Band 4 - m-presse
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166 Viertes Buch. Fünfter Abschnitt<br />
schafft. Ich werde mich also bemühen, die radikalen Hegelianer, die Religionskritiker<br />
von Feuerbach bis Stirner, mit ihrem klingenden Spiel<br />
aufmarschieren zu lassen, werde mich aber bei Hegel selbst darauf beschränken,<br />
auf die Keime hinzuweisen, aus denen diese Saat erwachsen<br />
konnte und mußte. Nur ganz kurz sei aber vorher daran erinnert, daß<br />
Hegel mit seiner Dialektik nicht allein die anthropologische Theologie<br />
Feuerbachs, die bis ans Ende gehende Kritik der Brüder Bauer, die<br />
mythologische "Leben-Jesu"-Geschichte von Strauß und den lachenden<br />
Solipsismus Stirners möglich gemacht, sondern daß er auch der politischökonomischen<br />
Revolution von Marx die Waffen geliefert hat und die Uniform<br />
dazu: Hegels Sprache oder Terminologie. (Man vergleiche darüber:<br />
Siegfried Marok: "Hegelianismus und Marxismus", in den von der Kant-<br />
Gesellschaft veröffentlichten Vorträgen, 1922; die Arbeit wäre noch verdienstvoller,<br />
wenn sie nicht selbst die Uniform der Hegelschen Terminologie trüge.)<br />
Nun würde man ebenso verbohrt, wie Schopenhauer den Philosophen<br />
Hegel abschätzte, den Politiker Hegel verdammen, wollte man<br />
den Berliner Professor, der wirklich der Reaktion diente, einfach als einen<br />
Renegaten hinstellen, der die Ideale seiner Anfänge, eben die Revolution,<br />
verleugnete. Was diese Dinge betrifft, über die nur ein seelenkundigster<br />
Biograph ein Urteil fällen darf, so sind wir über den Widerspruch<br />
zwischen seinen rebellischen Erstlingen und seiner (nicht ohne seine Schuld)<br />
für die Reaktion ausgebeuteten, fast despotischen Regierungszeit genau<br />
erst unterrichtet seit der ausgezeichneten Untersuchung Diltheys über<br />
"Die Jugendgeschichte Hegels". Jetzt erst wissen wir, wie stark den Tübinger<br />
Studenten, den eigensinnigen Schwaben, die große französische Revolution<br />
ergriffen hatte, wie er (darin ein Gesinnungsgenosse von Schleiermacher)<br />
die Lehren der Aufklärung groß historisch überwunden hatte, keine allgemeine<br />
natürliche Religion anerkannte, wie er von dem Göttlichen noch<br />
nicht anders als in Begeisterung, also gefühlsmäßig, geredet wissen wollte,<br />
wie er als Jüngling, ein Freund und Genosse von Hölderlin, zugleich<br />
im griechischen Staate und in der Liebe, in Herakles und Christus, das<br />
Doppelideal der Zukunft erblickte. Der Denker Hegel, der in der Weltgeschichte<br />
das Bewußtwerden der Idee sah, ist dem revolutionären Idealismus<br />
seiner Studentenzeit niemals ganz untreu geworden; nur der Staatsbeamte<br />
Hegel, der 1818 nach Berlin kam, als die Erhebung der Burschenschaft<br />
und bald die Ermordung von Kotzebue die preußischen Machthaber<br />
erschreckte, diente persönlich dem Rückschritt, auch dem religiösen, durch<br />
seinen Machthunger, durch seine Universitätspolitik und durch seine Beziehungen<br />
zu den Herren, die über Kultus und Unterricht herrschten.<br />
Hegel war immer klein, oft erbärmlich, auf dem Gebiete der Naturerkennt<br />
Hegel 167<br />
nis oder der —nach damaligem Sprachgebrauche — Naturphilosophie; er<br />
war und bleibt groß als derjenige, der die Geisteswissenschaften durch<br />
die ganz neue Einsicht in das Wesen der historischen Entwicklung befruchtet<br />
hat. Es war nur ein Irrtum seines reichen Geistes, daß er in seinem starr<br />
gewordenen Systeme, ein Idealist in üblem Sinne, die historische Entwicklung<br />
nicht in den Sachen, sondern in den Wörtern oder Begriffen zu<br />
entdecken glaubte. Dieser Irrtum hat es zumeist verschuldet, daß der vielfach<br />
gut konservative Schwabe der Folgezeit als ein Gegner jeder Freiheit<br />
erscheinen mußte, auch der religiösen; von den Angriffen Schopenhauers<br />
gegen Hegels Verrat an der Wahrheit gar nicht erst zu reden. In<br />
diesem Zusammenhange muß aber besonders darauf hingewiesen werden,<br />
daß der junge Theologe Hegel (den freilich seine Schulkameraden "den alten<br />
Mann" zu nennen pflegten) sich schon 40 Jahre vor Strauß eingehend mit<br />
der Niederschrift eines Leben Jesu beschäftigte. Es wäre wohl, unter dem<br />
Einflusse der Revolution und Goethes Spinozismus, ein Bekenntnis<br />
zum Pantheismus geworden: Jesus ein Rebell, weniger gegen den römischen<br />
Staat als gegen das Judentum. Erst als Jesus an dem Siege seiner<br />
diesseitigen Revolution verzweifelte, mag er das Reich Gottes in ein<br />
Jenseits verlegt haben.<br />
Die Unterwerfung unter seine eigene Methode hat diesen Hegel<br />
aus dem Pantheismus hinausgetrieben (in dem sein Mitarbeiter Schelling<br />
zu seiner besten Zeit steckte) und in das hineingetrieben, was J. E. Erdmann<br />
sehr gut Hegels Panlogismus genannt hat, d. h. doch wohl: die<br />
Lehre, daß die ganze Welt aus dem Begriff hervorgegangen sei; Hegels<br />
angeblicher Idealismus war also eigentlich der äußerste, unüberbietbare<br />
Rationalismus. Oder (wie Schopenhauer in einer minder heftigen Stunde<br />
es niedergeschrieben hat): "Die Hegelsche Weisheit, kurz ausgedrückt, ist,<br />
daß die Welt ein kristallisierter Syllogismus sei." Und weil die Begriffe,<br />
die durch ihre Selbstbewegung die Schöpfer des Alls wurden, eben nur<br />
Wörter waren, darf ich Hegel sprachabergläubischer nennen als alle Philosophen<br />
vor ihm. Und gerade darum ist es ihm vielleicht nicht gar so übel<br />
zu deuten, daß er nach seiner Methode mit den Worten der Metaphysik<br />
und der Theologie zugleich spielte, halb unbewußt spielte (wie Forberg<br />
es in seinem Atheismusstreite von sich selbst zugestanden hatte), daß er<br />
— um das Letzte nicht zu verschweigen — die christliche Dreieinigkeitslehre<br />
und den Dreitakt seiner Methode, also Glauben und Wissen gleichsetzte.<br />
Wer kann da entscheiden, ob Hegel in der Freude an seinem Gehirnriesenspielzeug<br />
zu solchem Unfug durch Jugendeindrücke aus dem Tübinger<br />
Stift bestimmt wurde, oder durch Liebedienerei gegen den bewunderten<br />
preußischen Staat und seine Minister.