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Band 4 - m-presse

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138 Viertes Buch. Dritter Abschnitt<br />

das war ehrliches Spiel. Ich denke an die Schriften eitler Materialisten<br />

und Monisten, die immer noch mit lahmem Witz und beneidenswerter<br />

Selbstgerechtigkeit, unter dem Schutze neuer Gesetze, die Wunder der Bibel<br />

und die Vernunftwidrigkeit der christlichen — besonders der katholischen —<br />

Dogmen verspotten, in einer Zeit, die die besten Köpfe und Herzen schon<br />

auffordert, die Toten ihre Toten begraben zu lassen und den Herrn Omnes<br />

in seinem neuen Glauben an die Erklärung des Geistes durch den Stoff<br />

anzugreifen. Ein Beispiel für viele. Vor mir liegt ein Büchlein, erschienen<br />

zu Luxemburg im Verlage des Allgemeinen Freidenkerbundes, aus dem<br />

Französischen übersetzt von Joseph Klees: "Humoristische Reise durch die<br />

Religionen und Dogmen." Ohne Jahreszahl. Von N. Simon, Dr. jur.<br />

Der Mann hat eine Menge guter aufklärerischer Schriften gelesen, trägt<br />

alles zusammen, was er da über Fälschungen, Lügen, Widersprüche und<br />

Vernunftwidrigkeiten des Katholizismus gefunden hat, hat fast in jedem<br />

Punkte das Recht auf seiner Seite, tunkt das Ganze in eine Brühe von<br />

taub gewordenem Salze und wird endlich so ungenießbar, daß der Leser<br />

in den Zorn eines Frommen geraten kann. Es ist der Zorn des ernsthaften<br />

Kämpfers gegen Gassenbuben und Marodeurs, die sich ihm aufdringlich<br />

anschließen wollen, um bei der Beute nicht zu kurz zu kommen, bei der<br />

Beute an Machtgewinn oder an Spaß. Wir führen unseren Streit mit allen<br />

blanken Waffen einer wissenschaftlichen Strategie und sollen Mitkämpfer<br />

dulden, die dazu Grimassen schneiden, Indianertänze aufführen oder bestenfalls<br />

mit Kinderpfeilen schießen. Es wäre klug, sich solche Gefolgschaft<br />

gefallen zu lassen, schon um die Stärke des eigenen Heeres zu vergrößern,<br />

an Zahl der Mitläufer; aber ein unbesiegbarer, mehr ästhetischer und sittlicher,<br />

als logischer Widerwille zwingt uns, solche Gemeinschaft abzulehnen.<br />

Meinen flüchtigen Überblick über die letzten hundert Jahre des französischen<br />

Geisteskampfes mit dem Hinweise auf ein solches Machwerk zu<br />

beschließen, wäre aber eine Ungerechtigkeit; hatte dieser Zeitraum auch<br />

keine Männer gestellt, wie die der drei vorausgehenden Jahrhunderte, die<br />

zu der großen Revolution führten, so hatten wir uns doch an dem großen<br />

Fanatiker Auguste Comte und an dem entzückenden Zweifler Anatole<br />

France zu erfreuen. Gerecht scheint es mir aber, den Franzosen endlich<br />

den Vorwurf zu machen, daß sie, die sich weder die englische Entschiedenheit<br />

noch den deutschen Tiefsinn jemals ganz zu eigen machen konnten, einen<br />

metaphysischen Feulletonisten seit dreißig Jahren als einen Philosophen<br />

Bergson verehren, den hier schon zweimal genannten Henri Bergson, den würdigen<br />

Nachfolger eines Cousin und eines Caro. Es darf übrigens nicht verschwiegen<br />

werden, daß Bergson (geb. 1859) auch in Deutschland schnellfertige Bewunderer<br />

fand, wenigstens vor dem Weltkriege. Hier hat die neue Hoch­<br />

Bergson 139<br />

flut des Völkerhasses doch das eine Gute gehabt, daß eine törichte Überschätzung<br />

des Fremden mit einem Schlage aufhörte. Zu leugnen ist freilich<br />

nicht, daß Bergson seine Bücher in einer schönen Sprache schreibt, was<br />

man so in Frankreich eine schöne Sprache zu nennen pflegt, und daß er<br />

als ein Gegner des Materialismus in die gleiche Kerbe zu hauen scheint<br />

wie die besten Erkenntniskritiker, die unter uns den dogmatischen Materialismus<br />

bekämpfen. Doch ist das Gute in seinen Schriften nicht neu<br />

— er hat es aus der englischen und der deutschen Philosophie entlehnt —<br />

und das scheinbar Neue ist weder neu noch gut. Einer der Hauptbegriffe,<br />

mit denen er scholastisch jongliert, der der schöpferischen Entwicklung, ist<br />

ein hölzernes Eisen; das Bild von einer Entwicklung ist, in langem Kampfe<br />

mit der Theologie, aufgebracht worden, um das Bild von einer Schöpfung<br />

überflüssig zu machen; Schöpfung und Entwicklung sind Gegensätze, die<br />

zu vereinigen der Intuition Bergsons vorbehalten war. Und die "Intuition"<br />

vollends, die Schopenhauer mit Keulenschlägen aus der deutschen<br />

Philosophie hinausgeworfen hatte, wird von Bergson wieder bemüht,<br />

wie eine alte Wahrsagerin. Beinahe noch schlimmer steht es um den<br />

Begriff "Leben", den Bergson ganz mittelalterlich der geistig-seelischen<br />

Ordnung zurechnet. Ein Schönredner ist Bergson gewiß; aber über<br />

eine wissenschaftliche oder gar philosophische Sprache verfügt nicht, wer —<br />

ohne eine Ahnung von einer auch in Frankreich seit Dumarsais und<br />

Condillac aufdämmernden Kritik der Sprache — eine abstrakte Terminologie<br />

in den hohlen Klingklang wohlgerundeter Sätze bringt. Bergson<br />

hat auch ein oberflächliches Büchlein über das „Lachen" geschrieben. Mit<br />

schlechten Beispielen; ein besseres wäre er selbst gewesen. Mir scheint es<br />

ein feiner Humor — für dessen Sinn die Abhandlungen über das Lachen<br />

übrigens gar kein Verständnis zeigen —, daß Bergson der Sohn eines<br />

polnischen Juden und einer englischen Jüdin ist, also doch gewiß ein berufener<br />

Wiederhersteller des Christenglaubens in Frankreich, und daß sein<br />

"Schüler" und Nachfolger (am Collège de France) sich als katholischer<br />

Modernist hervorgetan hat, also als ein Mann, der den gesamten Vorrat<br />

der römischen Kirche zu kaufen bereit ist, mit zehn Prozent Rabatt.<br />

Vierter Abschnitt<br />

England<br />

Nur ein schmaler Meeresarm trennt England von Frankreich; und<br />

doch verläuft der Geisteskampf so ganz anders dort als hier. Ich mag<br />

nicht generalisieren, am wenigsten darin, was Charaktere von Völkern

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