherrschaft über die alleinseligmachende<br />

Kirche in Händen zu halten glaubten. Als aber die Heilige Alliance sich<br />

mit dem Papste verband, um der bewährten Kompagnie Jesu den Kampf<br />

gegen die Revolution anzuvertrauen, nebenbei auch den Kampf gegen den<br />

Unglauben, da war wenigstens auf seiten der weltlichen Fürsten alles<br />

eitel Heuchelei. Auch auf seiten der leitenden Jesuiten. Eine neue Parole<br />

wurde ausgegeben: die Schule, der niedere und der höhere Unterricht,<br />

sollte der Kirche unterstellt werden. Zwar hatte schon der wundergläubige<br />

Loyola (der, wenn kein Schiff da war, auf einem Brett über das Meer<br />

nach dem heiligen Lande fahren wollte) den modernen Gedanken gefaßt,<br />

Jesuiten 105<br />

die verlorene Macht durch wissenschaftlichen Betrieb wiederzugewinnen,<br />

zwar hatte er, der Junker, eifrig die Lücken seiner Bildung ausgeflickt,<br />

zwar hatten die Jesuiten früh begonnen, die Schulen in ihre Gewalt<br />

zu bringen, aber jetzt erst bemühten sie sich, oft mit täuschenden Erfolgen<br />

sich die Methoden der Natur- und Geisteswissenschaften anzueignen. In<br />

den bald vierhundert Jahren seines Bestehens ist aus dem Orden kein<br />

bedeutender Forscher hervorgegangen, übrigens auch kein Mann, der sich<br />

an Eigenpersönlichkeit mit Loyola selbst hätte messen können. Aber seit<br />

der Restauration des französischen Königtums und der Kompagnie Jesu,<br />

also seit dem unehrlichen Bündnis zwischen Staat und Kirche, gab es im<br />

Jesuitenorden wie eine besondere Abteilung, deren Mitglieder für Reaktion<br />

in der Wissenschaft abgerichtet wurden. In Italien, in Frankreich und in<br />

Deutschland. Auf den Gebieten der Naturwissenschaft, der Geschichte und<br />

der Philosophie. Man nannte es einen Kampf mit geistigen Waffen, wenn<br />

man den Skeptizismus unfrei gegen den Agnostizismus benützte und der<br />

freien Forschung die eine und andere List der Untersuchung entlehnte.<br />

In Paris führte die Keckheit dieser jesuitischen Reaktion, die immer<br />

noch die Ziele der Heiligen Alliance verfolgte und die Schule zu erobern<br />

hoffte, 1843 zu stürmischen Auftritten im Collège de France. Ein hübsches,<br />

trotz aller Theaterspielerei lesenswertes Denkmal dieser ans Mittelalter<br />

gemahnenden Kämpfe sind die Vorlesungen von Jules Michelet und<br />

Edgar Quinet, die unter dem Titel „Die Jesuiten" erschienen sind.<br />

Das tolle Jahr 1848 hat der Gegenrevolution der unheiligen Alliance<br />

von Fürsten und Jesuiten kein Ende gemacht, doch eine langsam anwachsende<br />

politische Tatsache hat die Angriffsfront ändern lassen. Überall<br />

im westlichen Europa sammelten sich die Proletarier, die sich zuerst die<br />

Arbeiter nannten, zu einer neuen Partei, zu der des vierten Standes;<br />

ihre ursprünglichen Ziele waren kommunistisch oder doch antikapitalistisch,<br />

international und darum schon dem modernen Nationalstaate feindlich;<br />

und nur, weil die Staatshäupter ihren Bund mit der jesuitisch gewordenen<br />

Kirche geschlossen hatten, auf Gedeih und Verderb, fast nur darum wurden<br />

die Sozialdemokraten, denen die Religion Privatsache hätte sein sollen,<br />

auch kirchenfeindlich. Die Partei als solche gab dem Werben der Kirche<br />

oft ein williges Gehör; die meisten Mitglieder der Partei jedoch wurden<br />

so atheistisch, wie der Erbe von fünfzehn kirchlich geknechteten Jahrhunderten<br />

ohne eigene Geistesarbeit sich vom Gottglauben befreien kann.<br />

Die Sozialdemokraten sprachen wieder nur Worte nach, Worte eines<br />

dogmatischen Materialismus, die sie für Worte der Freiheit hielten. Wie<br />

sie sich (nach Marx) von den Freihändlern foppen ließen, weil der Name<br />

mit dem Wortschalle „frei" begann.

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