29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

22 Drittes Buch. Zwölfter Abschnitt<br />

Dialoge sind meistens Monologe, in denen ein Unterredner dem Vortragenden<br />

immer wieder beistimmt, damit der Schein der Lebhaftigkeit<br />

gewahrt werde) einige angebliche Beweise für die Unsterblichkeit der Seele<br />

gesammelt. Mendelssohn entschloß sich, die durch ihr Alter ehrwürdige<br />

Schrift neu herauszugeben, aber doch nur als Mittelding zwischen einer<br />

Übersetzung und einer eigenen Ausarbeitung; denn in der zweiten und<br />

größeren Hälfte der platonischen Schrift schienen die Beweise „so seicht und<br />

grillenhaft, daß sie kaum eine ernsthafte Widerlegung verdienen"; Mendelssohn<br />

scheute also vor dem Anachronismus nicht zurück, seinen Sokrates<br />

einige Gedanken von Descartes, Leibniz, Wolff, Baumgarten, Reimarus<br />

und anderen entlehnen zu lassen; da aber Sokrates bei Mendelssohn doch<br />

ein Berliner des 18. Jahrhunderts war, kam es auf mehr oder weniger Echtheit<br />

gar nicht an; der überlegene Humor, der das Wagnis hätte annehmbar<br />

machen können, war dem nicht ganz unwitzigen Mendelssohn nicht gegeben.<br />

Eine genaue Vergleichung zwischen dem alten und dem neuen Phädon<br />

würde zu weit führen, wäre aber doch nicht ohne belehrende Ergebnisse.<br />

Die reizvollste Eigentümlichkeit des alten Gesprächs, daß nämlich Sokrates<br />

seinen Glauben an die persönliche Unsterblichkeit unmittelbar vor seiner<br />

Hinrichtung ausspricht und so seinen Tod und die Unsterblichkeit seiner<br />

Seele heiter verknüpft, die Unvergleichlichkeit dieser Umwelt hat Mendelssohn<br />

wörtlich aus Platon. Was Mendelssohn aber zu Platons Beweisen<br />

der Unsterblichkeit der Seele neu hinzugefügt hat, scheint uns heute ebenso<br />

seicht und grillenhaft, wie Platons Beweise Mendelssohn dünkten. Alle<br />

die Begriffe, auf welche Mendelssohn seine scholastischen oder talmudischen<br />

Folgerungen aufbaut, sind übrigens nicht erst von Kants Vernunftkritik<br />

untergraben worden (die Mendelssohn brieflich mit gut gespielter Bescheidenheit<br />

ablehnte, unter vier Augen jedoch jüdisch-berlinisch bewitzelte),<br />

auch nicht erst von Humes abgründiger Skepsis, sondern schon von Locke,<br />

den Mendelssohn ahnungslos zu kennen und zu benützen glaubte. Er<br />

ist mit seinen Genossen in der Popularphilosophie ebenso wortabergläubisch,<br />

wie nur die Wortrealisten des Mittelalters waren. Noch schlimmer scheint<br />

mir jedoch der Umstand, daß Mendelssohn es überall im „Phädon" für<br />

passend hält, in allen nötigen Begriffen seiner Untersuchung (Unsterblichkeit,<br />

Gott, Vollkommenheit, Einfachheit usw.) zu christeln, während er<br />

in „Jerusalem" und in den "Morgenstunden" jüdische Weltweisheit vorträgt.<br />

Natürlich; denn das Alte Testament weiß ja nichts von einer Unsterblichkeit<br />

der Seele, und Mendelssohn mußte sich schon zu dem orthodoren<br />

Glauben der Pharisäer bekennen, um sich mit neuen Beweisen<br />

für diese Unsterblichkeit zu plagen. Da sind wir wieder bei dem unerfreulichen<br />

Zuge, daß Mendelssohn anders schrieb für die Juden, und anders<br />

Moses Mendelssohn 23<br />

für die aufgeklärten Deutschen, nur daß ihm dieser Zwiespalt wahrscheinlich<br />

niemals ganz klar zum Bewußtsein kam. Aber der Wechsel zwischen<br />

beiden Masken war ihm eben zur Gewohnheit geworden, ging bis in<br />

kleine Lebensgewohnheiten, bis auf den Gebrauch des eigenen Namens.<br />

Nach abendländischer Sitte nannte er sich erst spät (nach dem Namen des<br />

Vaters) Moses Mendelssohn; Briefe an Juden unterschrieb er bis an<br />

sein Lebensende (nach seinem Geburtsorte) Moses Dessau. Er schien<br />

durch seine Sprache eine Zierde des Aufklärungszeitalters; er war aber<br />

mit seinem außerweltlichen Gotte, mit seinen Unsterblichkeitsbeweisen<br />

nicht einmal ein Deist, er war ein guter gläubiger Jude. Kant und Mendelssohn<br />

haben beide über die Aufklärung geschrieben, Kant groß und frei,<br />

Mendelssohn ängstlich und widerspruchsvoll. Mendelssohn warnt vor<br />

radikaler Aufklärung; sie führe zu Egoismus, Irreligion und Anarchie.<br />

Er redet schwülstig von der Bestimmung des Menschen (die Redensart<br />

war durch Spalding neu aufgekommen). Menschenaufklärung könne mit<br />

Bürgeraufklärung in Streit kommen. „Hier lege die Philosophie die<br />

Hand auf den Mund." In einem kurzen Anhang zum Phädon (der verbesserten<br />

zweiten Auflage von 1768) erklärt Mendelssohn ehrlich, er habe sich<br />

niemals in den Sinn kommen lassen, Epoche in der Weltweisheit zu machen.<br />

Und gleich darauf bekennt er sich zu dem Sprachaberglauben, der das<br />

Ende jedes wirklich freien Denkens ist. „Haben meine Vorgänger die Bedeutung<br />

eines Wortes festgesetzt, warum sollte ich davon abweichen?"<br />

Aber es wäre töricht, auch nur die Ahnung einer Sprachkritik von<br />

diesem Schöngeist zu erwarten, der über Spinoza schrieb, ohne ihn auch<br />

nur oberflächlich begriffen zu haben, der für Kant das hübsche Wort „der<br />

Alleszermalmer" prägte, ohne die Vernunftkritik auch nur lesen zu können,<br />

der Lessings Freund hieß und von Lessings Hoheit keinen Hauch verspürt<br />

hatte. Nein, alle diese „Schwätzer für die Welt" verdienen keine Beachtung,<br />

keine eingehende Darstellung in der Geschichte der Rebellen, mögen sie<br />

auch Dichter oder Denker gewesen sein, die die Fackel des freien Denkens<br />

vom Westen nach Deutschland herüberzuholen wagten.<br />

Dreizehnter Abschnitt<br />

Kant. Der Atheismusstreit<br />

Wenn ich nun von jenen Außenseitern, die als gelehrige Schüler der<br />

großen Revolution jenseits von Gut und Böse standen und alle Werte<br />

umwerteten, hundert Jahre vor Nietzsche, weiter schreite zu den unvergleich­

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!