29.10.2013 Aufrufe

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

Band 4 - m-presse

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

418<br />

Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

Glauben ist nur eine logisch überflüssige Unterstreichung unseres Verhältnisses<br />

zu einem Urteil, das wir eben bona fide gefällt haben. Die<br />

Wertlosigkeit des Sprachgebrauchs wird noch deutlicher bei unserem<br />

Glauben an Wunder und andere Unwahrscheinlichkeiten des religiösen<br />

Gebiets; da nennen wir just glauben unser Verhältnis zu Vorstellungen<br />

oder Urteilen, an denen zu zweifeln die Vernunft verpflichtet, die wir<br />

also nicht so recht eigentlich für wahr halten. Der Glaube, die psychologische<br />

Begleiterscheinung einer wahren Erkenntnis, wird zur psychologischen<br />

Begleiterscheinung eines unwahrscheinlichen Urteils; und doch hat schon<br />

Leibniz gelehrt, daß Erkenntnis diejenige Meinung sei, die in Wahrscheinlichkeit<br />

begründet ist.<br />

Unbekannt mit diesem streng erkenntniskritischen Gedankengange,<br />

hat die Sprache dennoch die Begriffe des Glaubens und der Dichtung oder<br />

Erdichtung einander angenähert. Die eigentlich negative Wahrheit bildete<br />

sich im Gebrauche zu einem Gegensatze einerseits der bewußten Lüge aus,<br />

anderseits der unbewußten Fälschung im Märchen, im Gerücht, in der<br />

Dichtung. Und wir haben eben erfahren, daß die religiösen Legenden<br />

(für die Kritik Gerüchte oder Dichtungen) den Glauben verlangen, weil<br />

sie nicht zu den wahrscheinlichen Erkenntnissen gehören. Ich darf also<br />

sagen, daß der Wahrheitsbegriff im Gegensatze stehe zum Glauben an alle<br />

Gerüchte und Dichtungen, auch die des "Glaubens".<br />

Ich darf dieser Begriffsforschung Beispiele folgen lassen, die es<br />

deutlicher machen werden, daß es einen rechten Unterschied zwischen<br />

Dichtung und Religion für den Glauben nicht gibt. Man denke an das<br />

Verhältnis des alten Griechen (etwa vor der Sophistenzeit) zu seinem<br />

Homeros. Er nannte ihn einen Dichter und glaubte dennoch sowohl an<br />

die übermenschlichen Taten der Helden wie an das Eingreifen der Götter<br />

genau so, wie unsere Kinder an die Geschichte Israels und an die Schöpfungsgeschichte<br />

glauben. Freilich war damals der Glaube an die Welt des<br />

Homeros nicht durch ein Dogma geschützt und verknöchert; er war eben so<br />

lebendig und frei, wie etwa der Bibelglaube in den ersten christlichen<br />

Jahrhunderten. Es würde unter dem Niveau dieser Betrachtung sein,<br />

die gegenwärtige Existenz einer dogmatischen Theologie zu berücksichtigen.<br />

Aber weiter noch. Auch jetzt noch, nach einer anderthalbtausendjährigen<br />

despotischen und blutigen Herrschaft der dogmatischen Theologie, auch<br />

jetzt noch, wo durch die Ausdehnung eines verkirchlichten Volksschulunterrichts<br />

dem Kindergehirn der Glaube an das Unwahrscheinliche für Lebenszeit<br />

eingebläut wird, viel allgemeiner und härter als es im finstersten<br />

Mittelalter geschah, auch jetzt noch steht das Denken der meisten Christen,<br />

wenn man von beinahe heiligen Ausnahmen absieht, durchaus nicht<br />

Glauben 419<br />

unaufhörlich unter dem Zwange des Glaubens; die guten Leute besitzen<br />

ihren vollen Glauben an Feiertagen, in ihrer Kirche; draußen und an<br />

Werkeltagen glauben sie an das Wahrscheinliche, an das Diesseits, und<br />

"sündigen" gegen alle zehn Gebote, als ob sie keine Christen wären. Sie<br />

leben in der Wirklichkeit. Ich sehe keinen wesentlichen Unterschied zwischen<br />

der doppelten Wahrheit dieses Vorgangs und dem Erlebnisse eines Kunstgenießers,<br />

besonders eines Theaterbesuchers. Die Schönheitsfreude und<br />

die erhebende Wirkung in einer Tragödie wäre gar nicht möglich, wenn der<br />

Zuschauer nicht für die Dauer der Aufführung den Schein der Wahrheit<br />

fühlte, nicht ganz buchstäblich — mit kleineren oder größeren Unterbrechungen,<br />

je nach der Kindlichkeit seines Herzens und der Güte des Spiels<br />

— an die Wahrheit auf der Bühne glaubte, um nachher — früher oder<br />

später — draußen aus seinem Glauben zu erwachen und zur gemeinen<br />

Wirklichkeit zurückzukehren, die den frommen Kunstfreund nach der Feier<br />

zuerst nicht weniger verletzen wird, als den Andächtigen nach dem Gottesdienst<br />

die gemeine Wirklichkeit seines Seelenzustandes. Künstler und<br />

Dichter haben es oft gefühlt, es nur nicht aussprechen können, daß die<br />

Ideen der Religion und der Künste, beide, der substantivischen, der mythischen<br />

Welt angehören; erst einer der neueren Umwerter der Poesie hat es<br />

fast ganz begriffen: der Dichter des „Moloch".<br />

Friedrich Hebbel hat eine religiöse Wertung und Wirkung der Poesie Hebbel<br />

oft und stark in Worte zu fassen versucht. Größere Künstler noch als Hebbel,<br />

Baumeister, Maler und Dichter, haben die Identität von Religion und<br />

Kunst (ich sage lieber: die logische Unterordnung unter den Kunstbegriff)<br />

seltener ausgesprochen, aber um so inniger gefühlt (Goethe: Wer Wissenschaft<br />

und Kunst besitzt, der hat auch Religion); der allzubewußte Hebbel,<br />

beinahe noch mehr Grübler als Dichter, quälte sich ab, die Poesie überhaupt,<br />

besonders aber sein eigenes Schaffen, zur Würde der Religion emporzuheben.<br />

Wir haben schon erfahren, wie dieser Dichter sich bei der Niederschrift<br />

seiner Tagebücher, immer kühn und immer unfrei, mit dem verblassenden<br />

Gottesbegriff seiner philosophierenden Zeitgenossen (Hegel,<br />

Schelling, Feuerbach) herumschlug, ohne einen festen Halt zu gewinnen;<br />

jetzt will ich aus eben diesen "Tagebüchern" (von 1840 bis zu seinem<br />

Tode) eine Reihe von Stellen ausziehen, die sein nicht immer klares<br />

Bekenntnis zur Identität von Religion und Poesie, ja mitunter von Gott<br />

und Dichter, beweisen. Schrullenhafte Antithesen und den Hang zu<br />

verblüffenden Formulierungen wird man schon mit in Kauf nehmen<br />

müssen.<br />

„Durch den Dichter allein zieht Gott einen Zins von der Schöpfung,<br />

denn nur dieser gibt sie ihm schöner zurück." (1840.)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!