Band 4 - m-presse
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Viertes Buch. Siebenter Abschnitt<br />
bei dem bevorstehenden literarischen Kampfe alle möglichen Konzessionen<br />
zu machen, dagegen in den religiösen Fragen auf der protestantischen<br />
Denkfreiheit zu bestehen und so die Zustimmung der Philister zu erlangen.<br />
"Die Moral ist nur eine in die Sitten übergegangene Religion. Ist aber<br />
die Religion der Vergangenheit verfault, so wird auch die Moral stinkicht."<br />
Werde die Not groß, so heißt es weiter in demselben Briefe, so werde er<br />
selbst gegen Menzel ins Geschirr gehen. "Er ist durch und durch ein heuchlerischer<br />
Schurke. Wenn man Stricke schreiben könnte, so hinge er längst.<br />
Es ist eine gemeine Natur, ein gemeiner Mensch, dem man Tritte in den<br />
Hintern geben sollte, daß ihm unsere Fußspitze zum Halse heraus käme."<br />
Und diese Tritte hat Heine in seinem "Vorworte" nicht gespart. Er<br />
spricht über das klägliche Haupt des Herrn Wolfgang Menzel in Stuttgart<br />
die Ehrlosigkeit aus. "Nächst einer geladenen Pistole hat Herr<br />
Menzel nie etwas mehr gescheut als die Ehrlichkeit der Rede; er war<br />
immer ein zweideutiger Duckmäuser, halb Hase, halb Wetterfahne, grob<br />
und windig zu gleicher Zeit, wie ein Polizeidiener." Er sei zum Laster<br />
zu unschön; und in seiner allzuoft geübten Manier (nicht so überzeugend<br />
wie sonst) macht sich Heine über das Kalmückengesicht des Deutschtümlers<br />
Menzel lustig. Die erste Tugend der Germanen war eine gewisse<br />
Treue; „daß er zu den Gegnern überliefe, ist weder dem deutschen<br />
Charakter angemessen, noch dem Charakter irgendeines anderen Volkes;<br />
aber in diesem Falle noch gar als Denunziant zu agieren, das kann<br />
nur ein Schurke." Nach dieser Beschimpfung ist es fast nur noch eine<br />
Zugabe, wenn Heine von dem "Privatschelmenleben" Menzels redet und<br />
ihm abermals Feigheit vorwirft; Gutzkow hatte Menzel zum Zweikampfe<br />
gefordert, Heine hatte die gleiche Pose eingenommen, beide ohne Erfolg.<br />
"Herr Menzel ist kein Westfale, ist kein Deutscher, Herr Menzel ist eine<br />
Memme." Auf die Judenschelte antwortet Heine mit überlegenem Hochmut,<br />
er könne keine Sympathie für die Synagoge hegen. Ihn und<br />
seine Freunde aber als Feinde Deutschlands darzustellen, sei ein hinterlistiges<br />
Bubenstück. Er bekennt sich zum Deismus. In beweglicher Klage<br />
redet er, wie so oft, zu pathetisch und doch ehrlich, von den harten Treppen<br />
der Fremde. Wie Börne rühmt er Frankreich als unseren natürlichen<br />
Bundesgenossen im Kampfe für geistige Freiheit. "Wer dieses nicht einsieht,<br />
ist ein Dummkopf, wer dieses einsieht und dagegen handelt, ist ein<br />
Verräter." Wir werden heute, als Geschichtschreiber, auch wenn wir für<br />
das junge Deutschland Partei nehmen, bei der Entscheidung darüber, ob<br />
Menzel mehr beschränkt oder mehr böswillig war, zu keinem unbedingten<br />
Spruche gelangen und uns mit einem non liquet begnügen müssen.<br />
Gegen Menzel spricht, daß Gutzkow damals mit dem Plane umging, eine<br />
Menzel und Gutzkow 251<br />
große deutsche Rundschau zu gründen, und daß Menzel, der anerkannte<br />
Oberschulmeister der Literatur, wie hundert Jahre vorher Gottsched, aus<br />
idealen und aus gemeinen Gründen die neue Zeitschrift nicht aufkommen<br />
lassen wollte; die denn auch vor dem Erscheinen unterdrückt wurde. Für<br />
Menzel spricht seine ganze Kunstfremdheit und seine polternde Art. Gerade<br />
sein schlimmstes Kritikerverbrechen, sein Losziehen gegen Goethe, kam<br />
sicherlich aus einer ehrlichen Überzeugung; er war dem abgeklärten und<br />
resignierten Goethe gegenüber eigentlich nur konsequenter als seine jungen<br />
Freunde; es wäre nicht unmöglich, daß er auch bei seiner blutigen Kritik<br />
der "Wally" überzeugungstreu die eigenen Interessen mit den allgemeinen<br />
verband und ehrlich zu einem Denunzianten wurde. Jedesfalls kam seine<br />
Kritik den Herren vom Bundestag sehr gelegen. Heute wissen wir<br />
übrigens, daß Menzel irgendwie im Solde Preußens stand, daß er für<br />
seine "gute Gesinnung" sich doch auch bezahlen ließ. Wie Heine von<br />
der Pariser Regierung eine Pension annahm.<br />
Menzels Kritik erschien im September 1835, noch nicht vier Wochen<br />
nach der Ausgabe des Buches unter der Überschrift "Unmoralische Literatur".<br />
Mit persönlichen Schmähungen fängt es an; der Berliner Gassenjunge in<br />
Gutzkow, seinem einstigen Schüler, sei wieder auferstanden. Er, Menzel,<br />
dürfe solche Frechheit und Immoralität nicht ungestraft lassen. Aus Huren<br />
und Buben bestehe das junge Deutschland; "krank, entnervt und dennoch<br />
jung wankt es aus dem Bordell heraus, worin es seinen neuen Gottesdienst<br />
gefeiert hat;" von der französischen Krankheit seien diese Gotteslästerer<br />
und Nuditätenmaler angesteckt. Zwischen Unzucht und Gotteslästerung<br />
bestehe ein uralter Bund. „Herr Gutzkow hat es über sich genommen,<br />
diese französische Affenschande, die im Arme von Metzen Gott lästert,<br />
aufs neue nach Deutschland überzupflanzen." In einer Fortsetzung dieses<br />
Pamphlets werden die Verleger und die "Edeln" der Nation geradezu<br />
aufgefordert, diese Schlange, die im Miste der Wollust sich wärmt, nicht zu<br />
dulden und die "neue Rundschau" zu unterdrücken.<br />
Als der österreichische Präsidialgesandte am Bundestag am 10. Dezember<br />
1835 den Antrag stellte, das junge Deutschland mit Polizeimitteln zu<br />
vernichten, berief er sich zwar nicht ausdrücklich auf die Denunziation<br />
Menzels, aber "die laute Indignation aller Besseren" konnte sich kaum auf<br />
eine andere Äußerung beziehen; auch der Gedankengang der Antragsbegründung<br />
deckte sich auffallend mit Menzels Anschuldigungen. Die<br />
"Edeln" beriefen sich auf die "Besseren". Fünf Schriftsteller wurden<br />
genannt: Heine, Gutzkow, Wienbarg, Mundt und Laube. Heine, der sich<br />
eine Zeitlang in der Rolle eines Führers des jungen Deutschland gefiel,<br />
wurde an die Spitze gestellt, weil er der ungleich berühmtere und gefähr