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Band 4 - m-presse

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390 Viertes Buch. Zehnter Abschnitt<br />

geistiger Art, wie wir sofort begreifen werden, wenn wir nach der Befreiung<br />

der Schule von der Kirche fragen und erfahren, welche Forderungen<br />

gestellt werden müssen und welche Erfüllungen ihnen die sozialistische<br />

Republik Preußen seit vier Jahren gebracht hat. Um nicht ins Uferlose zu<br />

geraten, schon weil ich als noch Mitlebender auch Zuschauer war, will ich<br />

mich an zwei Dokumente halten, die natürlich Bücher sind: "Die pädagogische<br />

Revolution, zehn Vorlesungen zur Erneuerung der Kultur", von<br />

dem schweizerischen religiös-sozialen Führer Leonhard Ragaz (1920); und<br />

„Neue Bahnen der Kulturpolitik" von dem deutschen Sozialdemokraten<br />

Konrad Haenisch (1921), der nach der Revolution — nur leider für zu kurze<br />

Zeit — Unterrichtsminister in Preußen war.<br />

Das Buch von Ragaz ist das Programm einer Schulreform, das von<br />

allen konfessionslosen Gottsuchern unterschrieben werden könnte: von den<br />

gottlosen Mystikern angefangen bis zu den Beneidenswerten, die an die<br />

Möglichkeit einer neuen Religionsstiftung immer noch glauben. Selbstverständlich<br />

übt Ragaz eine vernichtende Kritik an den gegenwärtigen<br />

Schuleinrichtungen. Auch die Schule stand bis zum Weltkriege im Dienste<br />

des Industrialismus; die Schule entließ den Menschen ähnlich wie der<br />

Fabriksaal. Die Quantität des Wissens, der Intellektualismus muß in der<br />

neuen Volkshochschule überwunden werden durch einen Kommunismus<br />

der geistigen Welt. Möglichst viel Geist und möglichst wenig Schule. Aufhebung<br />

der aristokratischen Klassenschulen, der Gymnasien und der Fachuniversitäten,<br />

mit deren Bildungsphilistrosität, mit ihrer Ehrfurchtslosigkeit.<br />

Unserer ganzen Kultur, auch der Schule, liegt Mammonismus zugrunde;<br />

die Arbeit der Menschen muß wieder Seele bekommen und mit<br />

der Seele Freudigkeit. Das muß die Volkshochschule der Zukunft wollen;<br />

sie muß der Buntheit des Wissens ein Ende bereiten, wie das in den dänischen<br />

Volkshochschulen zum Teil schon erreicht ist; gerade diese Volkshochschule<br />

soll als rechte Gelehrtenschule der Verflachung entgegenarbeiten.<br />

Die Wissenschaften müssen einen Sinn bekommen durch eine lebendige<br />

Philosophie. Das Wissenswerteste bleibt immer der Mensch. Die Wissenschaft<br />

handelt nur vom Menschen, die Weltanschauung kümmert sich auch<br />

um Göttliches.<br />

Um dieser Einstellung willen, die Ragaz zum Gottesbegriffe sucht,<br />

habe ich sein Buch so eingehend behandelt. Er ist kein Christ mehr, er ist<br />

ein radikaler Leugner aller überlieferten Glaubenssätze, aber er bleibt bei<br />

dem Begriffe "Gott". Er sucht den neuen Gott. Der Zorn gegen die<br />

bisherige, gegen die entartete Religion sei mehr als berechtigt gewesen.<br />

Diese Religion war eben gottlos. Das Neue solle kein Gottesdienst mehr<br />

sein, sondern Menschendienst. Über das überwundene Christentum hinweg<br />

Kirche und Schule 391<br />

zurück zu Christus, der mehr ist als das Christentum. Die Schule der Zukunft<br />

soll lehren, in freier Luft fromm zu sein; da darf auch der Nichtchrist<br />

mitwirken, auch der Atheist. Zum ersten Male wird — in der Theorie<br />

freilich nur — voller Ernst gemacht mit den Forderungen Kierkegaards:<br />

Ernst gemacht gegenüber dem ruchlosen Spiel, das alle früheren Zeiten<br />

getrieben haben mit der Religion, mit der Wissenschaft, mit der Schule,<br />

mit der Demokratie. Licht und Freiheit wie bei Göhre.<br />

Und zu der gleichen Zeit schien es, als ob in dem Lande der Dichter Revolution<br />

und Denker, das vor 400 Jahren das Land der Reformation geworden<br />

war und jetzt das Land der scheinbar siegreichen sozialen Demokratie,<br />

also das Land der religiös-sozialen Möglichkeit, Ernst gemacht werden<br />

sollte mit einer Revolution der Schule. Der Zusammenbruch im Weltkriege<br />

hatte zur Folge gehabt, daß Deutschland eines Morgens, da die<br />

Bürger aufwachten, aus einer Form der absoluten (nur auf dem Papiere<br />

konstitutionellen) Monarchie in die Form einer vom Monde heruntergefallenen<br />

Republik übergegangen war. Binnen 24 Stunden, wozu die<br />

"große Revolution" immerhin die drei Jahre von 1789 bis 1792 gebraucht<br />

hatte und noch einige Wochen mehr. Es ist nicht meines Amtes,<br />

die politische Unfähigkeit zu beweisen, die alle politischen Parteien — bis<br />

auf eine, die des Zentrums — bewiesen haben. Es ist aber meines Amtes,<br />

darzulegen, wie diese politische Unfähigkeit die Revolution der Schule,<br />

die jetzt oder nie möglich war, verhinderte.<br />

Sollte die Staatsumwälzung überall einen Sinn haben, so mußte<br />

sie doch in der Richtung weiter gehen, in welcher ihre Führer sie begonnen<br />

hatten: wilde Sozialisten, Idealisten, mag auch — ohne klares Bewußtsein<br />

dieser Führer — feindliches Gold und andere Spionage mitgewirkt<br />

haben. Und diese Tendenz zum Sozialismus, zu der Republik und zur<br />

Kirchenfeindlichkeit lag in der Luft am Tage nach der Revolution, als<br />

alle Feiglinge, von den Feudalen bis zu den Demokraten, sich (das Wort<br />

wurde plötzlich erfunden) auf den Boden der Tatsachen stellten. Sogar<br />

die Wahlen hätten, wenn sofort angeordnet, eine sozialistische Mehrheit<br />

ergeben. Aber die Sozialisten entzweiten sich sofort und ließen den Parteien<br />

Zeit, zur Besinnung zu kommen. Als es zu den Wahlen kam, wurden<br />

bereits Kompromisse geschlossen.<br />

Ich schreibe nicht im Dienste einer der Parteien. Sie lügen alle, und<br />

weder der Geschichtschreiber der Geistesbefreiung noch der Kritiker der<br />

Sprache will der Lüge dienen. Nur die Logik der Tatsache muß hervorgehoben<br />

werden, daß die Sozialisten einige Tage lang die Macht in Händen<br />

hatten und sich diese Macht v o n den "Ordnungsparteien" aus den Händen<br />

winden ließen, da sie ein Bündnis eingingen mit den Katholiken und mit

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